16 Mindener Tageblatt 100 Jahre MT Nr. 144 · Dienstag, 25. Juni 2019
„Es gibt das Problem der mangelnden Distanz“
Der Medienwissenschaftler Michael Haller glaubt an eine Zukunft des lokalen Journalismus. Aber nur, wenn Verlage
attraktive Digitalprodukte starten und Journalisten das Kuscheln mit den Eliten sein lassen.
Jeder hat sein Rezept,
gesund zu bleiben.
Und wenn das mal
nicht hilft, helfen wir.
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Von Benjamin Piel
Minden (mt). Lokalzeitungen haben
zu kämpfen. Alte Leser brechen weg,
neue kommen nur spärlich nach. Der
Medienwissenschaftler und Journalist
Prof. Dr. Michael Haller beschäftigt
sich seit Jahren mit der Frage, wie
Medien einen Weg in die Zukunft finden
können. Der wissenschaftliche Direktor
des Europäischen Instituts für
Journalismus- und Kommunikationsforschung
in Hannover und frühere
Spiegel- sowie Zeit-Redakteur ist überzeugt,
dass Lokaljournalismus eine
Zukunft hat, wenn er nicht am Publikum
vorbeiarbeitet.
Die Luft für Lokalzeitungen ist
dünner geworden. Was müssen sie
tun, um die kommenden Jahre zu
überleben?
Der rasante Reichweitenrückgang
und die Kostensteigerung in Druck
und Vertrieb geben keine gute Prognose.
Die jungen Leute, aber auch
die Werbewirtschaft, fühlen sich bei
den Onlinemedien zu Hause. Noch für
lange Zeit ist das Smartphone als Allin
one-Kommunikationsmittel unschlagbar.
Da muss ich gleich einhaken, denn
es ist ja nicht so, als würden wir
Zeitungsmedien nicht digital sehr
aktiv sein und Kunden auf dem
Smartphone erreichen.
Ja, und davon wird alles abhängen.
Werden die Zeitungsverlage die verschiedenen
Ausgabekanäle publikumsgerecht
nutzen? Es kommt auf
die Multimedialität an. Es ist so, wie
wenn der Solist, der bislang allein Klavier
gespielt hat, jetzt ein ganzes Ensemble
dirigieren muss. Das ist nicht
leicht, aber man kann es lernen.
Eine unserer größten Herausforderungen
ist, dass Nutzer online oft
nicht bereit sind, Geld für journalistische
Angebote auszugeben. Ist das
eher den Nutzern anzukreiden oder
den Verlagen, die keine attraktiven
Angebote machen?
Gestatten Sie mir das drastische Sinnbild
der Suchtabhängigkeit zu benutzen.
Dealer geben gern ihr Rauschgift
probeweise, um die Kunden abhängig
zu machen. „Anfixen“ nennen
sie das. Die kommerziellen Onlinemedien
haben in den 90er-Jahren
etwas Ähnliches gemacht. Heute
werden die Handy-User mit sogenannten
Push-News zugemüllt. Für
die jungen Leute ist es normal, alle
News kostenlos zu bekommen. Die
Umgewöhnung auf kostenpflichtige,
dafür aber zuverlässige Nachrichten
ist ähnlich wie der Entzug der Droge.
Das wird für alle Beteiligten kein leichter
Weg. Aber er muss beschritten werden
und das Publikum muss lernen,
dass guter Journalismus nicht für lau
zu haben ist.
Sehen Sie für die Zukunft die Chance
einer Trendumkehr in Sachen Online
Erlösmodelle für journalistische
Medien?
Ich habe leider kein Talent für Prophetie.
Ich denke aber, dass die Medienmacher
noch viel erproben und
experimentierensollten,um Wege für
die Refinanzierung der journalistischen
Angebote zu finden. Und die
gibt es, wie ein Blick ins Ausland, nach
Skandinavien und in die angloamerikanischen
Staaten verheißt.
Wenn Sie mich fragen, dann ist ein
stabiles Geschäftsmodell unter anderem
nur dann erreichbar, wenn Lokalmedien
ihr Verhältnis zu den lokalen
Eliten überdenken, um eine
Existenzberechtigung zu haben.
Seit Ende der 90er-Jahre bemühen
sich viele Zeitungsredaktionen,
auf die veränderten Informationswünsche
und Kommunikationsstile
der jüngeren Erwachsenen zu reagieren.
