Monthly Archives: November 2018

Drei Fragen an … Heidi Bierbaum und Heinz Grütter vom Repair-Café: „Alle gehen mit einem guten Gefühl nach Hause“ (#200in365, No.79)

Heidi Bierbaum und Heinz Grütter wollen, dass weniger auf dem Müll landet.

Wenn Elektrogeräte kaputtgehen, lohnt sich eine Reparatur oft nicht. Dagegen wollen Heidi Bierbaum und Heinz Grütter vom Repair-Café Minden etwas tun. An jedem dritten Samstag des Monats reparieren sie und andere im Sommerbad Geräte.

Warum haben Sie das Café gestartet?

Heinz Grütter: Viele Menschen schmeißen Dinge weg, weil sie glauben, dass eine Reparatur nicht möglich sei. In Wirklichkeit müssen oft nur kleine Teile ausgetauscht werden. In 70 bis 80 Prozent der Fälle sind wir erfolgreich.

Worum geht es Ihnen noch?

Heidi Bierbaum: Wir schlagen mehrere Fliegen mit einer Klappe. Erstens sind wir dem Sommerbad verbunden und freuen uns, dass das Repair-Café Menschen dorthin bringt. Zweitens kommen Menschen zusammen und unterhalten sich. Einmal war eine Russlanddeutsche mit einem kaputten Wecker da. Wir haben ihn repariert, und die Frau hat uns die Geschichte des Weckers erzählt. Als er wieder lief, standen ihr die Tränen in den Augen. Alle gehen mit einem guten Gefühl nach Hause. Wir hoffen, dass das Leute motiviert, bei uns mitzumachen.

Es gibt den Vorwurf, Firmen würden so produzieren, dass die Geräte zügig kaputtgehen. Was ist dran?

Heinz Grütter: Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Manche Konstruktionen sehen danach aus. Auch sind einige Geräte offenbar nicht dafür hergestellt, repariert zu werden, die lassen sich kaum öffnen. Das ist nicht nachhaltig. Uns dagegen geht es genau darum: dass weniger auf dem Müll landet.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur

Klempnermeister Werner Schäfer druckt reines Gold auf seine Visitenkarten. Seinen Kunden will er damit im Gedächtnis bleiben (#200in365, No.78)

Werner Schäfer schätzt den Euro nicht als sonderlich stabil ein. Foto: Jens Kretschmer

Man sagt, das Handwerk habe einen goldenen Boden. Bei Werner Schäfer ist das mehr als nur ein Spruch. Der Inhaber einer Mindener Heizungs- und Sanitärfirma hat nicht sehr viel Vertrauen in den Euro und interessiert sich deshalb für digitale Zahlungsmittel wie Bitcoin und Ethereum sowie für Gold. So kam der 69-Jährige auf eine ungewöhnliche Idee: Er lässt auf Visitenkarten 0,1 Gramm reines Gold aufdrucken. Seinen Kunden soll das in leuchtender Erinnerung bleiben.

Eine Visitenkarte mit reinem Gold – wie und warum sind Sie auf diese Idee gekommen?

Ich bin ein neugieriger Mensch. Gold fasziniert mich und seit ein paar Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema. Auch, weil ich glaube, dass der Euro schwierigen Zeiten, auf längere Zeit sogar einem Crash entgegengeht. Gold ist seiner Knappheit wegen ein Wert an sich, das überzeugt mich. So bin ich auf die Idee gekommen, Gold auf unsere Visitenkarten zu drucken. Denn wer hat sowas schon?

Was wollen Sie damit erreichen?

Wir machen unsere Kunden neugierig. Meine Beobachtung ist: Wer so eine Karte in die Hand bekommt, lässt sie so schnell nicht wieder los, schaut sie immer wieder an und wirft sie garantiert nicht weg. Kunden, die eine Heizung gekauft haben, bekommen übrigens ein Gramm reines Gold von uns dazu. Die hat einen Wert von um die 40 Euro. Aber das ist nicht der Punkt. Es geht darum, im Gedächtnis zu bleiben. Ich bin überzeugt, dass das mit dem Gold gut funktioniert. Denn das machen eben nur wir.

