Paul, 73, wohnt in München:
Ich mochte nie allein leben, war drei Mal
verheiratet und hab drei Töchter aus diesen
Ehen. Doch als meine Frau vor acht
Jahren an Krebs starb, konnte ich lange
Zeit keine neue Bindung eingehen, und
wenn sich doch etwas anbahnte, war’s
nichts Bleibendes.
Mein Herz war noch nicht frei. Denn
im Gegensatz zu meinen beiden ersten
Ehen, die geschieden wurden, passte
es mit Kristina, es war die große Liebe,
umso schwerer traf mich ihr Tod. Sie
war ja erst Mitte 40, eine ehemalige Leistungssportlerin
der DDR. Der Verdacht,
dass Doping ihren Krebs verursacht hat,
macht mich bis heute zornig.
Nein, ich war nicht bereit für eine
neue Beziehung, zumal ich mich von
da an als alleinerziehender Vater um
unsere Tochter kümmern musste. Zum
Glück hatte ich als Manager einer amerikanischen
Elektronikfirma gut verdient,
konnte also ohne materielle Sorgen in
den Ruhestand treten und meine Jüngste
bis zum Abitur begleiten und danach
wieder auf Reisen gehen.
Schon als Elektroniker bin ich weit
in der Welt herumgekommen, auch
nach Brasilien, das mir seit je ans Herz
gewachsen ist. Die Mentalität der Brasilianer
gefiel mir, ihre Spontanität, ihre
Begeisterung für Musik und Tanz, die
Fähigkeit, ganz und gar in den Tag hineinzuleben
und sich nicht ständig Sorgen
um das Morgen zu machen wie wir
Deutschen. Vielleicht war diese Sympathie
die Basis für den Sturm der Gefühle,
der nach der Begegnung mit Lenice ausbrach,
ein weiterer Grund sicher auch,
dass ich mich fragte, was ich künftig mit
meinem Leben machen würde. Aber der
entscheidende Faktor war die beherzte
Art, in der sich diese zierliche, doch eher
zerbrechlich wirkende Person für mich
eingesetzt hatte. Respekt, dachte ich!
Auch wie sie danach mir gegenüber Distanz
wahrte, gefiel mir.
Welch ein Glück, dass wir uns dennoch
gefunden haben! Es mag Leute geben,
die sich wundern, dass Menschen
in unserem Alter noch in Flammen stehen.
Aber so ist es halt und wird auch so
bleiben. Wir beide müssen uns ja nichts
mehr beweisen und können in Ruhe gemeinsam
alt werden. Dass es nicht langweilig
wird, dafür will ich schon sorgen.
Denn so selbstbewusst, sogar kämpferisch
meine Lenice auch sein kann,
wenn’s um andere geht, so verzagt ist
sie gelegentlich in eigener Sache. Sicher
hängt das auch damit zusammen, dass
sie 18 Jahre lang allein in ihrem Haus in
Alicante verbracht hat und dennoch weniger
von Spanien gesehen hat als ich.
In diesem Punkt herrscht Nachholbedarf.
Abgemacht ist, dass wir im
Wohnmobil durch Europa streunen werden,
Süditalien gehört zu den ersten Zielen.
Noch hat sie ein wenig Scheu, meine
waghalsigen Hobbies zu teilen: Ich kraxle
zum Beispiel gern auf Bergen herum
und genieße es, in einem Segelboot in
See zu stechen. Dafür muss ich noch ein
wenig Überzeugungsarbeit leisten, vor
allem für die Idee, im Gleitschirm abzuheben,
davor schaudert sie noch zurück.
Ich werde sie deshalb behutsam ans
Abenteuer heranführen, kleine Schritte
zuerst. Einer ist, ihr erst mal Radfahren
beizubringen, denn nicht einmal das hat
sie sich bisher getraut.
Kann sein, dass ich manchmal übertreibe,
um ihr zu beweisen, wie willkommen
sie in meinem Leben ist. Zum
Beispiel vorige Woche, als sie mich zum
ersten Mal von Alicante aus in München
besuchen kam. Ich hatte mich dafür
als Urbayer ausstaffiert: krachlederne
Hosen, Wadenstrümpfe, rotkariertes
Hemd und Filzhut mit Gamsbart. In der
Empfangshalle des Flughafens hatte ich
ein Tischchen platziert, auf dem zwei
Flaschen Weißbier standen, daneben in
einer Vase die Nationalflagge Brasiliens
und die Rautenfahne Bayerns.
Als sie mich entdeckte, erstarrte sie,
mochte es kaum glauben, dann rannte
sie lachend auf mich zu und fiel mir um
den Hals. Ich weiß nicht mehr, wie lange
wir uns küssten. Aber in einem Punkt
bin ich sicher: Wir waren das meistfotografierte
Paar des Jahres auf dem Münchner
Flughafen.
„Als ob ich ein Leben lang auf ihn
gewartet hätte.“ Die Brasilianerin Lenice
und ihr Urbayer Paul.
„Gleich an der Ecke setzten wir uns in ein
Straßencafé und kamen übergangslos in ein
Gespräch, das bis heute andauert.“
MUT