20150918_MT_56

arbeit_2015

8 Mindener Tageblatt Arbeit 2015 Nr. 217 · Freitag, 18. September 2015 Das digitale Beratungswerkzeug „Cows and more“ im Einsatz im Rinderstall. Foto: Ludger Bütfering, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen Waschen und wachen Die Digitalisierung nimmt immer mehr Einfluss auf unseren Alltag. Programme und Apps helfen im Haushalt, auf dem Feld und bei der Kontrolle des Nachwuchses. Die Entwicklung ruft auch Soziologen auf den Plan. mund in zahlreichen Projekten mit den Einflüssen der Digitalisierung und der Industrie 4.0. Einer von ihnen ist der Soziologe Dr. Peter Ittermann. „Digitalisierung und Vernetzung zählen zu den ‚Megatrends’ des 21. Jahrhunderts“, sagt er. Viele Lebensbereiche könnten so einfacher und bedarfsorientierter werden. Die Digitalisierung berge aber auch viele Risiken, etwa verschärfte Kontrollmechanismen in Arbeits- und Privatleben. Und: Sie kann, so Ittermann, prinzipiell alle Lebensbereiche erfassen. Die neuen Techniken würden nicht nur unsere Kommunikationsstrukturen und sozialen Gewohnheiten verändern und etwa neue Formen der Teilhabe begründen, sondern es seien auch Auswirkungen auf bisherige Muster von Mobilität, Produktion oder Bildung zu erwarten. Der Wissenschaftler sieht die Möglichkeit, dass sich kulturelle oder soziale Strukturen ändern, was zu neuen Spannungslinien führen kann: „In der Arbeitswelt kann sich die Kluft zwischen anspruchslosen ‘Billigjobs’ und qualifizierten Hightech-Arbeiten weiter vertiefen“, sagt Ittermann. „Diese Entwicklung kann sich auf alle Lebensbereiche ausdehnen und dazu führen, dass einige Personengruppen den Wandel mitgestalten und davon profitieren, während andere vom technologischen und sozialen Fortschritt abgehängt werden.“ Einen Grund für Kulturpessimismus sieht er aber nicht, trotz der vielen „deterministische Annahmen des Digitalisierungsfortschritts“ in Diskursen – „dabei ist die Zukunft keineswegs festgelegt.“ Denn die Vernetzung verändere nicht nur die Menschen und die Gesellschaft, sondern sie könne auch von den Menschen selbst mitgestaltet werden. Dazu sind, so Ittermann, aber „die Erweiterung demokratischer Teilhabemöglichkeiten“ sowie „weitere Investitionen in Ausbildung und Qualifizierung“ nötig – und natürlich müssten die zukünftigen Konsumund Techniknutzungen „kritisch und nachhaltig reflektiert werden.“ dann auf dem Smartphone oder dem heimischen PC. Erklärtes Ziel der Nutzer ist auch, aber nicht nur, die reine Dokumentation: So lässt sich an der Milchproduktion, der Bewegung oder der Wiederkau-Aktivität ablesen, ob eine Kuh etwa krank ist. Laut einer Umfrage des Telekommunikationsverbandes Bitkom nutzt inzwischen jeder fünfte Bauer digitale Anwendungen im Stall. Und auch die Landwirtschaftskammer selbst profitiert von den technischen Neuerungen: Mit dem digitalen Beratungswerkzeug „Cows and more“ geht sie selbst mit Tablet-PCs in die Ställe, misst dort Haltung und Management, analysiert Schwachstellen und gibt Tipps, was der Bauer besser machen kann. Überwachungs-Apps gibt es aber nicht nur für Kühe. Auch Eltern nutzen sie zunehmend, um aus der Ferne ein Auge auf ihre Kinder zu haben. So bietet die Firma „Synagram – dein Kind ist sicher“ ihre Dienstleistungen für Smartphone-Besitzer an. Eltern bekommen automatische Push-Benachrichtigungen, wenn ihr Kind an einem bestimmten Ort angekommen oder auch nicht angekommen ist und werden informiert, wie viel Akku das Smartphone des Kindes noch hat. Und ein „Panik-Knopf“ soll einen stillen Alarm auslösen, wenn das Kind Angst hat oder sich in Gefahr befindet. „Synagram verwandelt dein Smartphone in einen kleinen Schutzengel“ wirbt die App, obwohl die Zahl der Kindesentführungen laut der Statistik des Bundeskriminalamtes seit einigen Jahren zurückgeht. Das Geschäft mit der Angst funktioniert trotzdem: „Wir haben seit dem Start der App über 30 000 Downloads“, sagt Geschäftsführer Michael Ballweg. Als „Überwachung“ will er die App nicht sehen; sie stelle „in erster Linie eine vereinfachte Kommunikation zwischen Eltern und Kindern zur Verfügung, die dann um GPS-Daten angereichert wird.