Das Ziel von Palliativmedizinern
wie Ihnen ist nicht Heilung von Krank-
heiten, sondern die Linderung
von Leiden. Können Sie wirklich
garantieren, dass heut zutage jeder
Mensch ohne Qualen sterben kann?
Ja, das können wir, jedenfalls in der
Endphase einer Krankheit. Die Schmerz-
therapien haben in den vergangenen
Jahren große Fortschritte gemacht. Auch
Begleiterscheinungen wie Atemnot und
Erbrechen kann man unterdrücken.
Aber Schmerzfreiheit hat seinen Preis:
Das Bewusstsein wird getrübt, in Extrem-
fällen ist sogar eine Narkose nötig.
Diesen Preis wird doch sicher jeder
gerne zahlen, oder?
Manche Patienten beruhigt der Gedanke,
dahinzudämmern und irgendwann
endgültig einzuschlafen. Es gibt aber
auch spirituell motivierte Menschen,
denen es wichtig ist, bei klarem Verstand
zu sterben. Sie wollen Schmerzen
in Kauf nehmen.
Obwohl die überwiegende Mehrheit
der Patienten gern zuhause
sterben würde, ist das nur einem
Fünftel möglich. Woran liegt das?
Oft wird der Moment nicht erkannt,
wo man im Spital das Leben nicht mehr
retten kann oder wo es für die Betroffenen
kein Ziel mehr ist, ihr Leben
noch zu verlängern. Wenn das Behandlungsziel
sorgfältig geklärt wird,
können wir mit ihnen besprechen, wie
wir in Krisensituationen vorgehen
können. Und bei Bedarf kann unser
Team rund um die Uhr vorbeikommen.
Wir stellen selbst komplizierte Apparaturen
wie Schmerzpumpen bereit,
die von den Patienten selbstständig
bedient werden. Wir bringen das
Spital ins Wohnzimmer. So können
über 60 Prozent unserer Patienten
zuhause sterben.
Sind es vor allem die technischen
Möglichkeiten, die Sicherheit geben?
Nein, der wichtigste Faktor ist die
menschliche Beziehung. Die Schwerkranken
lernen mich und meine
Kolleginnen schon im Spital kennen.
Sie vertrauen uns. Wenn sie morgens
entlassen werden, treffen wir sie
manchmal nachmittags schon wieder
bei ihnen zuhause. Sie entspannen
sich, weil sie wissen, dass sie in guten
Händen bleiben.
Ist Ihr System teurer als die
normale Pflege?
24-Stunden-Bereitschaft ist natürlich
ein erhöhter Aufwand. Aber die finanziellen
Vorteile sind weit größer: Durch
die gute häusliche Betreuung senken
wir die Zahl der teuren Notfalleinweisungen.
Und auch medizinisch können
wir punkten: Wertvolles Wissen bleibt
auf dem Weg zwischen Krankenhaus
und Zuhause erhalten, etwa Informationen,
welches Medikament gut
wirkt, welches nicht, welche negativen
Nebenwirkungen aufgetreten sind.
Wenn Ihr Modell so viele Vorteile hat,
warum gibt es nicht mehr Palliativ-
Teams, die genau so arbeiten?
Die größte Hürde sind unterschiedliche
INTERVIEW