Rund acht Millionen Euro kostete das
Projekt. 2013 zogen die ersten Mieter ein,
heute leben 75 Menschen hier. Sie sind
zwischen drei und 89 und verteilen sich
auf 40 Wohnungen und Wohngemeinschaften.
Knapp ein Drittel lebt mit Einschränkungen
wie Multipler Sklerose,
Downsyndrom oder Autismus.
Donnerstagmorgen. Regen peitscht
durch die Straßen, der Himmel wölbt
sich grau über das sonst sonnenverwöhnte
Freiburg. Elke und Robert Ryzek, beide
Mitte 60, wagen trotzdem einen Rundgang
durch das Quartier Vauban, in dem
bis 1992 französische Soldaten statio-
niert waren, in einer Kaserne, benannt
nach General de Vauban. Mittlerweile
leben hier knapp 5600 Menschen in einer
Siedlung mit Passivhäusern, Solarstrom
und weitgehend autofreien Straßen.
Elke Ryzek, gelernte Buchhalterin,
sagt: „Wir wollen als Rentner noch was
erleben.“ Sie verkauften ihr Haus bei
Hannover und zogen nach Freiburg. „Hier
stirbt man nicht einsam”, sagt sie, während
sie und ihr Mann an Tattoostudio
und Waldorfkindergarten vorbeispazieren
und schließlich ein kleines Café
am Rande des Viertels erreichen. Es ist
proppenvoll. An Holztischen hocken
Studenten vor Laptops, Frauen mit kleinen
Kindern und junge Anzugträger.
Robert Ryzek sagt: „Ich wollte nie in einer
Gegend leben, in der nur alte Menschen
wohnen und schon gar nicht im Altenheim.“
Nach einer halben Stunde, Kaffee-
becher und Frühstücksteller sind leer,
schlendern sie zurück zur Vaubanaise.
Dort wartet Urs Bürkle.
Der 62-jährige Projektmitgründer
erzählt, dass man schon bei der Architektur
darauf geachtet habe, Begegnungs-
orte zu schaffen, etwa durch Verzicht
auf ein klassisches Treppenhaus. Die
Mieter erreichen ihre Wohnungen über
Fahrstuhl oder Außentreppen, die in
eine Galerie münden, von der man alle
Wohnungstüren erreicht. Auf diesen
Laubengängen treffen sich Nachbarn
zwangsläufig.
Entscheidungen gemeinsam treffen
Auch die Hausorganisation sorgt für
Miteinander von Jung und Alt. Entscheidungen
treffen alle gemeinsam. Teams
kümmern sich um Gemeinschaftsraum,
saubere Gästezimmer und Laubengänge.
Während der Gartentage stutzen sie Hecken,
pflanzen Blumen, harken Laub. Nebeneffekt:
Die Mieter sparen bei Hand -
werkern und Hausmeister, die Betriebskosten
bleiben niedrig. Elke Ryzek hat eine
Patenschaft übernommen und deshalb
muss sie nun los.
Nur wenige Minuten braucht sie
bis zur Pflege-WG im Erdgeschoss. Zwölf
Frauen und Männer zwischen 25 und 87
leben hier – rund um die Uhr betreut
von 16 Pflegekräften, darunter Altenpfleger,
Pädagogen und Heilerziehungspfleger.
Gabi Behrendt, 70, leidet an
Parkinson, sitzt im Rollstuhl und wohnt
seit einem Jahr in der Vaubanaise. Der
Umzug in die Wohngemeinschaft sei ihr
schwergefallen. „Ich war sportlich aktiv,
immer selbstständig und bin nun auf
Hilfe angewiesen.“ Anfangs habe sie sich
entwurzelt gefühlt. Immerhin: Ihr Sohn
wohnt um die Ecke und sie durfte ihre
kleine Mischlingshündin Tessa behalten.
„Ich dreh’ mit ihr eine Runde“, sagt
Elke Ryzek, die Tessa regelmäßig ausführt.
Nachdem sie verschwunden sind,
erzählt Gabi Behrendt, dass sie sich inzwischen
integriert fühle. „Ich besuche
Hausversammlungen, habe einen Kräutergarten
angelegt und guten Kontakt zu
anderen Hausbewohnern.“
Während Gabi Behrendt die frische
Luft auf der Terrasse genießt, herrscht
drinnen trubelige Betriebsamkeit, die
stellvertretende Wohngruppenleiterin
Albana Lule betritt das Zimmer eines Patienten.
Sie sagt: „Bei uns steht Selbstbestimmung
im Vordergrund.“ Die 30-Jährige
ist examinierte Pflegefachkraft und
besitzt einen Masterabschluss für Pflegemanagement.
„Dass hier unterschiedliche
Generationen wohnen, ist kein
Problem, wichtiger als das Alter ist die
Offenheit der Patienten für die Probleme
ihrer Mitbewohner in der Pflege-WG.“
Zur selben Zeit, zwei Etagen weiter
oben: Martin Etzrodt, Ingenieur, 36,
klappt seinen Laptop zusammen. Mittagspause
im Homeoffice. Der promovierte
Chemiker forschte früher in Boston,
später an der Freiburger Universität.
Mittlerweile arbeitet er für ein Schweizer
Internet-Start-up. Seit sechs Jahren
lebt er mit Frau und drei kleinen Kindern
in der Vaubanaise. „In normalen Mietshäusern
hat man kaum Kontakt zu
Nachbarn, hier kann man sich austauschen
„Wichtiger als das
Alter ist die Offenheit
der Patienten für
die Probleme
ihrer Mitbewohner in
der Pflege-WG“,
sagt Albana Lule.
und als Genossenschaftsmitglieder
haben wir bei allen Entscheidungen
Mitspracherecht.“ Er habe vor allem
Kontakt mit anderen Familien. „Wir stecken
einfach in einer anderen Lebensphase
mit anderen Problemen als Rentner.“
Durch häufige Dienstreisen oder
Elternabende bleibe wenig Zeit. „Ältere
Bewohner bieten uns an, sich um unsere
Kinder zu kümmern, aber es fällt uns
schwer, Hilfe anzunehmen.“
Martin Etzrodt schaut auf die Uhr.
Gleich kommt sein ältester Sohn aus der
Schule und erwartet ein warmes Mittagessen.
Es klingelt. Doch vor der Tür steht
Elke Ryzek. „Wir sprechen gerade über
unterschiedliche Erwartungen von älteren
und jüngeren Hausbewohnern“, sagt
Etzrodt. Elke Ryzek lacht. „Da erzählt ja
gerade der Richtige”, sagt sie. „Wir haben
immer wieder Unterstützung angeboten,
aber Martin kann keine Hilfe annehmen.“
Etzrodt sagt: „Das stimmt, wir denken, es
wäre zu stressig für euch.“ Elke Ryzek sagt:
„Lieber arbeitet ihr bis zum Umfallen.“
Etzrodt lacht: „Das nennt man wohl Gene-
rationenkonflikt“, und fügt hinzu, „aber
ich möchte nirgendwo anders leben.“
„Ich wollte nie in
einer Gegend leben,
in der nur alte
Menschen wohnen.
Und schon gar
nicht im Altenheim.“
54 WOHNEN