42 Mindener Tageblatt 100 Jahre MT Nr. 144 · Dienstag, 25. Juni 2019
„Ich bin einfach eine andere Generation“
Als Volontär musste er noch morgens um vier Uhr in die Druckerei – und manchmal auch in die Dunkelkammer.
Der Job hat sich seither radikal verändert. Trotzdem blickt Hartmut Nolte gern auf sein Redakteursleben zurück.
Von Nadine Conti
Minden (mt). 33 Jahre lang war Hartmut
Nolte für das Mindener Tageblatt
tätig – und ist es auch jetzt im Ruhestand
noch als freier Mitarbeiter
und Kolumnist. 33 Jahre, die einige
der gewaltigsten Umwälzungen der
Branche umfassen. Ein Gespräch
übers Journalist-Sein damals und
heute.
Wie sind Sie denn zum Journalismus
gekommen?
Im Grunde über die Kommunalpolitik.
Ich bin sozusagen Spät-68er. Deshalb
brach ich das auf Wunsch meines
Vaters begonnene Deutsch- und
Geschichtsstudium ab und wechselte
zu dem damals neuen Fachbereich
Sozialwissenschaften, der Einblicke
in Jura, Volkswirtschaftslehre,
Soziologie, Politik und eben Kommunikationswissenschaften
bedeutete.
Dass ich mal Journalist werden
würde, ahnte ich damals nicht. Mein
ersten Artikel verfasste ich für meine
Heimatzeitung in Alfeld aus den
Ratssitzungen meines Heimatdorfes
– als gewähltes Mitglied wohlgemerkt.
Als Student in Göttingen gab
ich dann zusammen mit fünf anderen
ein lokalpolitisches Monatsmagazin
heraus. Wir machten alles von
Recherche über Anzeigenakquisition
bis zum Vertrieb.Wir scheiterten nach
drei Ausgaben an den Anzeigen. Aber
dadurch bekam ich 1976 Kontakt zum
Täglichen Anzeiger in Holzminden.
Die suchten wegen des Proporzes
einen zweiten Volontär mit SPD-Nähe,
weil sie schon den Kreisvorsitzenden
der Jungen Union eingestellt
hatten. Ich habe dann aber bald aktive
Politik und Beruf getrennt, weil ich
mich nicht angreifbar machen wollte.
Wie sah der Arbeitsalltag damals
aus?
Wir waren beim TAH zwei Redakteure,
zwei Volos und ein Fotograf.
Arbeitsbeginn war manchmal schon
um vier Uhr zur Andruckkontrolle. Da
konnten aus den Bleiplatten noch größere
Fehler in Überschriften ausgebügelt
werden. Das dauerte keine halbe
Stunde, dann nach Hause ins Bett
und um 8 Uhr pünktlich –- sonst gab
es Ärger und Abendtermine – wieder
zur Redaktionskonferenz. Arbeitszeiten
von über zehn Stunden waren bei
Ratssitzungen und Jahreshauptversammlungen,
zu denen wir damals
noch gingen, keine Seltenheit.
Fast wäre mein Berufsstart auch
schon das Ende gewesen. Ich hatte bei
der Bewerbung gelogen, dass ich Fotolaborkenntnisse
hätte. Zwei Wochen
nach Dienstantritt wurde der Fotograf
krank und es hieß „Nolte macht
das Labor“. Prompt habe ich zwei Filme
einer Kollegin, davon einer von
einem Unfall, vernichtet. Meinen Text
schrieb ich auf einer kleinen Olympia
Schreibmaschine. Die Manuskripte
las ich dann über, fügte ein, änderte
Satzteile, korrigierte Tippfehler.
Die Setzer legten meine Manuskripte
immer ganz nach unten, weil
sie kaum lesbar waren. Aber wir hatten
dennoch Zeit. Wir waren jung, malten
uns nach Dienstschluss noch im
„Piano“ beim Bier aus, was für eine tolle
Zeitung wir machen würden, wenn
da nicht dieser Chef wäre.
Wie haben Sie den Einzug der ersten
Computer erlebt?
Beim MT wurde ich in den späten achtziger
Jahren in eine ESRA-Gruppe beordert,
EDV-Redaktion-Satz-Anzeigen.
Wir sollten Erfahrungen mit Satzsystemen
erkunden. Die Einführung
rechnergesteuerter Textsysteme war
umstritten. Wir haben sogar mal lange
für einen Tarifvertrag gestreikt.
Journalistenstreiks sind immer
schwierig zu organisieren. Der Leser
soll es ja darunter nicht leiden, für
den arbeitet man doch eigentlich.
