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Freitag, 18. September 2015 · Nr. 217 Arbeit 2015 Mindener Tageblatt 29 „Ich wollte nicht nur auf den Tod warten“ Peter Radszuweit ist auch mit knapp 69 Jahren noch mit Leib und Seele in seinem Job tätig. Erzieherin Doris Deerberg. Foto: Sabine Otterbeck „Entscheidung nie bereut“ Doris Deerberg arbeitet im Kindergarten Minden (ott). Der Umgang mit kleinen Kindern war für Doris Deerberg schon immer eine Herzensangelegenheit. „Da lag es nahe, auch beruflich einen entsprechenden Weg einzuschlagen“, erinnert sie sich. Sie wurde Erzieherin im Kindergarten. „Diese Entscheidung habe ich nicht bereut“, sagt Doris Deerberg, die seit ihrer Ausbildung Anfang der 1980er Jahre den Nachwuchs auf den Weg bringt. Selbst nach mehr als 30 Jahren ist die Freude daran, Kinder ein Stück in ihrer Entwicklung zu begleiten, ungebrochen. „Manches ist zwar anstrengend“, lenkt sie ein, „aber der vertrauensvolle Umgang mit den Kindern bringt vor allem viel Spaß.“ Weit entfernt vom früheren Klischee der „Kindergartentante“ rücke der Bildungsauftrag verstärkt in den Fokus. „Er stellt uns Erzieherinnen vor immer mehr Aufgaben, ohne dass zusätzliches Personal eingestellt wird“, sagt Doris Deerberg. Außerdem sei Elternarbeit wichtiger geworden, verweist sie auf die ganzheitliche und familienergänzende Ausrichtung ihrer Tätigkeit. „Wir holen Kinder dort ab, wo sie stehen, begleiten und unterstützen sie in ihrer Entwicklung und arbeiten eng mit den Eltern zusammen.“ Auch der Ausbau der U3-Betreuung stelle eine neue Herausforderung dar. Doch die nimmt Doris Deerberg gerne an. Aber: „Das Kinderbildungsgesetz legt uns so manchen Stein in den Weg.“ Die Stunden für Erzieherinnen würden erst kurz vor einem neuen Kindergartenjahr bekannt gegeben, dadurch werde eine längerfristige Planung der Kindergartenarbeit erschwert. Laufe der Jahre gelernt, dass man nicht immer gleich „beim ersten Sturm von Bord gehen muss“. Mit etwas Power könne so manche Hürde gut bewältigt werden. Jüngere Kollegen gerieten häufig viel zu schnell in Panik, wenn einmal etwas nicht ganz so rund laufe. „Ich lasse mich nicht mehr so ohne Weiteres ins Bockshorn jagen. Ich bleibe erst einmal gelassen und schaue in Ruhe, was man tun kann“, betont Peter Radszuweit. Es sei längst nicht immer gut, umgehend zu reagieren. Mitunter müsse man ganz einfach ein wenig abwarten. „So ein alter Fuchs hat das Schleichen im Laufe der Zeit sehr gut gelernt“, schmunzelt Peter Radszuweit. Auch viele Kollegen seien froh, dass er noch aktiv sei. „Für sie bin ich sozusagen der ruhende Pol.“ Und sollte der ein oder andere mal frotzeln, dann lehnt der Senior sich nur zurück und sagt: „Was wollt ihr denn, ich bekomme mein Geld von Angela.“ Dass er sein zusätzliches Gehalt versteuern muss, akzeptiert Peter Radszuweit. Verärgert ist er jedoch, dass davon auch seine Rente betroffen ist. „Das ist irgendwie nicht gerecht.“ Einfach nur auf „den Tod zu Warten“, sei für ihn nie eine Option gewesen. „Solange es meine Kräfte erlauben, werde ich mich beruflich noch einbringen“, sagt der 68-Jährige, der in wenigen Tagen seinen 69. Von Ulrike Mißbach Minden (mt). Kaum in Rente und schon wieder im Büro? Die Zahl der Senioren, die auch nach Eintritt in den Ruhestand weiterarbeiten, hat in den zurückliegenden Jahren zugenommen. Die Gründe sind unterschiedlich. Während Frauen häufig weiter arbeiten, um ihre spärliche Rente aufzubessern, werden Fachkräfte nicht selten von ihren Vorgesetzten gebeten, ihr über die Jahre erworbenes Know-how dem Unternehmen noch einige Jahre weiter zur Verfügung zu stellen. In den Betrieben heißen sie „Space Cowboys“, „Golden Workers“ oder etwas nüchterner „Senioren-Experten“. Einer von ihnen ist der 68-jährige Peter Radszuweit. Seit 43 Jahren arbeitet er für die Firma Müller Umwelttechnik in Schieder-Schwalenberg. Das Unternehmen stellt Nassabfall-Entsorgungsfahrzeuge und -geräte her. Seine beiden Chefs – die er schon seit Kindesbeinen kennt – wären froh, dass er sein über die Jahre erworbenes Wissen, auch heute noch ins Unternehmen einbringe, erklärt Peter Radszuweit, der als Produktionsleiter tätig ist. Besonders Stammkunden freuten sich, dass er sie noch länger betreue. „Ich habe nie studiert, aber bei gewissen Dingen sind langjährige Erfahrungen sowie ein gutes Bauchgefühl deutlich mehr Wert“, meint der überaus vitale Senior. So habe er im Der 68-jährige Peter Radszuweit ist auch im Ruhestand noch beruflich voll aktiv. Für junge Kollegen ist er ein ruhender Pol. präsentative Aufgaben übernommen. „Das liegt mir einfach.