“ Mit der Technik könnte das „mulmige Gefühl“ von Eltern, deren Kinder alleine unterwegs sind, beruhigt werden. Die digitalen Entwicklungen rufen inzwischen auch Geisteswissenschaftler auf den Plan. So befassen sich Forscher an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Technischen Universität Dortetwa Apps im Stall und auf dem Feld schon völlig selbstverständlich. „Smartarea“ ermöglicht etwa das Vermessen via GPS über das Handy, mit der App „Schädlinge“ lassen sich die häufigsten Schädlinge von Kulturpflanzen wie Raps bestimmen. Und auch im Nutztierstall ist die Technik ganz klar angekommen, wie Julia Glatz erklärt. Die Referentin für Produktionstechnik in der Rinderhaltung bei der Landwirtschaftskammer NRW kann aus dem Stand zahlreiche Dinge aufzählen, die den Landwirten das Leben leichter machen. Dazu zählen etwa Halsbänder, die Bewegungsprofile erfassen, oder Programme zur Tiererkennung am Melkstand. Auch Temperatur und Lüftung lassen sich über das Smartphone regulieren. „Das ist im Kuhstall aber unüblich und wird wohl eher für Schweine und Geflügel verwendet“, sagt Glatz. Die gesammelten Daten landen Waschmaschine nicht ohne Weiteres mit Geräten anderer Hersteller vernetzen ließe. Hier seien gemeinsame, internationale Standards für die Zukunft wünschenswert. Einen Ausblick, wie die vernetzte Welt in 20 Jahren aussehen wird, hält der Experte für „schwierig“. In zehn Jahren, sagt er aber, „werden alle Miele Hausgeräte vernetzungsfähig sein, ob sie tatsächlich vernetzt werden, bleibt dem Kunden überlassen.“ Er entwirft folgendes Zukunftsszenario: Vor dem Verlassen des Hauses erscheint auf dem Spiegel im Flur der Hinweis, dass der Herd noch an ist. Eine zweite Nachricht empfiehlt, doch besser wetterfeste Bekleidung anzuziehen, weil die Wetter App Regen meldet. Auch in der Landwirtschaft schreitet die Technik stetig voran. So sind Von Jana Behrends Minden (mt). Sie sind derzeit die Stars auf den Industriemessen dieser Welt: Waschmaschinen, die sich bei günstigen Strompreisen von alleine anstellen und das Waschmittel regulieren. Oder Kühlschränke, die eine SMS an die Benutzer schicken, wenn sich die Milch dem Ende neigt. Das „Internet der Dinge“ soll, wenn es nach Politik und Wirtschaft geht, immer mehr im Alltag Einzug halten. Wie wirkt sich das auf die Verbraucher aus? Der Traum vom vollständig vernetzten Heim liegt für Otto Normalverbraucher bislang noch in weiter Ferne. Einzelne vernetzte Anwendungen seien aber „längst im Alltag angekommen“, sagt Michael Prempert vom Gütersloher Unternehmen Miele und nennt Musikstreaming- Dienste als Beispiel. „Mit Blick auf die Hausgeräte ist es so, dass Miele in den letzten drei Jahren eine deutlich sechsstellige Stückzahl vernetzter Geräte verkauft hat“, sagt Prempert. Einen großen Teil machen seinen Angaben zufolge Kochfelder und Dunstabzugshauben aus, bei denen sich die Absaugleistung der Haube automatisch auf das tatsächliche Kochgeschehen einstellt – Internet braucht man dafür nicht. „Dieses Ausstattungsmerkmal ist bei der Hälfte aller Kochfelder und Dunstabzugshauben von Miele inzwischen Standard“, so Prempert. Insgesamt gehe es den Verbrauchern nicht um eine vollständige Vernetzung. Vielmehr entschieden sie sich in der Praxis gezielt für einzelne Anwendungen. „Wer beispielsweise eine Photovoltaikanlage auf dem Dach hat, kann diese schon heute mit Waschmaschine, Trockner oder Geschirrspüler koppeln“, erklärt Prempert. Die Geräte starten dann in einem vorgegebenen Zeitrahmen automatisch, wenn die Anlage genug Energie liefert. „Das senkt die Stromkosten und fördert die Nutzung regenerativer Energien.“ Prempert räumt allerdings ein, dass sich eine Miele- Forscher sieht die Gefahr, dass einige Gruppen vom technologischen und sozialen Fortschritt abgehängt werden. Die App „Synagram“ soll das „mulmige Gefühl“ von Eltern beruhigen. Foto/Screenshot: Synagram Michael Prempert von Miele entwirft ein Zukunftsszenario, in der auf dem Spiegel im Hausflur Hinweise erscheinen.


arbeit_2015
To see the actual publication please follow the link above