Freier Beruf heißt nicht nur ungeregelte
Arbeitszeit und regelmäßig Wochenenddienste,
sondern auch viel
Freiheit in seiner Arbeitseinteilung.
Aus Begeisterung macht meist mehr
als man muss. Familienfreundlich ist
das nicht. Und überall und immer ist
man der Lokaljournalist. Selbst beim
Bier in der Nachbarschaft.
Trotz der Streiks und Tarifverträge
sind da ganze Berufsgruppen einfach
verschwunden.
Ja, unter Schmerzen. Heute müssen
Redakteure viele Dinge erledigen, für
die es damals eigene Leute gab. Zuerst
verschwanden die Korrektoren,
der Redakteur wurde auch für die orthografische
Richtigkeit seiner Texte
verantwortlich, das kostete Zeit für die
eigentliche Arbeit. Auch das Layout
wurde zu Bleisatzzeiten von den Metteuren
nach ungefähren Angaben des
Schlussredakteurs weitgehend allein
gemacht. Mit der der Seitendarstellung
im Computersystem übernahmen
viele Redakteure auch Teile dieses
Berufs.
Die größte Änderung aber brachten
Online-Angebote und soziale Medien.
Das war eine neue Konkurrenz
am allein von den Medien als Übermittler
beherrschten Nachrichtenhimmel.
Plötzlich wurden die Empfänger
selbst zu Sendern, die Leseräußerung
bei Facebook und Co zur
zu beobachtenden Informationsquelle.
Dazu mussten die Zeitungsredaktionen
nun neue Kanäle bedienen. Inzwischen
stehen Instagram, Twitter
und Co zeitlich vorn, dann Online und
erst dann die Zeitung für den Briefkasten.
Für ältere Kollegen wie mich eine
technische Herausforderung und
eine Umstellung des eigenen Stils. Mit
dem Rentenalter habe ich gerade noch
den Absprung geschafft. Zumal auch
damit eine Verbürokratisieren des Berufsalltags
einsetzte.
Diese frühere Gemächlichkeit hat
man der Zeitung damals aber auch
angesehen, finde ich. Als Volontärin
musste ich immer so eine Rubrik
„Vor 50 Jahren...“ füllen und mich
dazu durch die Archivbände wühlen.
Da habe ich gedacht: „Puh, für die
Leser waren die Zeiten ja vielleicht
auch nicht so golden wie für die Redakteure.“
Ich fand das alles ziemlich
betulich, verstaubt, staatstragend.
Jede Zeit hat die Zeitung, die sie verdient,
die sie braucht, die sie liest. Die
gewisse Gemächlichkeit der 70er und
80er Jahre ist aus den Texten und dem
Layout erkennbar, wie zuvor bis in die
60er hinein die staatstragende Rolle,
die sich die Zeitungen selber gegeben
hatten
Tagesjournalismus ist immer ein
Kampf zwischen Qualität, also Informationsreichtum
und guter Lesbarkeit
und dem Zeitdruck des Redaktionsschlusses,
meine Sportkollegen
wissen das am besten. Es ist ein Kampf
mit der Technik um frühen oder späten
Redaktionsschluss, ein banges
Warten ob und wie der Kollege von
der Konkurrenz das Thema aus dem
Rat bearbeitet hat. Immer weniger Zeit
heißt auch weniger Zeit für die Tiefe.
Aber es eilt die Zeit im Sauseschritt,
wir eilen mit, sagt Wilhelm Busch.
Aber die sozialen Netzwerke haben
doch auch Vorteile: Man ist viel direkter
dran am Leser, bekommt unmittelbar
Reaktionen und Rückmeldungen...
Früher sind manche Geschichten
ja auch bloß entstanden,
weil der Chefredakteur sich vom Taxifahrer
etwas hat erzählen lassen.
Und immerhin werden so auch Leute
gehört, die früher kaum vorkamen.
Ja, das mag sein. Ich bin da halt einfach
eine andere Generation,. Ich lese
noch Bedienungsanleitungen, meine
Kinder sehen auf Youtube nach.
Ich brauche, wie viele älteren Leser,
aus jahrzehntelanger Sozialisation
das Rascheln beim Umblättern, das
Seitenrausreißen, um einen Artikel
später zu lesen. Ich vergesse manchmal
aus Gewohnheit, dass ein Handy
mehr ist als ein Telefonapparat.
Haben Sie Ihre Berufswahl je bereut?
Hätten Sie Ihren Kindern zu dem Job
geraten?
