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BKK-Vorstandsvorsitzender Rolf Kauke geht mit der Gesundheitspolitik hart ins Gericht (#200in365, No.7)

Rolf Kauke geht mit der Gesundheitspolitik hart ins Gericht. Foto: Atelier Pfleiderer/pr. (© atelier pfleiderer- FOTOGRAFIE)

Viele Krankenkassen haben ihren Sitz in den Metropolen, in Hamburg, München oder Berlin. Die BKK Melitta Plus sitzt in Minden. Warum, das wollte MT-Chefredakteur Benjamin Piel vom BKK-Vorstandsvorsitzenden Rolf Kauke wissen.

Die bekannten Krankenkassen sind groß. Haben kleine Konkurrenten wie Sie da überhaupt eine Chance?

Es gibt zwei Modelle, die möglich sind: entweder riesengroß mit sehr großen Marktanteilen oder klein sein und bleiben, aber Nischen bedienen. Wir bedienen die lokalen Nischen im Mühlenkreis, in Bünde und in der Wesermarsch, auf die wir uns konzentrieren. Wir haben den Vorteil, dass wir alles vor Ort entscheiden und erledigen, es gibt keine Call-Center oder Ähnliches. Auch als Vorstand ist man im Haus meist erreichbar. Das ist hier also deutlich persönlicher als bei einer bundesweit agierenden Krankenkasse.

Was genau heißt das?

Neben der Ansprechbarkeit unserer 100 Mitarbeiter sind wir autark und können uns in lokale Projekte wie beispielsweise das Demenznetz Minden ganz anders einbringen als das eine bundesweit agierende Krankenkasse mit großer Entfernung der Entscheidungsträger – räumlich wie inhaltlich – tun könnte.

Vermutlich haben Sie trotzdem ähnliche Probleme wie die großen Kassen. Wie schätzen Sie die Gesundheitspolitik der zurückliegenden Jahre ein?

Die Gesundheitspolitik war und ist viel zu sprunghaft. Es fehlt mir der rote Faden, der über das Denken von Legislaturperiode zu Legislaturperiode hinausgeht. Der personelle Notstand in der Pflege hat sich seit Jahren aufgebaut. Hätte nicht ein junger Mensch Angela Merkel in einer Fernsehsendung vor der Bundestagswahl die Frage gestellt, wie sie die dramatische Situation in der Pflege einschätze, würde das Thema vielleicht noch immer vor sich hindümpeln. Den politischen Anspruch auf den grundsätzlichen Willen zur Veränderung kann ich an der Stelle nicht erkennen. Nun heißt es plötzlich, die geplante Verbesserung der Situation in der Pflege durch mehr Pflegekräfte solle aus Mitteln der Krankenversicherung bezahlt werden. Mit so einer Idee kommt die Politik überraschend um die Ecke. Da werden kurzfristig Löcher gestopft, aber keine langfristigen Pläne gemacht. Wundert es da, dass manche Krankenkassen sicherheitshalber kleine Reserven haben?

Die BKK Melitta ist eine geöffnete Krankenkasse, Menschen aus fünf Bundesländern können bei Ihnen Mitglied werden. Was sollte einen Menschen, der weit weg von Minden lebt, bewegen, ausgerechnet Mitglied Ihrer Kasse zu werden?

Wir versichern, sofern es möglich ist, jeden, der es will. Aber unsere Herzen schlagen für die genannten Regionen und auf die konzentrieren wir uns. Von unseren 53.000 Versicherten kommen zwei Drittel aus dem Mindener Umland, ein Drittel kommt aus Nordenham. Das hat den Hintergrund, dass wir 2003 fusioniert sind mit der damaligen BKK Maritim, die dort ihren Sitz hatte. Unsere Kunden gewinnen wir vor allem durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Wir wollen eben nicht zentralisieren und wir kennen das Gesundheitswesen hier vor Ort, können etwa Spezialleistungen mit Ärzten in unseren Regionen vereinbaren, etwa einen Zahnbehandlungstarif.

Was hat die BKK noch mit Melitta zu tun?

Weniger als viele denken. Melitta ist im Namen geblieben. Die Versicherung war in den 1950er-Jahren gegründet worden als Betriebliche Krankenversicherung des Melitta-Konzerns. Im Zuge der Ökonomisierung des Gesundheitssystems innerhalb der 1990er-Jahre hat sich die BKK Melitta 1999 vom Konzern gelöst. Melitta ist allerdings weiterhin ein Träger der BKK und in unserem Verwaltungsrat sind Vertreter des heimischen Konzerns. Die Selbstverwaltung trifft die wesentlichen Entscheidungen für unsere BKK.

