Dienstag, 25. Juni 2019 · Nr. 144 100 Jahre MT Mindener Tageblatt 15
Was kommt eigentlich in die Zeitung?
100 Jahre
Nachrichten sind
sehr gute
Nachrichten!
Das Team von David & Kollegen
gratuliert dem Mindener Tageblatt
zum 100. Geburtstag!
Rechtsanwälte. Fachanwälte. Notare.
Hahler Straße 16
32427 Minden
www.david-kollegen.de
Nicht jedes Thema ist für jeden Leser gleich wichtig.
Die Auswahl folgt journalistischen Kriterien, manche Themen scheiden aber auch aus.
Von Henning Wandel
Minden (mt). Wenn die Stadt die Gebühren
für die Müllabfuhr erhöht
oder die Bundesregierung die Mehrwertsteuer,
ist das ganz selbstverständlich
immer eine Nachricht wert.
Selbstverständlich deshalb, weil jeder
davon betroffen ist: Mieter ebenso
wie Hausbesitzer – und als Verbraucher
ohnehin. Diese persönliche
Betroffenheit ist daher auch einer der
zentralen Nachrichtenwerte. In diesem
fiktiven Fall geht es zudem um aktuelle
Entscheidungen, also echte,
vielleicht sogar überraschende Neuigkeiten
– und schon wird die Berichterstattung
zum Pflichtprogramm.
Der ehemalige Chefredakteur des
Magazins Stern, Henri Nannen, hat
dafür einen Begriff geprägt, der bis
heute in jeder Redaktion bekannt ist:
der Küchenzuruf. Damals ließ Nannen
einen Hans im Wohnzimmer lesen
und dessen Frau Grete in der Küche
arbeiten. Und als Hans über die
Steuererhöhung liest, muss er diese
Unverschämtheit der Politik einfach
seiner Frau zurufen. Abgesehen
davon, dass Nannens Rollenverständnis
inzwischen längst überholt
ist, bleibt die Aussage aktuell: Der
Kern einer Nachricht soll sich in
einem kurzen Satz zusammenfassen
lassen.
Darüber hinaus sind in der Kommunikationsforschung
in den vergangenen
Jahrzehnten ganz unterschiedliche
Modelle entstanden, nach
denen die Relevanz eines Themas
möglichst objektiv beurteilt werden
kann. Faktoren wie Aktualität, Nähe
oder Betroffenheit tauchen unter
unterschiedlichen Namen immer
wieder auf. Auch Konflikte machen
ein Thema interessant – vor allem,
wenn sich an einem speziellen Fall ein
grundsätzliches Problem ableiten
lässt. Bei alledem geht es aus journalistischer
Sicht immer darum, die Interessen
der Leser zu treffen, für deren
Alltag also relevant zu sein. Und
genau an diesem Punkt wird es problematisch.
Während über die Relevanz mancher
Themen – Müllgebühren oder
Mehrwertsteuer zum Beispiel – nicht
lange diskutiert werden muss, sieht
das bei einem Konzert oder bei der Jahreshauptversammlung
der örtlichen
Schützen schon anders aus. Für Musikfreunde
mag die Rezension wichtig
sein, für die Vereinsmitglieder der
Rechenschaftsbericht des Vorsitzenden.
Gemessen an der Summe aller Leser
ist dieser Kreis aber eher klein.
Wenn ein berühmter Künstler auf der
Bühne gestanden hat, sieht das schon
etwas anders aus, wenn der Vorstand
verkündet, dass das Schützenfest
ausfällt, auch. Im ersten Fall greift
der Nachrichtenwert „Prominenz“, im
anderen geht es nicht nur um den Verein,
sondern wahrscheinlich um ein
ganzes Dorf, dessen Bewohner auf die
jährliche große Feier verzichten müssen.
Und trotzdem ist es praktisch unmöglich,
als Zeitung von der ersten
bis zur letzten Seite für jeden Leser interessant
zu sein.
Inzwischen kann die Relevanz
unterschiedlicher Themen anhand
des Leseverhaltens relativ genau gemessen
werden. Auf dieser Grundlage
lässt sich Relevanz an drei Punkten
festmachen: Wenn sich das Thema
um ein Problem dreht, das eine
große Gruppe von Lesern betrifft, und
die Zeitung bei den Verantwortlichen
nach einer Lösung fragt, ist die
Chance groß, dass die Geschichte viele
Leser findet. Klassische Themenfelder
sind zum Beispiel Verkehr,
Wohnen, Arbeit, Gesundheit oder Sicherheit.
Bei allem öffentlichen Interesse gibt
es für Berichterstattung aber auch
Grenzen. Rein private Streitigkeiten
etwa sollten besser vor Gericht geklärt
werden anstatt in der Zeitung.
Auch über einen Suizid berichtet das
Mindener Tageblatt nicht – es sei
denn, er findet ganz offensichtlich im
öffentlichen Raum statt. Dann nennt
die Redaktion aber immer auch Ansprechpartner,
die in persönlichen
Krisensituationen helfen können.
Auch der Schutz von Persönlichkeitsrechten
ist eine wichtige Grenze.
In Berichten über ein Verbrechen etwa
werden nur Details genannt, die
für die Wahrheitsfindung wichtig sind,
aber nicht solche, die nur die Sensationslust
bedienen. Das führt regelmäßig
auch zu der Frage, ab wann die
Nationalität eines Tatverdächtigen genannt
werden sollte. Laut Pressekodex
darf es keine diskriminierenden
Verallgemeinerungen geben. Die Zugehörigkeit
zu einer ethnischen oder
religiösen Minderheit ist demnach nur
bei einem begründeten öffentlichen
Interesse relevant.
Der Autor ist erreichbar
unter (05 71) 882 166 oder
Henning.Wandel@MT.de
Jeden Tag von Neuem füllen sich die leeren Seiten. Was dabei den Weg ins Blatt findet – und was nicht – folgt journalistischen
Regeln. Screenshot: Henning Wandel