Nein und Nein. Bereut habe ich sie
nie, ich bin immer gern zur Arbeit gegangen
– kein Tag war wie der andere,
keiner lief so wie geplant. Ich habe
dauernd etwas dazu gelernt. Und
Zugang zu Menschen und Zusammenhängen
bekommen, die mir sonst
verschlossen geblieben wären. Neugier,
ständig aufgerichtete Antennen
und Begeisterung haben mich getrieben.
Deswegen schreibe ich heute
weiter.
Aber ich war auch nicht unfroh, dass
meine Kinder lieber etwas anderes
machen wollten. Für die Familie ist
das besser.
Der Lokalredakteur in den 80er-
Jahren – natürlich rauchend.
Er sei immer gern zur Arbeit gegangen,
sagte Hartmut Nolte bei
seiner Verabschiedung.
Als Zeitungsmachen noch Handwerk war: „Metteure“ (wie dieser Berufszweig hieß) sind vollständig verschwunden.
Mediengestalter und Redakteure sitzen nun am Computer. MT-Foto: Archiv
„Jetzt kommen nur noch die Leute, die das wirklich wollen“
Vertrauenskrise und Zukunftsängste schrecken nicht alle ab: Helge Hoffmeister möchte trotzdem Journalist werden.
Von Nadine Conti
Minden (mt). Helge Hoffmeister
hat nach seinem Abitur
am Ratsgymnasium ein Praktikum
beim Mindener Tageblatt
gemacht. Und prompt
Blut geleckt. Mittlerweile
studiert er an der Kölner Journalistenschule
für Politik und
Wirtschaft.
Hat Dir denn eigentlich keiner
gesagt: „Junge, lern' doch
lieber etwas Anständiges?“
Ehrlich gesagt, hatte ich schon
ein bisschen damit gerechnet,
dass so etwas kommt. Aber erstaunlicherweise
haben alle, die
mich kennen, gesagt: „Ja, das
passt.“
Printkrise, Zeitungssterben,
Lügenpresse, Vertrauensverlust
– glaubst du echt, das sind
gute Zeiten, um Journalist zu
werden?
Puh, natürlich werden all diese
Dinge auch an der Journalistenschule
oft diskutiert.
Manche zweifeln da deutlich
mehr als andere. Aber ich
glaube trotzdem, dass es
einen Bedarf an gutem Journalismus
gibt. An sauber recherchierten
Geschichten, relevanten
Informationen,
Orientierung. Das sieht man
ja auch gerade in den USA, wo
gewisse Personen täglich Lügen
über Twitter verbreiten.
Für den Journalismus ist die
Situation vielleicht eher von
Vorteil: Jetzt kommen nur
noch die Leute, die das wirklich
wollen – und nicht mehr
die, die „irgendwas mit Medien“
machen möchten, weil
das halt schick ist. Aber die Ansprüche
sind natürlich auch
gestiegen. Dem Vertrauensverlust
kann man nur begegnen,
indem man extrem
gründlich arbeitet und keine
Angriffsfläche bietet.
Gleichzeitig gibt es ja
diese Diskrepanz, dass junge
Journalisten möglichst alles
können sollen: Schreiben,
Fotografieren, Filmen,
Soziale Netzwerke bedienen,
vielleicht noch einen Podcast
aufnehmen. Wohin tendierst
du?
Ich denke, dass eine multimediale
Ausbildung heute auf jeden
Fall von Vorteil ist. Ich hatte
bisher das Glück vieles ausprobieren
zu dürfen: Ich habe
Print, Radio und Online schon
ein wenig kennengelernt. Fernsehen
möchte ich auf jeden Fall
auch noch testen. Bisher fand
ich alles spannend und konnte
jedem Medium etwas abgewinnen.
Letztlich geht es ja um die
Inhalte.
Gibt es denn immer noch Leute,
die sich dem verweigern,
die sagen: Nee, ich möchte
Edelfeder bei einer großen
Zeitung oder einem Magazin
werden und sonst nichts?
Ja klar, die gibt es immer noch.
Persönlich finde ich das auch
OK. Man muss sich dann aber
halt imKlaren darüber sein, dass
der Markt ziemlich eng ist – und
wahrscheinlichnochengerwird.
Aber ich glaube auch nicht, dass
Zeitungen und Magazine in den
nächsten zehn Jahren vollständig
verschwinden werden.
Blöde Bewerbungsfrage zum
Schluss: Wo siehst du dich in
zehn Jahren?
Ich habe keine Ahnung! Das ist
ja das Spannende. Ich möchte
möglichst viel ausprobieren, bevor
ich mich entscheide. Ich
glaube, wenn man seinen Job
gut macht, findet man immer
seinen Platz. Ich bin ein ziemlicher
Optimist.
Helge Hoffmeister studiert
an der Kölner Journalistenschule.
Foto: Cornelia Fischer/pr