Dienstag, 25. Juni 2019 · Nr. 144 100 Jahre MT Mindener Tageblatt 29
HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH
AN ALLE MITARBEITERINNEN & MITARBEITER
DES MINDENER TAGEBLATTES
Schaumburger
Wochenblatt
73.350
LIPPE
AKTUELL
141.445
Wunstorfer
Stadtanzeiger
31.460
Kollege Roboter
Zeitungen setzen zunehmend auf Künstliche Intelligenz.
Die Deutschen sehen die Technik skeptisch.
Berlin (dpa/hgd/mob). Eigentlich ist
der Begriff irreführend. Denn ein „Roboter“
im Sinne einer künstlichen Gestalt
(wie etwa der kleine „Pepper“ auf
dem Foto hier) ist gar nicht im Einsatz,
wenn von Roboterjournalismus
die Rede ist. Stattdessen handelt es
sich um ein Computerprogramm, das
Texte automatisch erstellt. Dazu verwendet
es Textbausteine sowie strukturierte
Daten. Eigentlich wären darum
auch Begriffe wie „Textautomat“
oder „algorithmusbasierte Nachrichtentexte“
richtiger.
Und diese Technologie (meist
wird sie auch unter künstliche
Intelligenz (KI) gefasst) wird
auch für die deutschen Zeitungsverlage
wichtiger. 74 Prozent
der Unternehmen halten
den Einsatz entsprechender Verfahren
für „relevant bis sehr relevant“,
bei den großen Verlagshäusern sind
es sogar 96 Prozent.
Insbesondere in marktnahen Bereichen
wie etwa in der Sport-, Wetter
und Börsenberichterstattung sollen
entsprechende Anwendungen
stark ausgebaut werden. Dies ist eines
der wesentlichen Ergebnisse der repräsentativen
Studie „Trends der Zeitungsbranche
2019“, die der Bundesverband
Deutscher Zeitungsverleger
(BDZV) Ende Januar 2019 vorgestellt
hat.
Wieso Sport? Weil eine Standard-Ergebnistabelle
mit Bausteinen gut und
extrem schnell in eine Textform gegossen
werden kann. „In der 21. Minute
versenkte der Stürmer den Ball
per Elfmeter ins Tor“ ist zwar nicht pulitzerpreis
verdächtig, der schlichte
Spielbericht kann aber dank vorgeformter
Textelemente sofort nach
dem Abpfiff veröffentlicht werden.
Logischerweise muss das Programm
mit Torschützen, Torvorlagen, Gelben
und Roten Karten, Mannschaften,
Auswechselungen und Verlängerungen
gefüttert werden.
Auch Wetterberichte können mit
vielen Textbausteinen erstellt werden:
Die Regenfront nähert sich von
Norden, ein Sturmtief zieht auf, die
Menschen schwitzen bei hochsommerlichen
Temperaturen... Je besser
Journalisten das Programm mit vielen
verschiedenen Sätzen und Situationen
ausstatten, desto „echter“ wirken
die Ergebnisse,
Obwohl künstliche Intelligenzen
immer weiter Einzug in den Journalismus
halten und die Verlage für
schlichte Texte zunehmend „Roboter“
einsetzen wollen, sind 45 Prozent
der Deutschen der Meinung, dass
sich diese Technologie nicht durchsetzen
wird. Entsprechend skeptisch
stehen sie automatisierten Nachrichten
gegenüber: 49 Prozent sind hier
eher kritisch, 28 Prozent lehnen diese
News ganz ab. Nur drei Prozent halten
Roboterjournalismus für sinnvoll.
Diese Einschätzungen spiegeln sich
in der Bewertung der Glaubwürdigkeit
automatisierter Nachrichten wider:
43 Prozent halten diese Meldungen
für unglaubwürdig, nur 18 Prozent
schenken diesem Content Glauben,
die restlichen 39 Prozent können
die Glaubwürdigkeit gar nicht
einschätzen. Entsprechend nachvollziehbar:
91 Prozent der Deutschen
sprechen sich für eine Kennzeichnung
von automatisiert erstellten Artikeln
aus.
