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Freitag, 18. September 2015 · Nr. 217 Arbeit 2015 Mindener Tageblatt 27 Mit dem Alter ändern sich die Bedürfnisse an die Arbeitszeiten. Trotz einiger Startprobleme würde Elektroinstallateur Reinhard Maaß keinen anderen Beruf wählen Minden (hmf). Eigentlich wollte Reinhard Maaß (57) ja Fernsehtechniker werden. „Doch nach meinem Realschulabschluss war es seinerzeit gar nicht so einfach, einen Ausbildungsplatz zu bekommen“, erinnert sich heute der Elektroinstallateur-Meister, der als Betriebsleiter in einem Mindener Fachbetrieb tätig ist. Dass er nach der Schule eine andere – wenngleich artverwandte – Richtung einschlug, bedauert Maaß keinesfalls. Anfangs habe er sich schon ein bisschen schwergetan, wie er zugibt, und sich öfter die „Was-wärewenn Frage“ gestellt. „Doch irgendwann fing die Arbeit an, mir richtig Spaß zu machen“, ergänzt er. Der sprichwörtliche Funke war übergesprungen. Schulungen und Fortbildungen folgten – bis hin zur Meisterprüfung. In mehr als 40 Jahren hat sich das Berufsbild deutlich gewandelt. Nicht Als der Funke übersprang nur die offizielle Bezeichnung des Berufes: „Heute ist das nämlich der Elektroniker Fachrichtung Gebäudetechnik“, berichtet Reinhard Maaß aus seiner Praxis. Wie die Berufsbezeichnung schon vermuten lässt, werden auch die Aufgaben und Anforderungen immer komplexer. „Früher hatte jedes Zimmer einen Lichtschalter, eine Steckdose und in der Mitte an der Decke eine Glühbirne. Das war’s dann meist schon.“ Heute erwarte der Kunde – ob privat oder geschäftlich – einfach mehr. Mehr Komfort, mehr Steckdosen, mehr Anschlüsse für Kommunikation und EDV. Nicht in jedem Fall müssen für die Nachrüstung in Bestandsgebäuden Schächte geklopft werden. „Vieles lässt sich inzwischen per Funk realisieren, oder Leitungen werden in den Kabelschächten von Fußleisten versteckt“, sagt Reinhard Maaß. Wichtig ist auch in der Elektro-Branche, sich auf den Kunden einzustellen. „Der Kunde will kein Fachchinesisch hören. Er will wissen, ob seine Vorstellungen umgesetzt werden können. Und dazu muss man neben den örtlichen Gegebenheiten auch die technischen Möglichkeiten kennen und wissen, was der Markt bietet“, so Maaß. Ständiges Dazulernen sei auch in seiner Branche eine Grundvoraussetzung. Wurde statt Fernsehtechniker doch lieber Elektroinstallateur: Reinhard Maaß Foto: Harald Fichtner Wichtig ist auch in der Elektro-Branche, sich auf den Kunden einzustellen. „Der Frühdienst ist besser fürs Privatleben.“ Auch in anderen Branchen sind vor allem die frühen Schichten beliebt, besonders wenn es ein Kind zu betreuen oder einen Angehörigen zu pflegen gibt. „Das ist schwierig, wenn Eltern nur die frühen Arbeitszeiten wollen“, weiß André M. Fechner von den Mitgliedsunternehmen im AGV. Die müssten aus der Not eine Tugend machen und mal eine „Wurst extra braten“ – besonders in Zeiten des Fachkräftemangels: „Nicht nur mit Geld, sondern dem Drumherum. Etwa, indem man einen Babysitter für die Nachtbetreuung organisiert.“ Und die Unternehmen müssten Konzepte zur Selbsthilfe entwickeln. Fechner nennt Betriebskindergärten mit flexibleren Betreuungszeiten, Home-Office und Vertrauensarbeitszeit als Beispiele. Ein Umdenken sei auch mit Blick auf die kommenden Generationen nötig: Die würden feste Kernarbeitszeiten infrage stellen. „Ein mobiler Arbeitsplatz ermöglicht das Arbeiten in vertrauter Wohlfühlumgebung, wenn die Kinder schon im Bett sind.“ In der Pflege lässt sich das wohl nicht realisieren. Auch Roboter werden die Arbeit am Patienten nicht ersetzen können, meint Andreas Brümmer. „Keine Maschine kann die menschliche Fürsorge und Zuwendung ersetzen. Eine Krankenschwester sieht sofort, wie es einem Patienten geht.“ Leben in Schichten Arbeiten, wenn andere noch schlafen oder schon Feierabend haben – das ist für Schichtarbeiter Alltag. Für sie – wie auch für die Unternehmen – ist die Organisation rund um die atypischen Dienstzeiten eine Herausforderung. Von Doris Christoph Minden (mt). Arbeiten, wenn andere schlafen, Feierabend haben, wenn andere noch malochen, oder am Tag schlafen, um sich von der Nachtschicht zu erholen – reizvoll klingt Schichtarbeit nicht. Trotzdem: Mehr als die Hälfte (58 Prozent) aller Erwerbstätigen arbeitete im Jahr 2011 mindestens gelegentlich zu sogenannten atypischen Arbeitszeiten, zu denen neben Wechselschichten auch Abend- und Nachtarbeit sowie Dienste am Wochenende gehören. Das schreibt das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in seinem Bericht zu „Schichtarbeit und Gesundheit“. Dabei ist die Wechselschicht die zweithäufigste Form der Schichtarbeit, 14 Prozent der Erwerbstätigen lassen sich ihr zuordnen. Vor allem im produzierenden Gewerbe wird laut IAB-Bericht in Schichten gearbeitet. In manchen Betrieben sogar rund um die Uhr, „Vollkonti“ nenne sich das, erklärt André M. Fechner Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands Minden Lübbecke (AGV). „Das steht für vollkontinuierlich. Die Maschinen sind so teuer, dass sie rund um die Uhr im Einsatz sein müssen.