“ Doch wer nun denken könnte, dass er allein von und mit seiner Arbeit lebt, der täuscht gewaltig. Der 68-Jährige ist in verschiedenen Vereinen aktiv, reist um die Welt und arbeitet gerne im Garten. „Irgendwann werde ich nur noch halbe Tage arbeiten und auch mehr von Zuhause aus erledigen“, erklärt der Senior. Gewisse Freiheiten erlaube er sich aber auch heute schon. „Ich mache zum Beispiel keine administrativen Sachen mehr“, berichtet er. Dafür habe er mehr re- Geburtstag feiert. Seine Familie stehe ebenfalls voll hinter ihm. „Meine Frau ist auch noch im Tourismusbereich tätig.“ Momentan arbeite er noch im Schnitt sieben Stunden pro Tag. Im Laufe der Zeit wolle er seine Arbeitszeit jedoch ein wenig reduzieren. Foto: Wolfgang G. Mueller/pr. Langjährige Erfahrung und ein gutes Bauchgefühl Immer erst einmal gelassen bleiben Oldies im Mühlenkreis noch eher selten Bislang kaum Nachfrage nach Senior-Experten bei der also ein Mittel gegen den Fachkräftemangel? Bei der IG Metall ernten solche Überlegungen Kopfschütteln. „Das wird weder den Fachkräftebedarf der Zukunft decken noch für Tätigkeiten geeignet sein, die physisch oder psychisch besonders belastet sind“, heißt es. Dies sei eher etwas für Spezialisten. Wenn die Menschen das wollten, spreche nichts dagegen. Ein Massenphänomen werde es jedoch nicht. Die Oldies seien oft belastbarer und hätten mehr Improvisationsgeschick. „Die Jungen hingegen arbeiten ihre Aufgaben häufig eher isoliert ab und sind dabei eingleisig unterwegs.“ Bei Gegenwind schmissen jüngere Manager relativ oft früh hin, die älteren seien da standfester. „Gerade in schwierigen Zeiten braucht eine Firma erfahrene Kräfte, die schon so manche Krise gemeistert haben.“ Sind „Senioren-Experten“ me ältere Mitarbeiter früh in Rente geschickt, dadurch seien massiv Kompetenzen verloren gegangen, betont Peter Fuß von der Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. „Nur mit jungen, unerfahrenen Mitarbeitern kann man das nicht ausgleichen – das merken viele Firmen und sie suchen daher einen Weg, das Know-how der Älteren wieder in die Firma reinzubringen“, erklärt Peter Fuß. Minden (um). Die Senioren in Deutschland sind fitter und aktiver als je zuvor. Sie schreiben sich an Universitäten ein, reisen, genießen ihre Freizeit. Doch immer häufiger trifft man sie auch als sogenannte Senior-Experten in Unternehmen an. Der geballte Erfahrungsschatz der Oldies sei in vielen Firmen einfach noch gefragt, heißt es. Bislang sprechen die Zahlen bei der Agentur für Arbeit in Herford jedoch noch nicht für diesen Wandel. „In den zurückliegenden Jahren hat es nur sehr wenige heimische Unternehmen gegeben, die über 60-Jährige neu eingestellt haben“, erklärt Elke Greywe, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit in Herford. Das könne sich natürlich in einigen Jahren – wenn sich der Facharbeitermangel weiter ausbreite – noch ändern. Da die Arbeitnehmer dann jedoch ohnehin bereits bis zu ihrem 67. Lebensjahr arbeiten müssten, glaubt Elke Greywe jedoch auch dann nicht an eine übermäßige Nachfrage. Derzeit sind bei der Arbeitsagentur sieben Rentner gemeldet, die einen Job suchen. Viele Firmen hätten durch Restrukturierungsprogram- Agentur für Arbeit in Herford Bislang ist in den heimischen Unternehmen die Nachfrage nach älteren Mitarbeitern noch eher gering. Foto: dpa Sieben Rentner suchen im Mühlenkreis einen Job


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