Mehr Nutzwert, mehr Lesernähe,
auch mal positive Nachrichten
und mehr Erzählstoff. So lautete in
vielen Redaktionen die Ansage. Das
war nicht falsch. Aber es zielt am Kern
des Problems vorbei. Sie haben ganz
recht: Das Problem besteht darin,
dass die Lokaljournalisten sich von
den Unternehmen, Behörden, Institutionen
und deren Sprechern abhängig
gemacht haben. Viele Bürger
beklagen sich darüber, dass ihre
Wahrnehmung des Alltags nicht
mehr viel mit dem zu tun hat, was
die Zeitung thematisiert. Das hängt
mit der erwähnten Ausrichtung der
Journalisten auf die Institutionen zusammen.
So lebensfremd, wie viele
Menschen derzeit die Politik wahrnehmen,
so empfinden sie auch die
Sicht, die ihre Lokalzeitung bietet.
Viele Berichte des Lokalteils funktionieren
als Einbahnstraße: vom
Veranstalter über das Medium zum
Publikum. Das ist der Stil aus den analogen
Zeiten. In der heutigen Online
Kommunikation muss dialogisch
gedacht und das öffentliche Gespräch
gesucht werden.
Noch einmal konkreter gefragt:
Wie ist es um das Thema Nähe
zwischen Lokalredaktionen und
lokalen Entscheidern bestellt?
Natürlich ist es wichtig, die lokalen
Entscheider gut zu kennen und mit ihnen
im Gespräch zu bleiben. Schließlich
sollten die Journalisten wissen,
wer warum wichtige Entscheidungen
treffen will. Aber sie sollten gleichwohl
Distanz halten und sich die Sicht
der Eliten nicht zu eigen machen, sondern
mit alternativen Sichtweisen
konfrontieren. Bei verschiedenen Lokalmedien
gibt es das Problem der
mangelnden Distanz. So mancher Bericht,
so mancher Kommentar liest
sich so, als sei er nicht an die Leser, sondern
an die Entscheider gerichtet.
Aber haben Lokalmedien nicht auch
sehr viel Arbeit und Geld investiert,
um inhaltlich attraktiver zu werden?
Ihre Nachfrage ist berechtigt, denn
bei aller Manöverkritik haben die Lokaljournalisten
trotz Personalabbaus
und Sparmaßnahmen große
Anstrengungen auf sich genommen,
um tagtäglich einen informativen
und attraktiv aufgemachten Lokalteil
zu produzieren. Ich kenne so
manche Lokalausgabe, die auch heute
noch ein breites Themenspektrum
abdeckt und dafür sorgt, dass
ihre Leser über alle wichtigen Vorgänge
im Bilde sind.
Was müssen Mediennutzer von
lokaljournalistischen Angeboten
erwarten können?
Das derzeit Wichtigste ist das Gefühl,
von den Medien ernst genommen
und verstanden zu werden. An
zweiter Stelle kommt der Wunsch,
über die Vorgänge im Verbreitungsgebiet
zutreffend und hintergründig
orientiert zu werden. Drittens wollen
die Menschen bei politisch wichtigen
Fragen die unterschiedlichen
Positionen und Sichtweisen erfahren.
Schließlich soll die Mediennutzung
auch ein bisschen Spaß machen
und keine anstrengende Arbeit
sein.
Wird der Blickwechsel erfolgreich
sein oder werden innerhalb der
kommenden Jahre mediale Wüstungen
in Deutschland entstehen?
Ich will es umgekehrt sagen: Wir müssen
alles tun, damit unabhängig und
zuverlässig informierende Lokalmedien
erhalten bleiben. Es wäre für den
sozialen Zusammenhalt in den Städten
eine Katastrophe, wenn sich die
Menschen nur noch über werbegetriebene
und von der PR abhängige
Newsanbieter informierten und in
Echokammern von Facebook ihre
Vorurteile bestätigten.
Prominente, umringt von Pressefotografen. Aber wie nah ist zu nah? (Hier Norbert Hofer, designierter Vorsitzender
der FPÖ, nach dem politischen Beben wegen eines Skandal-Videos). Foto: Georg Hochmuth/dpa
Michael Haller
■ Der deutsche Journalist und Medienwissenschaftler
Michael Haller
war von 1993 bis Ende 2010
Professor für Journalistik am Institut
für Kommunikations- und
Medienwissenschaft der Uni
Leipzig. Zuvor arbeitete er lange
als Redakteur und Reporter bei
„Spiegel“ und „Die Zeit“. Zu seinen
Forschungsgebieten gehören
Medienethik und Qualitätssicherung
im Journalismus. Er veröffentlichte
mehrere weit verbreitete
Praxisbücher zum Journalismus
und setzte grundlegende
Standards in der Ausbildung.
Prof. Dr. Michael Haller.
Foto: Kreuzkam/HMS