DIE AKTIVEN (5)
WOLFGANG HANSEN Wer wissen will, wie Kreativität
im Alter aussieht, sollte ihn mal ein paar Tage begleiten.
Der 71-Jährige mischt sich ein in die Klimapolitik und
greift in die Tasten.
ieser Mann macht keine halben Sachen, egal was
er anpackt – und er packt vieles an. Das hat ihm
bis heute Spaß und Erfolg beschert, ist aber für ihn
nicht immer gut gegangen, zum Beispiel als er noch
Chemiefabriken gebaut hat. Wo überall, davon will er gar nicht
erst anfangen, auf jeden Fall war’s rund um die Welt, vor allem
in Asien, auch in Südamerika, ein unablässiges Unterwegs, das
an die Substanz ging und mit einem Herzinfarkt endete.
Grund genug, durchzuatmen und etwas Neues in die Hand
zu nehmen, zumal er schon das Rentenalter erreicht hatte.
Klar, dass es etwas mit Musik zu tun haben sollte, denn solange
er denken konnte, hatte er gern Klavier gespielt, zudem noch
richtig gut, denn er hatte die Gabe, nach Gehör zu spielen.
„Ich hör’ ein Stück von Mozart oder irgendeinen Ohrwurm
aus einer Operette und hab’s drauf“, sagt Wolfgang Hansen,
inzwischen 71 Jahre alt und kein bisschen eitel. Er sagt es eher
mit einem Unterton von Bedauern, denn das reine Musikvergnügen
sei es doch, mit anderen zusammen zu spielen, doch
diese Gelegenheit hatte sich bei seinem unsteten Lebenswandel
bisher nicht ergeben.
Da schien es ein Wink des Himmels, dass es nicht weit
von seinem Heimatort Söllingen im Pfinztal seit mehr als 40
Jahren ein Orchester gibt, das sich aus Musikenthusiasten wie
ihm zusammensetzt: das in Ehren ergraute Karlsruher Seniorenorchester.
Er wäre dort sofort willkommen gewesen, weil
es im Kreis passionierter Laienmusiker und ehemaliger Profis
zwar Streicher und Bläser genug gab, aber keinen Pianisten,
der neben solistischen Einlagen die Kollegen eingestimmt und
begleitet hätte. Dafür hätte er Partituren lesen müssen und das
hatte er nicht drauf, weil er ja seit je nach Gehör spielt.
So setzte er sich kurz entschlossen an die Seite eines Klavierlehrers,
dessen Aufgabe in erster Linie darin bestand, ihn
mit der Nase aufs Notenblatt zu stoßen, wenn er wieder mal ins
Gehörte abhob. Er nahm es in Kauf, auch weil ihn sein Lehrer
als Kantor und Organist der Pforzheimer Sankt Franziskuskirche
in seinem Chor mitsingen ließ. Eine wunderbare Erfahrung
sei Mozarts Requiem gewesen, aber die höchste musikalische
Erfüllung sei es, „auf der Orgel dieser Kirche mit ihrer wundervollen
Akustik zu spielen“.
Inzwischen gehört Wolfgang Hansen zu den tragenden
Säulen des Seniorenorchesters, in dem er als Pianist und Vorsitzender
die Fäden zieht, das Repertoire erweitert und dafür
sorgt, dass seine Truppe neben bewährten Stücken von Beethoven
und Haydn auch mal Musical-Melodien einstreut oder gar
Evergreens wie den weißen Flieder, der uns im Frühling blüht.
„Kommt immer gut an“, schwärmt er, „egal ob wir’s im Altersheim,
in Kirchen oder im Karlsruher Schlosspark spielen.“
Damit könnte er’s genug sein lassen, wenn ihm nicht ein
Thema auf den Nägeln brennt, das übers private Vergnügen
hinausgeht: der Klimawandel. Als ehemaliger Anlagenbauer,
kundig in chemischen und physikalischen Prozessen, setzt er
sich für erneuerbare Energien ein, berät Firmen und Privatleute
über Solaranlagen und Windräder und ärgert sich über
Stromkonzerne wie RWE, die auf fossilen Ressourcen beharren
und als alles entscheidendes Kriterium ihre Rendite sehen.
Ein weites Feld, auf dem noch viel zu tun ist, wobei ihn
auch die Flüchtlingsfrage umtreibt. Mit seiner Frau hat er eine
syrische Familie mit vier Kindern unter die Fittiche genommen,
hilft ihnen, Deutsch zu lernen, eine bezahlbare Wohnung
zu finden und im Formularkrieg zu bestehen. „Unglaublich,
was die Ämter diesen Menschen an Papierkram zumuten“,
schimpft er. „Da hab selbst ich Probleme durchzusteigen.“
Es wird nicht die einzige Familie bleiben, der er hilft. Seine
Heimatgemeinde hat mit ihren 18.000 Einwohnern in den
vergangenen Jahren 1.800 Flüchtlinge aufgenommen „und ein
neuer Schub wird kommen“, vermutet er. Fürchtet er nicht zuweilen,
sich zu übernehmen?
„Keine Sorge“, versichert er. „Unser Mann am Fagott ist
Professor für Kardiologie, der passt schon auf mich auf.“
Beethoven, Haydn, aber auch mal Musical-Melodien. Wolfgang
Hansen spielt Klavier im Karlsruher Seniorenorchester.
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Fotos: CHRISTOPH PÜSCHNER Text: ERDMANN WINGERT
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