Sie akzeptieren auch, wenn Kunden Sie in Bitcoin bezahlen. Warum?

Weil ich daran glaube, dass digitale Zahlungsmittel in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. Mir ist der Blick vieler Medien auf digitale Zahlungsmittel zu negativ und warnend. Natürlich gibt es das Risiko der Kurseinbrüche, aber das gibt es bei Aktionen doch auch und davor wird auch nicht ununterbrochen gewarnt. Nicht einfach war übrigens, mit dem Steuerberater die steuerliche Seite zu klären, wie der Weg laufen muss, wenn jemand in Bitcoin bezahlen möchte. Da sind einige Dinge zu beachten, die wir aber auf die Reihe bekommen haben. Das ist wichtig, weil da schnell was schiefgehen kann. Probleme mit dem Finanzamt möchte ich gerne vermeiden.

Visitenkarten mit Goldaufdruck. MT-Foto: Lehn

Hat denn jemals jemand in Bitcoin bezahlt?

Nein, bisher noch nicht. Aber das wird kommen, da bin ich mir sicher. Bis es soweit ist, wollen wir etwas machen, das noch kaum jemand anbietet. Als Nebeneffekt geht es mir darum, die Leute neugierig auf die Themen Währungen, Digitalwährungen und Gold zu machen.

Demnächst wird einer Ihrer Mitarbeiter ihren Betrieb operativ übernehmen. Wird er dieses Thema weiterführen?

Ja, unser Prokurist Christian Schaper steht voll hinter diesen Dingen. Er wird dieses Thema in meinem Sinne weiterverfolgen.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur

Die meisten sexuellen Übergriffe finden dort statt, wo Frauen am sichersten sein sollten. Die Beratungsstelle Wildwasser weiß, was Opfer sexueller Gewalt am nötigsten brauchen (#200in365, No. 77)

Vereinsvorsitzende Christiane Böke (rechts) und Traumafachberaterin Angela Gräper helfen
Mädchen und Frauen, die sexualisierte Gewalt erlitten haben. MT-Foto: Benjamin Piel

Der Fremde auf der Straße, der einer Frau das Messer an die Kehle hält, sie ins Gebüsch zerrt, sie vergewaltigt. Das ist eine der grausamsten Vorstellungen. Diese Fälle gibt es zwar, sie sind aber Ausnahmen. Das sagen die Frauen von der Mindener Beratungsstelle Wildwasser. Und die müssen es wissen, denn sie beraten Frauen und Mädchen ab 14 Jahren, die Missbrauch und sexualisierte Gewalt erlebt haben. Im vergangenen Jahr waren es 114 Klientinnen. Der fremde Täter im Gebüsch ist bei der Arbeit der Vereinsvorsitzenden Christiane Böke und Traumafachberaterin Angela Gräper selten ein Thema. Wohl aber Ehemänner, Freunde, Väter, Onkel, Bekannte.

Vergewaltigungen sind ein großes Thema in der Öffentlichkeit. Es gibt eine große Angst vor Übergriffen durch Fremde.

Angela Gräper: Wir erleben in unserer Arbeit, dass es meistens eben nicht der Fremde ist, sondern der Freund, der Bekannte, Familienmitglieder — Männer aus dem Nahbereich der Frauen. K.o.-Tropfen sind zunehmend ein Thema. Wir hatten fünf Fälle allein in den zurückliegenden acht Monaten. Allerdings sind die Täter auch in diesen Fällen meistens keine Fremden.

Wie hilfreich war die Me-too-Debatte für Sie?

Christiane Böke: Wenn über das Thema gesprochen wird und Opfer ihr Schweigen brechen, ist das gut. Die Gefahr ist, dass ein medialer Hype entsteht und danach ein Loch kommt, als wäre das Thema verschwunden, obwohl es in Wahrheit weiterhin existiert.