Vor zwei Jahren ist die BKK Melitta Plus in die Schlagzeilen geraten, weil die Staatsanwaltschaft wegen des Anfangsverdachts des Abrechnungsbetrugs gegen Mitarbeiter ermittelt und ihre Büros durchsucht hat. Wie hat sich die Sache entwickelt?

Wir haben uns gegenüber der Staatsanwaltschaft kooperativ verhalten und vollständige Transparenz geschaffen. Es ist bisher nicht zu einer Anklage gekommen. Ich gehe davon aus, dass dieses Kapitel noch in diesem Jahr auch formal abgeschlossen werden kann.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur

In seinem ersten Jahr als Chefredakteur des Mindener Tageblatts will Benjamin Piel an 200 Orten mit 200 Menschen sprechen. Sie möchten ihn einladen? Kontaktieren Sie ihn per Mail an benjamin.piel@mt.de oder unter der Telefonnummer (0571) 88 22 59.

Drei Fragen an … Andrea Ritz vom Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst: „Kinder trauern in Pfützen“ (#200in365, No.6)

Andrea Ritz leitet den Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst. (© Piel Benjamin)

Der Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst in Minden begleitet schwerkranke Kinder. Der Tod sei noch immer ein Tabu, findet Leiterin Andrea Ritz.

Angeblich sind alle Tabus gefallen.Auch das Tabu Tod?

Nein. Die Enttabuisierung wäre sehr wichtig. Wir betrachten es als unsere Aufgabe, den Tod aussprechbar zu machen, denn solange das Tabu besteht, bedeutet das für Familien, in denen ein Kind gestorben ist, oft eine große Ausgrenzung aus der Gesellschaft, die mit der Situation vielfach nicht umzugehen weiß.

Die Betreuung der Familien übernehmen Ehrenamtliche. Was bringt Menschen dazu, sich in diese Situation zu begeben?

Unsere 31 Ehrenamtlichen begleiten aktuell 16 Familien zu Hause. „Mir gibt das sehr viel“, das ist die Rückmeldung unserer Ehrenamtlichen. Sie begleiten vor allem auch das Leben. Manchmal 20 Jahre lang, etwa im Fall von Erbkrankheiten. Niemand weiß in solchen Fällen, wie lange das Leben dauert. Es geht nicht ständig um den Tod, sondern darum, die Familien zu entlasten, mit den Kindern Zeit zu verbringen. Kinder trauern in Pfützen. Sie springen kurz rein, wollen aber nicht darin stehenbleiben.

Welche Voraussetzungen gibt es für Ehrenamtliche?

Die Befähigungskurse sind auf mindestens 100 Stunden angelegt. Bald startet wieder ein solcher Kurs, in dem es um Themen wie Kommunikation oder die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben geht.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur

Interview: Leidenschaft fürs Lokale – Benjamin Piel als neuer Chefredakteur des Mindener Tageblatts gestartet

„#200in365“: Piel (m.) im Gespräch mit Stefan Grabowsky (l.), zweiter Vorsitzender des Sportvereins SVKT 07 und Vereinsmitglied Heinz-Dieter Böttger (r.). Ehrenamtliche der SVKT 07 errichten einen Anbau mit Umkleiden und Duschen. Foto: Uwe Schulze

Seit dem 1. Juni ist Benjamin Piel neuer Chefredakteur des Mindener Tageblatts. Piel, Jahrgang 1984, tritt die Nachfolge von Christoph Pepper an, der nach fast 27 Jahren an der Spitze der Redaktion die operative Verantwortung an seinen Nachfolger übergibt und sich künftig auf die gemeinsame Herausgebertätigkeit mit den Verlegern Sven und Rainer Thomas konzentrieren wird.

Pepper bedankte sich bei der Redaktion, den Mitarbeitern der anderen Abteilungen sowie ausdrücklich auch bei den Verlegern für die langjährig gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Sven Thomas begrüßte Benjamin Piel als künftigen Mitgaranten der publizistischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit des Traditionstitels Mindener Tageblatt (seit 1856) und seines Verlagshauses J.C.C. Bruns (gegründet 1834). Piel, selbst mehrfach preisgekrönter Journalist und einer der Vordenker der aktuellen Orientierungsdebatte im deutschen Lokaljournalismus, solle die ebenfalls gerade erst wieder ausgezeichnete MT-Redaktion mit journalistischer Qualität und Leidenschaft fürs Lokale in die Zukunft führen, unterstrich Thomas gegenüber der Redaktion.

In Minden und beim MT angekommen: Piel (m.) bei der täglichen Redaktionskonferenz. Mit im Bild: Nachrichtenredakteur Ulrich Geisler (links) und Fotograf Alex Lehn. Foto: Monika Jäger

Im Interview mit dem johann! spricht Benjamin Piel über seine ersten Eindrücke von Minden, das Projekt„#200in365“ und das MT im Jahr 2044.

