DIE AKTIVEN (1)
EUGEN BÜHLE Der pensionierte Pilot Eugen Bühle
lehrt Chirurgen, Katastrophenhelfern und Managern,
in riskanten Situationen richtig zu handeln und im
Team Lösungen zu finden.
ugen Bühle legt den Mundschutz an, schlüpft in
den grünen Umhang, setzt eine Astronautenhaube
auf und betritt den Operationssaal. Dort warten bereits
ein Patient und das sechsköpfige Operationsteam.
Der Chirurg öffnet den Bauch des Mannes und erteilt Anweisungen
an Assistenzarzt und Schwestern. „Skalpell ... Nadel
... Faden ... Tupfer.“ Wortlos reichen sie ihm die Instrumente.
Fast wie im Film. Nach drei Stunden ist die Stoma-OP beendet,
der Patient wohlauf, eine Arbeit wie aus dem Lehrbuch. „Wie
fanden Sie die Operation?“, fragt der Chirurg. Eugen Bühle
sagt: „Bei mir wären Sie durchgefallen.“
Bühle ist pensionierter Pilot. Es war der erste medizinische
Eingriff, den er beobachtet hat. Tatsächlich kann er die ärztliche
Kunst des Chirurgen nicht beurteilen. Was ihn stört: Die
Kommunikation während der Operation. Der Chef sagte nur
das Nötigste, seine Mitarbeiter folgten ihm stumm. „Bei Entscheidungen
innerhalb eines Teams sollten sich alle Beteiligten
austauschen – schon um Risiken beurteilen und Fehler vermeiden
zu können“, sagt Bühle. Flugzeugcrews handeln so.
Piloten machen vor jedem Flug einen Faktencheck, analysieren
Wetter, Route, Start- und Landedistanzen. Trotzdem müssen
sie ständig mit unvorhergesehenen Ereignissen rechnen.
Tragflächenklappen können klemmen, Turbinen ausfallen. In
brenzligen Fällen müssen sie schnell reagieren, eventuell Geschwindigkeit
drosseln oder eine sichere Flughöhe ansteuern.
Ärzte erleben ähnliche Situationen. Vor einer OP sondieren
sie die Lage mit Röntgendiagnostik, Ultraschall oder Kernspintomografie.
Aber oft erkennen sie das genaue Ausmaß des
Schadens erst, wenn Patienten aufgeschnitten vor ihnen liegen.
Dann müssen sie entscheiden: Kann ich den Bypass wie
geplant legen? Wie gelange ich an den Nervenkanal? Behindert
ein Knochen den Skalpellschnitt? Chirurgen sehen sich oft
als Einzelkämpfer. Bei Piloten sind einsame Entscheidungen
verboten. Der Abstimmungsprozess mit dem Co-Piloten wird
automatisch aufgezeichnet, damit Experten den Flugverlauf rekonstruieren
können. Bühles Mantra: Ein Austausch mit Kollegen
kann Leben retten. Er ist überzeugt, dass sein Wissen auch
anderen Berufsgruppen nützt, Turbulenzen zu überstehen.
Eugen Bühle stammt aus Münsingen auf der Schwäbischen
Alb. Nach Abitur und Bundeswehr ließ er sich bei der Lufthansa
zum Piloten ausbilden. Er flog die großen Vögel, Airbus und
Boeing. Einmal, vor 30 Jahren, versagte kurz nach dem Start
in München ein Triebwerk. Eurgen Bühle besprach sich mit
seinem Co-Piloten, drehte mit verminderter Kraft eine Runde
über der Stadt und landete mit 90 Passagieren wieder sicher auf
dem Flughafen München-Riem.
Nach 47 Flugjahren war Schluss. Piloten müssen mit 60
in den Ruhestand. Bühle sagt: „Rasenmähen, Segeln und Golfen
füllen mich nicht aus.“ Die Frage, wie Fehlentscheidungen
zustandekommen, beschäftigte ihn auch nach Ende seiner
Laufbahn. Er gründete ein Beratungsunternehmen, schulte im
Auftrag der Lufthansa taiwanesische Piloten. Sehr erfolgreich.
Damit ist Eugen Bühle keine Ausnahme. Nach einer Studie des
Chartered Management Institute (CMI) in London liegt die Erfolgsquote
von älteren Unternehmensgründern bei 70 Prozent,
von jungen Gründern schaffen es lediglich 28 Prozent. Doch
die Pilotenausbildung war nur die Fortsetzung einer bisherigen
Tätigkeit. Er suchte etwas Neues.
Eigentlich war es nur ein Routinetermin im Krankenhaus.
Darmspiegelung. Doch dann kam er mit dem Chefarzt ins Gespräch.
„Als Jugendlicher wollte ich Chirurg werden“, gestand
er. Der Klinikchef lud ihn ein, bei einer OP zuzusehen. Das
war der Anfang. Mittlerweile coacht Bühle Chirurgen, Katastrophenhelfer
und Wirtschaftsbosse, trainiert Kunden im Flugsimulator,
kritische Konstellationen zu meistern. „Sie lernen,
sich in ungewohnter Umgebung zurechtzufinden, Probleme
zu erkennen, im Team Lösungen zu suchen und unter hohem
psychischem Druck umzusetzen.“ Kommendes Jahr wird er 70.
Im Ruhestand landen will er nicht. „Dafür ist es noch zu früh!“
Im Team Probleme lösen. Der Ex-Pilot Eugen Bühle (vorne
rechts) mit zwei Lufthansa-Kapitänen im Trainingszentrum.
E
Fotos: ULRIKE FRÖMEL Text: ANTON HUNGER
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