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johann-03-2017-gesamt

AUSGABE 3/2017 19 tag des Freischießens eine Feuertaufe. Vom Einzelunterricht in der Halle war es schon ein großer Schritt, gemeinsam mit der Bürger-Eskadron zu üben und die aufmerksamen Blicke von der Bande zu spüren. Zweieinhalb Stunden im Sattel – zur Sicherheit gibt es zum Frühstück daher nur einen kleinen Kaffee, austreten geht schließlich nicht. Ansprechen sollte mich an diesem Morgen besser niemand. Später, auf dem Wasserübungsplatz der Mindener Pioniere, der am Freischießen-Wochenende zum Sattelplatz wird, gibt es aus allen Richtungen aufmunternde Worte oder einen kurzen Schulterklopfer. Auch der ein oder andere erfahrene Reiter kann die Anspannung nicht völlig verstecken. Das gilt leider auch für meinen Andaluz. Nach der langen Fahrt von Krefeld an die Weser möchte er nicht einfach rumstehen. Beim Nachgurten und dem Einstellen der Steigbügel sitze ich zwar schon im Sattel, der Wallach ist trotzdem ständig in Bewegung, was nicht gerade zur eigenen Beruhigung beiträgt. Eine junge Frau, die den Tross vom Niederrhein begleitet, weicht mir auf den ersten Metern auf dem Wasserplatz und vorbei am Sommerbad nicht von der Seite. Die Betreuung hat Erfolg: Kurz hinter der Kreuzung zum Simeonsglacis haben Pferd und Reiter sich merklich beruhigt und die Pferdepflegerin lässt die Zügel los. Bis ich meine Umgebung tatsächlich wahrnehmen kann, dauert es trotzdem noch ein wenig. Die erste Schleife auf dem Weg zum Simeonsplatz vergeht wie im Flug, unter den Bäumen der Rodenbecker Straße beginne ich langsam, den Moment zu genießen. Auch ein flüchtiger, vom Laub fast verdeckter Blick vom Schwichowwall auf den Platz jenseits der Bastau ändert daran nichts. Ja, da sind Menschen. Wie viele dort aber wirklich warten, wird mir erst klar, als wir am Dreiecksplatz um die Kurve biegen. Das ge- Vorbereitung auf den großen Tag: Bei Dieter Thäsler lerne ich mit Pims das kleine Einmaleins des Reitens. Foto: Nadine Schwan samte Bürgerbataillon ist im großen Karree angetreten, jede Kompanie hat Gäste und Musikgruppen im Gefolge - insgesamt sind es mehr als Tausend Menschen, die gleich mit uns die Parade bilden. Drumherum noch einmal ungezählte Zuschauer. Der Anblick lässt mir den Atem stocken. Auch der Rappe vor mir scheint sich anstecken zu lassen und steigt mit den Vorderbeinen in die Höhe. Während Kai-Uwe Langenkämper im Sattel die Situation souverän meistert, beschwöre ich Andaluz ganz leise, sich bitte – bitte – nicht mitreißen zu lassen. In dem Moment verstehe ich, warum ich die Sporen ablegen musste – womöglich hätte sonst auch Andaluz einen Rappel gekriegt. Dabei hatte ich sie beim Empfang der Eskadron gerade erst feierlich verliehen bekommen, meine Sporen also sprichwörtlich verdient. Etwa 20 Minuten müssen wir auf dem Simeonsplatz ausharren, bis die Könige gekrönt sind und die Parade abgenommen ist. Was dann kommt, übertrifft alles, was ich mir vorgestellt habe. Auf beiden Seiten säumen Zuschauer den Zugweg, das Geräusch der Hufe auf dem historischen Pflaster ist wie eine Zeitreise. Und mit jedem Meter, den wir uns in Richtung Obere Altstadt bewegen, nimmt die Zahl der Menschen zu, die mit Fähnchen winken und uns Blumen zustecken, die dann im Stiefelschaft wie Trophäen durch die Stadt getragen werden. „Wer einmal durch die Stadt geritten ist, geht nie mehr zu Fuß“ – in der Eskadron ein geflügeltes Wort, das ich schon vor meiner ersten Reitstunde gehört habe. Verstanden habe ich den Satz erst, als wir den Scharn und den Markt hinter uns haben. Während die Kompanien direkt in ihre Quartiere zwischen Rathaus und Dom gehen, reiten wir zurück an die Weser – still, erschöpft und glücklich. Zu Gast bei der Eskadron: In der Altstadt, hier auf der Simeonstraße, ist die Atmosphäre besonders intensiv. Foto: Wandel Lampenfieber – bei Ross und Reiter „Wer einmal durch die Stadt geritten ist, geht nie mehr zu Fuß.“


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