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24 Mindener Tageblatt Arbeit 2015 Nr. 217 · Freitag, 18. September 2015 Generation Y trifft Kriegskind Als Hermann Gärtner anfing zu arbeiten, gab es noch keine Handys und kein Internet. Jannes Tilicke ist 57 Jahre jünger und kann sich sein Arbeitsleben gar nicht mehr ohne vorstellen. prozentig sicher. „Es verändert sich gerade viel“, sagt der Student. Er, der mit dem Internet aufgewachsen ist und mit fünf Jahren das erste Mal vor dem Computer seines Vaters saß, ist sich sicher, dass sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung maßgeblich verändern wird. „Durch das Internet ist mehr Flexibilität möglich. Ich muss nicht unbedingt in einem Büro sitzen, um meine Arbeit machen zu können. Das könnte ich auch von zu Hause.“ Ein Problem, das beide sehen, ist die ständige Erreichbarkeit. „Der Arbeitgeber kann einen ständig anrufen oder E-Mails schicken“, sagt der 24-Jährige. Gärtners Vorschlag, das Handy in der Freizeit einfach auszuschalten und aufs Internet zu verzichten, kommt für Tilicke nicht in Frage. „Über mein Handy oder das Internet halte ich ja den Kontakt zu meinen Freunden“, erklärt er dem Senior, der das nicht so ganz nachvollziehen kann. Klar rufen ihn auch seine Kinder und Freunde auf dem Handy an, aber um sein Privatleben zu organisieren braucht der 81-Jährige es nicht. „Schreiben Sie E-Mails?“, fragt Tilicke den Senior. Er schüttelt den Kopf und sagt: „Wenn, dann Briefe“. „Und ich verwechsele immer Absender und Adressat und bekomme dann die Post zurück“, sagt Tilicke. Gärtner muss lachen. Das ist ihm noch nie passiert. vom Ruhestand. Von seiner Arbeit kann sich der Senior noch nicht trennen. „Es macht mir Freunde, warum sollte ich aufhören?“, sagt er. In der vierten Etage im Verwaltungsgebäude bei Porta-Möbel in Vennebeck hat er sein Büro. Ein Schreibtisch, ein großer Besprechungstisch, Regale, Schränke und Bilder der Familie stehen darin. Im Unternehmen ist er für die Kontakte im Ausland verantwortlich. „Gestern war ich in Polen“, sagt er. Außerdem beschäftigt er sich mit seiner Herzensangelegenheit: der Andreas-Gärtner-Stiftung, die seinem behinderten und mittlerweile verstorbenen Sohn Andreas gewidmet ist. Gerade eben hat er noch sein Ok für eine große Spendenaktion im Möbelhaus abgegeben. Aber auch die Familie steht bei den Kriegskindern, wie dem 1934 geborenen Gärtner, auf der Prioritätenliste ganz oben. Die Familie spielt auch bei Tilicke eine große Rolle. „Wenn ich später eine Familie gründen will, geht das nur, wenn ich das auch finanzieren kann. Dafür brauche ich Arbeit. Doch wann ist der richtige Zeitpunkt dafür?“, fragt der Student den Senior. Gärtner kann ihm das nicht beantworten. Wahrscheinlich wird sich das noch hinziehen, sind sich beide einig. Dass immer mehr junge Menschen Abitur machen und studieren, sieht der Senior teilweise auch als Gefahr. „Für den Einzelnen ist das sicher toll, aber ich glaube nicht, dass der Markt für alle hoch ausgebildeten Menschen einen Posten hat“, sagt er. Eine Garantie, dass man auch Erfolg hat, gebe es nicht. Körperliche Arbeit wird seiner Meinung nach auch in der Zukunft gefragt sein. Tilicke ist sich da nicht hundertten der persönlichen Weiterentwicklung und Weiterbildung, flexible Arbeitszeiten, Arbeitszeitkonten, Elternzeit oder Sabbaticals bieten“, steht im „Grünbuch – Arbeit weiter denken“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Karriere rückt in den Hintergrund. Hermann Gärtner sieht das ähnlich, doch die Themen Geldverdienen und Karriere spielen für ihn eine größere Rolle. „Arbeit wird erst schön, wenn sie Freunde macht und Erfolg bringt“, sagt der Senior. Geprägt von den Erlebnissen des Zweiten Weltkrieges werden in seiner Generation Werte wie Disziplin, Sicherheit und Leistung großgeschrieben. Das spiegelt sich auch in den Biografien vieler heutiger Rentner wider: Arbeit ging vor, dann kam die Freizeit. Bestes Beispiel ist Gärtner selbst. Mit 81 Jahren ist er noch weit weg hatte ich das Gefühl, dass ich Abi machen muss, danach hatte ich das Gefühl, dass ich unbedingt studieren muss, um später etwas zu werden“, erklärt der 24-Jährige. Gleich schnell Geld verdienen, das ist nicht das Ziel von Tilicke. Er will einen Beruf finden, der ihn zufriedenstellt, seinem Tag Struktur gibt und der auch noch Platz für eine Familie lässt. „Geld verliert immer mehr an Bedeutung“, sagt der 24-Jährige. Typisch für die