“ Mit zunehmender Automatisierung in der Produktion rechnet Fechner aber damit, dass vor allem hier Arbeitsplätze wegfallen. „Die Zuarbeiter werden dann durch Maschinen ersetzt.“ Die Helferjobs würden zwar weniger, dafür nähmen Innovationsjobs zu. Und auch deren Arbeitszeit sieht Fechner nicht unbedingt von 8 bis 17 Uhr. Schon jetzt gibt es Schichtdienste nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Verwaltung. „Man muss morgens um 6 Uhr für Japan und abends um 22 Uhr für die USA erreichbar sein. Dazu braucht es innerbetriebliche Lösungen und ein Mini-Schichtsystem“, erklärt er. Unersetzlich ist Schichtarbeit vor allem in der Pflege. Allein im Johannes Wesling Klinikum (JWK) in Minden arbeiten 1000 Mitarbeiter in Wechselschicht. Vor welche Herausforderungen das Arbeitgeber und -nehmer bei der Planung stellt, weiß Andreas Brümmer. Der gelernte Krankenpfleger und Leiter der onkologischen Station im JWK ist für die Dienstpläne seiner Kollegen zuständig und muss die Schichtarbeit selber mit seinem Familienalltag in Einklang bringen. In der Frühschicht klingelt für den 41-Jährigen aus Stolzenau um 4.50 Uhr der Wecker. Dann macht er sich schnell fertig, um 6 Uhr beginnt sein Dienst. Während sich Brümmer um Patienten kümmert „Pflegemanagement“-Studium. Hat er Spätdienst, schläft der Kleine schon, wenn Papa nach Hause kommt. Seit 1995 ist Brümmer in der Pflege tätig, seit zehn Jahren Stationsleiter. 26 Stellen mit 35 Köpfen, darunter zehn Mitarbeiter mit Kindern bis zum schulpflichtigen Alter, muss er bei der Dienstplanung unter einen Hut kriegen. Gearbeitet wird im Drei- Schicht-System: Beginn ist entweder um 6, 12.50 oder 20.30 Uhr. Die Bedürfnisse und Anforderungen an die Arbeitszeiten ändern sich mit dem Alter und den privaten Lebensverhältnissen. „In jüngeren Jahren dreht sich viel ums Wochenende“, erinnert sich Brümmer an seine Anfangszeit. Das ist auch heute noch so, wenn er mit den jüngeren Kollegen spricht. Denn alle 14 Tage steht ein Wochenenddienst an. Der Wunsch nach Kernarbeitszeiten nimmt zu, wenn Mitarbeiter Nachwuchs zu versorgen haben. „Wir sind nach der Elternzeit relativ flexibel. Und meist kann man den Mitarbeitern die Dienste anbieten, die sie wollen“, sagt der Stationsleiter. Die Frühschicht ist besonders beliebt, denn in dieser Zeit lässt sich die Kinderbetreuung am besten regeln. Schichtarbeit sieht Brümmer vor allem als Vorteil, wenn nur einer der Partner davon betroffen ist und der andere Kernarbeitszeiten hat. „Dann steigen viele in die Nachtschicht ein.“ Wenn beide im Schichtdienst arbeiten, werde es schwierig, wie bei einem seiner Kollegen. „Das ist eine immense Herausforderung. Einer kommt quasi nach Hause und gibt das Auto ab, der andere fährt dann zur Arbeit. Gemeinsame Wochenenden sind selten. Bei dem Kollegen weiß ich, ich kann ihn nicht einfach in eine andere Schicht stecken.“ Wenn dann zum Beispiel keine Großeltern da sind, die helfen, wird es schwierig. Auch Brümmer sagt: „Ich habe den Vorteil, dass ich mit meinen Eltern unter einem Dach lebe. Sie sind ein großer Rückhalt.“ Auf die Hilfe ihrer Familie ist auch die Auszubildende Sunny Klein (19) angewiesen: Während die angehende Gesundheits und Krankenpflegerin arbeitet, bringen die Großeltern ihre einjährige Tochter zur Tagesmutter. Nach der Frühschicht kann sie das Mädchen abholen, beim Spätdienst springen wieder ihre Großeltern ein, denn Sunnys Mutter arbeitet selber noch. „Es ist schon schwierig zu vereinbaren“, sagt sie. Und: 1000 Mitarbeiter arbeiten am Johannes Wesling Klinikum in Minden im Schichtdienst, zwei davon sind Andreas Brümmer und Sunny Klein. MT-Foto: Doris Christoph und zum Beispiel die Schichtpläne für das Personal macht, bringt seine Frau den dreijährigen Sohn in die Kita und fährt selbst zur Arbeit. Um 12 Uhr wird der Kleine von seinen Großeltern abgeholt. Um 14.15 Uhr ist für Brümmer Feierabend, ab 15 Uhr übernimmt er die Betreuung des Kindes. Und wenn der Sohn im Bett ist, lernt der 41-Jährige noch für sein nebenberufliches Manche Maschinen laufen rund um die Uhr Frühschicht ist bei Eltern besonders beliebt „Begehrt sind die Arbeitszeiten, wenn Kinder in der Schule sind. Für andere Schichten ist es schwierig, jemanden zu finden.“ André M. Fechner, Geschäftsführer Arbeitgeberverband Minden-Lübbecke


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