Herzlich willkommen in der Unternehmensgruppe J.C.C. Bruns und in Minden. Kannten Sie Minden bereits vorher oder war die Stadt für Sie Neuland?

Ich hatte bisher mit Minden keinerlei Berührungspunkte. Insofern ist der Neustart für meine Familie und mich auch ein kleines Abenteuer. Da der Vorlauf bis zum 1. Juni relativ lang war, hatte ich genügend Zeit, um zu recherchieren und mich auf Minden einzustimmen. Dazu zählte natürlich auch die tägliche intensive Lektüre des MT auf allen seinen Kanälen.

Welchen ersten Eindruck haben Sie von Minden und den Menschen in der Region?

Verglichen mit dem ländlich geprägten Landkreis Lüchow-Dannenberg, ist Minden städtisch. Vor den Ostwestfalen hatte man mich gewarnt. „Die gehen zum Lachen in den Keller“ – dieser Satz kam eigentlich immer. Aber das trifft nicht zu. Ich habe die Menschen hier bisher sehr aufgeschlossen und freundlich erlebt.

Schon als Schüler sammelten Sie Ihre ersten journalistischen Erfahrungen bei Lokalzeitungen. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen, das auch heute noch für Ihre Arbeit relevant ist?

Die Erkenntnis, wie wichtig die Nähe zu den Menschen vor Ort ist. Ein Lokalmedium muss offen für die Menschen sein. Wir dürfen uns nicht in den Elfenbeinturm zurückziehen.

Was lieben Sie an Ihrem Beruf besonders, was weniger?

Zu den Vorzügen zählt sicherlich, dass man analysiert, kommentiert und gemeinsam im Team an einem guten Produkt arbeitet. An die Tatsache, dass ein Lokaljournalist eine Art öffentliche Person ist, musste ich mich erst gewöhnen. Ungestört über ein Stadtfest schlendern, das ist nicht drin.

Welche Projekte stehen in den nächsten Monaten ganz oben auf Ihrer Agenda?

Um die Region und ihre Menschen kennenzulernen, starte ich das Projekt #200in365. Innerhalb meines ersten Jahres beim MT möchte ich 200 Gespräche mit Menschen in unserem Verbreitungsgebiet führen. Per Interview landen diese Gespräche in der gedruckten Zeitung, außerdem auf digitalen Kanälen wie mt.de, Facebook, Instagram oder Twitter.

Werfen wir einen Blick in die Glaskugel: Wie stellen Sie sich das MT im Jahr 2044 vor?

Lokale Inhalte werden auch im Jahr 2044 wichtig sein – weil lokale Themen die Menschen auch in Zukunft bewegen werden. Wer könnte dieses Bedürfnis besser abdecken als ein Lokalmedium wie das MT?
In 2044 wird – so meine optimistische Einschätzung – ein grundlegendes Verständnis dafür herrschen, dass digitale Inhalte Geld kosten. Außerdem wird es irgendeine Art von gedruckten Produkten auch 2044 noch geben.

Bitte vervollständigen Sie die folgenden Sätze:
Das Mindener Tageblatt ist…

…ein breit aufgestelltes Lokalmedium in einer lebenswerten Region.

Lokale journalistische Inhalte sind…

…unverzichtbar, um sich in seinem Lebensumfeld zu orientieren.

Ein guter Lokaljournalist sollte…

…neugierig auf die Menschen sein und sich nicht hinter seinem Schreibtisch verkriechen.

Die digitale Transformation ist…

…zentral wichtig, vor allem im Hinblick auf die mobile Nutzung journalistischer Inhalte.

Heimat ist…

…dort, wo ich arbeite, mich wohlfühle und wo meine Familie ist.

Journalistenpreise sind…

…ganz nett, aber nicht besonders wichtig – das Ziel darf nicht die Auszeichnung, sondern muss die gute Geschichte sein, die möglichst viele Menschen spannend finden.

Zur Person

Benjamin Piel wurde 1984 in Hagen geboren. Seit 2015 leitete er gemeinsam mit einem Kollegen die Redaktion der Elbe-Jeetzel-Zeitung im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Nach dem Studium der Neueren deutschen Literatur, Neueren und neuesten Geschichte und Vergleichenden Religionswissenschaft an der Universität Tübingen volontierte er bei der Schweriner Volkszeitung, war danach dort Redakteur und wechselte 2012 zur Elbe-Jeetzel-Zeitung. Immer wieder schreibt Benjamin Piel auch für überregionale Medien wie die Zeit oder Spiegel Online. Für seine Arbeit wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Theodor-Wolff-Preis.

Von Stephanie Klusmann, Brunsmedienservice

Dieser Artikel ist zuerst im Magazin johann! – Aktuelles aus der Unternehmensgruppe J.C.C. Bruns erschienen.