Zu der Zeit, als die Beratungsstelle entstanden ist, konnte von Me-too keine Rede sein. Wie war das damals?

Böke: Das war vor 29 Jahren. 15 Frauen fanden sich zusammen, weil ihnen klar war, dass das Thema Missbrauch ein großes ist, über das aber nicht groß geredet wurde. Ganz im Gegenteil: Das wurde damals totgeschwiegen. „So etwas gibt es doch nicht in der Mittelschicht – und in der Oberschicht schon gar nicht“, hieß es damals. Dass sich dieses Thema durch alle Schichten zieht, war damals unvorstellbar. Uns ging es zuerst einmal um Enttabuisierung. Wir haben eine Ausstellung konzipiert, die dann bundesweit zu sehen war. Außerdem wollten wir Mädchen und Frauen einen Raum geben, ihre Geschichte erzählen zu können. So ging es los und Stück um Stück weiter.

Und dann?

Böke: Wir haben angefangen, unbezahlt zu arbeiten. Einfach angefangen. Niemand von uns hätte gedacht, dass das daraus werden könnte, was es heute ist, niemals. Vor allem auch, weil wir viel Gegenwind hatten, durchaus auch Anfeindungen. „So was brauchen wir hier doch nicht“, sagten viele. Nach dem Motto: Wo es keine Beratungsstelle gibt, da gibt es auch kein Problem. Die Zeiten, in denen das so gesehen wurde, sind zum Glück längst vorbei.

Warum eigentlich der Name Wildwasser?

Gräper: Im wilden Wasser, in dem sich die Mädchen und Frauen durch das, was sie erlebt haben, befinden, wollen wir eine Insel für sie sein.

Was macht diese Insel besonders?

Böke: Wenn jemand zu uns kommt, dann zweifeln wir nicht daran, dass uns die Mädchen und Frauen eine Geschichte erzählen, die stimmt. Das ist ganz wichtig für die Betroffenen, dass ihnen endlich jemand glaubt. Vertrauen aufzubauen, das ist ganz wichtig. Die Betroffenen haben einen Kontrollverlust erlitten, deshalb braucht es eine radikale Parteilichkeit in ihrem Sinne. Und dann geht es nicht vorrangig darum, das Geschehene zu erzählen und in den Mittelpunkt zu stellen, sondern die Folgen.

Gräper: Im Kern geht es um drei Dinge: Stabilisierung, Stabilisierung, Stabilisierung. Die Beratung ist nicht die kleine Schwester der Therapie. Wir möchten mit den Frauen diesen Weg gehen. Unser Ansatz ist nicht, die Familie und das ganze System in den Blick zu nehmen, sondern wir schauen ganz intensiv nach der Situation unserer Klientinnen. Bei uns muss niemand etwas bezahlen.

Was raten Sie Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben?

Gräper: Ruhe bewahren, sich vernetzen, sich mit anderen verbünden, sich Hilfe suchen. Wir schauen mit den Frauen und Mädchen dann mit Ruhe und Zeit auf die Situation, begleiten sie, damit sie ihren Weg finden. Wichtig ist, dass nichts über ihren Kopf hinweg passiert. Dass zu einem für die Frauen falschen Zeitpunkt beispielsweise eine juristische Aufarbeitung beginnt, kann ein falscher Weg sein, wenn die Frauen dafür noch gar nicht bereit und stabil sind.

Ist die Finanzierung eines solchen Projekts ein Problem?

Böke: Wir würden uns wünschen, bei der Förderung für die inzwischen vier halben Stellen kein Wackelkandidat mehr zu sein und uns nicht immer fragen zu müssen, ob es in zwei Jahren weitergeht oder nicht. Wir würden gerne nicht mehr so viel über Geld nachdenken müssen. Alle stellen sich groß hin und sagen, wie wichtig das Thema ist. Aber wenn es um Geld geht, müssen wir uns noch immer rechtfertigen. Das wollen wir nicht mehr.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur