statt
WOHNEN
einsam
In der Freiburger Wohngenossenschaft
„Vaubanaise“ leben
Rentner, junge Familien, Singles und
Menschen mit Behinderungen
unter einem Dach. Besuch in einem
Vor zeigeprojekt.
Text: FRANK BRUNNER Foto: RAINER KWIOTEK
Anna Ryzek packt die letzten Bücher aus
ihrem Ikea-Regal in den Umzugskarton.
Ihre Mutter steht daneben und sagt: „Es
wird Zeit, dass sie auszieht.“ Die Tochter
lächelt, schließt die Kiste, packt sie auf
einen Transportroller zu anderen Kartons
und schiebt alles aus der Wohnung.
Sechs Jahre hat sie bei ihren Eltern gelebt.
An diesem Donnerstagmorgen
wechselt sie in eigene vier Wände.
Während Anna Ryzek – Brille, Zopf,
buntes Kleid – auf den Lift wartet, sagt
sie: „Eigentlich wollte ich in eine WG
ziehen, leider hat das nicht geklappt.“
Die 25-Jährige büffelt für ihre mündliche
Abschlussprüfung als Erzieherin.
Daher ist es praktisch, dass ihr neues
Domizil in der Nähe liegt – genau eine
Etage weiter unten. „Ich hätte nie gedacht,
dass ich in diesem Haus ein Appartement
bekomme“, erzählt sie und schwärmt
von Gartentagen, an denen Mieter gemeinsam
die Grünanlagen gestalten, von
Gesprächen mit Nachbarn in den Laubengängen.
In der „Vaubanaise“, einem
Wohnprojekt in Freiburg, leben Menschen
mit und ohne Behinderungen, Rentner,
junge Familien, Studis und Azubis, wie
Anna Ryzek.
Die Idee ist nicht neu. 1993 eröffnete
das erste Mehrgenerationenhaus
in Deutschland. Eine aktuelle Studie
des Deutschen Zentrums für Altersfragen
(DZA) besagt, dass soziale Isolation
und Einsamkeit im Alter zunehmen. Bei
Männern steigt das Risiko sozialer Isolation
zwischen 40 und 90 Jahren von fünf
auf 20 Prozent. Frauen fühlen sich bis
zum Alter von 70 bis 80 Jahren seltener
als Männer isoliert. Danach häufiger. In
Mehrgenerationenhäusern können sie
jedoch Kontakt zu jüngeren Bewohnern
pflegen und Verantwortung übernehmen,
etwa indem sie Schülern beim Lernen
oder Eltern bei der Kinderbetreuung
helfen. Derzeit fördert die Bundesregierung
bundesweit rund 540 Mehrgenerationenhäuser
mit jeweils 40.000 Euro.
In Freiburg schlossen sich im Jahr
2010 vier Familien zusammen, deren
Kinder mit einem Handicap leben. Die
Familien gründeten eine Genossenschaft,
kauften der Stadt ein Grundstück ab, engagierten
Architekten und Baufirmen.
MUT