Generation Y: Laut dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales gehören Menschen, die zwischen 1985 und 2000 geboren sind, dieser Gruppe an. Ihnen wird es immer wichtiger, Privatleben und Job in Einklang zu bringen. „Unter „guter Arbeit“ verstehen sie auch, dass Arbeitgeber Möglichkei- Von Nadine Schwan Porta Westfalica (mt). Das Handy hat Hermann Gärtner in der Jackentasche, gleich daneben seinen Taschenkalender. Im Internet damit surfen, E-Mails checken oder gar einkaufen? Damit will der 81-Jährige nichts zu tun haben. „Nur zum Telefonieren“, sagt er und steckt das Gerät wieder ein. Jannes Tilicke hingegen klebt förmlich an seinem Smartphone. „Der Blick aufs Handy ist morgens das erste, was ich mache, und auch das letzte, wenn ich abends ins Bett gehe.“ Eine Arbeitswelt ohne Computer, Internet und Smartphone ist für den 24-jährigen Studenten undenkbar. „Den Laptop packe ich gleich im Zug wieder aus“, sagt Tilicke. Bei Gärtner, Unternehmer und Gründer von Porta-Möbel, steht noch nicht einmal ein Computer im Büro. Einziges technisches Gerät: ein Telefon. Kriegskind trifft Generation Y. Als Hermann Gärtner anfing zu arbeiten, war er gerade einmal 15 Jahre alt. Mit dem Fahrrad und der Mindener Kreisbahn fuhr er morgens von Oberlübbe nach Lübbecke zu seiner Ausbildungsstätte, einer Zigarrenfabrik. „Ich hatte keine Möglichkeit, weiter zur Schule zu gehen“, erklärt der 81-Jährige dem 24-Jährigen. Später ist er dann in die Möbelbranche gewechselt, in der sein älter Bruder bereits tätig war. „Ich wollte ihm nacheifern“, sagt Gärtner. Das ist ihm gelungen: Vor 50 Jahren legte er zusammen mit Wilhelm Fahrenkamp den Grundstein für Porta Möbel. Heute zählt das Einrichtungsunternehmen zu den größten in ganz Deutschland. Jannes Tilicke hat sein Arbeitsleben noch vor sich. Hermann Gärtner ist interessiert und fragt: „Was machen Sie denn?“ Tilicke erzählt, dass er Politik- und Wirtschaftswissenschaft in Bielefeld studiert, nebenbei noch an der Uni auf 450-Euro-Basis arbeitet und sich in verschiedenen Praktika ausprobiert. „In der Schule 57 Jahre liegen zwischen Unternehmer Hermann Gärtner (81) und Student Jannes Tilicke (24). Beide sind der Meinung, Arbeit sollte den Menschen zufrieden machen. Doch beim Thema Karriere und Geld haben die beiden unterschiedlichen Ansichten. MT-Foto: Nadine Schwan „Ich muss nicht unbedingt in einem Büro sitzen, um meine Arbeit machen zu können. Das könnte ich auch von zu Hause.“ „Arbeit wird erst schön, wenn sie Freunde macht und Erfolg bringt.“ Generation Y und Kriegskinder ■ Als Kriegskinder werden die zwischen 1930 und 1945 Geborenen bezeichnet. Sie erlebten den Zweiten Weltkrieg in ihrer Kindheit, waren zu jung für den Einsatz an der Front, aber alt genug, um sich noch heute an die Bombenangriffe, an Hunger, Verlust und Vertreibung zu erinnern. Den Kriegskindern wird zugeschrieben, dass ihnen Disziplin, Leistung, Sicherheit und die Ehre der Familie besonders wichtig sind. ■ Mit Generation Y – im Englischen ausgesprochen wie „why“ (= warum) – ist die zwischen 1985 und 2000 geborene Bevölkerungskohorte gemeint. Den Mitgliedern der Generation Y wird zugeschrieben, dass ihnen die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit sowie die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben deutlich wichtiger sind als älteren Generationen. Außerdem sind sie mit dem Internet und mobiler Kommunikation aufgewachsen. Berufliche Bildung. Qualifizierung. Integration. An neun Werkstattstandorten bietet die Diakonie Stiftung Salem gGmbH mehr als 1.000 Menschen mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen Förderung und Arbeit. Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt durch anerkannte Qualifizierungsangebote (IHK, Landwirtschaftskammer, Bezirksregierung), begleitete Praktika und ausgelagerte Arbeitsplätze bis hin zur Festanstellung. Teilhabe am Arbeitsleben und berufliche Bildung für Menschen mit Beeinträchtigungen durch Arbeiten mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Dienstleistungen für Industrie und Handel mit Metallverarbeitung, Kabelkonfektionierung, Montage- und Verpackungsarbeiten, Tischlerei, Textilverarbeitung, Kfz-Meisterbetrieb, Biolandhof, Garten- und Landschaftsbau. Diakonische Werkstätten Minden Friedrich-Wilhelm-Straße 87a 32423 Minden 0571 93409-395 wfbm@diakonie-stiftung-salem.de www.diakonie-stiftung-salem.de


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