Gekennzeichnet oder nicht, Roboterjournalismus
ist bereits in Europa
angekommen. Im Jahr 2017 befragte
der Journalist Alexander Fanta für das
Reuters Institut an der Oxford Universität
14 europäische Nachrichtenagenturen,
ob sie automatisierte Texte
verwenden. Das Ergebnis: Acht
Unternehmen – darunter auch die
Deutsche Presse-Agentur – gaben an,
solche Text-Roboter einzusetzen, zwei
weitere planten deren Einführung.
Übrigens: Das Mindener Tageblatt
ist nicht darunter. Noch nicht?
Roboterjournalisten sind Computerprogramme.
„Pepper“
schreibt keine Artikel. Foto: Lehn
PRO
Effiziente Hilfe
ohne Fehler
V o n H a n s - G e o r g
G o t t f r i e d D i t t m a n n
Nachrichten sind wichtig. Fakten
müssen veröffentlicht werden.
Doch muss ein Redakteur den
kompletten Prozess durchführen?
Nein.
Die Frage, die das Thema des Roboterjournalismus
brisant macht,
ist die nach der Kontrolle. Die KI
ist in der Lage, ohne den Menschen
einen Artikel zu generieren,
der für den Leser nicht mehr
von einem „von Hand geschriebenen“
Text zu unterscheiden ist.
Der Mensch sollte am Anfang
und am Ende des Artikels stehen
– das Thema wählen und das
Endprodukt checken. Mehr nicht.
News-Bots entlasten Redaktionen
von Routineaufgaben. Sie funktionieren
nach Algorithmen. Mathematisch.
Effizient. Schnell. Das
spart Arbeitszeit.
Diese Zeit kann der Journalist
nun für die Dinge nutzen, die ihn
einst dazu bewegten, seinen Beruf
zu wählen: Geschichten über
Menschen schreiben. Geschehenes
einordnen. Zusammenhänge
aufdecken. Dafür braucht es Gespür
und Menschenkenntnis,
Eigenschaften, die eine KI (noch)
nicht entwickeln kann. Empathie
ist kein Algorithmus.
Der Kollege Roboter ist ein Zuarbeiter,
ein effizienter Helfer,
der die Arbeit erleichtern kann
und unbeliebte Aufgaben übernimmt.
Und das extrem gut.
Contra
Keine
Qualität
V o n P a t r i c k S c h w e m l i n g
Der Roboterjournalismus wird
immer präsenter: Viele Verlage
beschäftigen sich mit der Anschaffung
von Software, die Texte
schreibt, für die eigentlich Menschen
zuständig sein müssten.
Aber wieso soll in der ohnehin
schon schwierigen Zeit für die
Medienbranche auch noch auf
das wichtigste Gut – nämlich
Qualität – verzichtet werden?
Denn nichts anderes würde dieser
Schritt bedeuten.
Diese Roboter können viel, keine
Frage. Manchmal ähneln ihre Produkte
den Texten von echten
Journalisten sogar. Sie sind sogar
weniger fehleranfällig, weil sie
Schreibregeln kennen, automatisch
Wiederholungen vermeiden
können oder auch Vorgaben zum
Sprachstil beachten. Trotzdem:
Die Maschinen werden nie beherrschen,
was ein Mensch kann.
Sprachliche Kreativität, Assoziation,
Intellektualität sind für
Computer nach wie vor unerreichbar.
Kein Algorithmus
dürfte in der Lage sein, mit
menschlichem Einfühlungsvermögen
ein Gespräch zu führen
oder zwischen den Zeilen die
eigentliche Aussage seines
Gegenübers herauszuhören.
Genau deswegen ist Roboterjournalismus
vielleicht eine schöne
Spielerei, aber niemals auch nur
eine ernsthafte Alternative zu
dem Handwerk, das echte Journalisten
mit Herzblut betreiben.