Monthly Archives: Februar 2016

Wenn’s in der Gerüchteküche brodelt: Wie wir uns bemühen, an die Fakten heranzukommen

 

Ein erfolgreicher Facebook-Post über vermeintliche Flüchtlingsagressionen gegenüber Frauen im Mindener Kaufland – und was die MT-Redaktion dazu an Fakten herausfinden kann. Ein Anschauungsbeispiel für das Thema Recherche. Repro: MT

Über Flüchtlinge wird sich viel erzählt. Und wie das beim Erzählen eben so passiert, reicht vielen die Tatsache des Gehört- (oder auf Facebook Gelesen-)habens als Beleg für die erzählte Geschichte. So werden aus Gerüchten vermeintliche Fakten.

Und wie das wiederum so ist mit Gerüchten: einmal in der Welt, sind sie von noch so viel Fakten kaum noch in ihrer Existenz zu gefährden. Schon deshalb, weil manches Gerücht von manchen Zeitgenossen auch deswegen so gerne weitererzählt wird, weil sie genauso gerne glauben möchten, dass es eigentlich eine Tatsache ist.

Regelmäßig schlagen Gerüchte im Zustand des Schon-für-Fakten-Gehaltenwerdens in der MT-Redaktion auf. Das ist für Zeitungsredaktionen nichts ungewöhnliches und gab es auch vor der Flüchtlingskrise schon. Mit deren Einsetzen allerdings ist das Gerüchtebarometer geradezu explodiert.

Geduldig überprüfen die Kolleginnen und Kollegen vor allem der Lokalredaktion immer wieder zumindest solche Hinweise, die nicht schon gleich als “alte Bekannte” grüßen. Schließlich können Gerüchte ja auch durchaus ein Körnchen (oder mehr) Wahrheit enthalten. Manchmal kommt sogar eine Berichterstattung dabei heraus. Bisher ist uns in Sachen “Flüchtlinge” allerdings auf diesem Wege noch keine Information untergekommen, die einer genaueren Überprüfung des ursprünglich Behaupteten standgehalten hätte.

Nadine Conti, Monika Jäger und Stefan Koch erzählen heute auf der Seite 3 die Geschichte einer Recherche, die sie anlässlich eines besonders erfolgreichen heimischen Facebook-Posts zum Thema “Flüchtlinge” unternommen haben (es ging um angebliche sexuelle Agressionen gegen Frauen in der Mindener Kaufland-Filiale). Wir veröffentlichen das auch deshalb, um die Arbeit der Redaktion zu verdeutlichen – und um an einem konkreten Beispiel zu zeigen, wie “Recherche” geht. Das franzöische Wort bedeutet in der deutschen Übersetzung “Suche”. Und das ist es, was wir in unserer Redaktion, was auch andere Medien in ihren Redaktionen tun: nach Informationen suchen.

Denn das sollten unsere Leserinnen und Leser wissen: Die von uns veröffentlichten Fakten sind auch welche – und wenn wir etwas nur vom Hörensagen wissen, schreiben wir das und die Quelle dazu. Übrigens nicht nur beim Thema “Flüchtlinge”.

Die Geschichte zu diesem Blogbeitrag gibt’s hier (+): http://www.mt.de/lokales/minden/20711806_Was-ist-an-Fluechtlings-Geruechten-dran.html

Von Christoph  Pepper, Chefredakteur

Nachträglich Personen in Bild montiert: MT beendet Zusammenarbeit mit freiem Mitarbeiter

Ganz so hat die Aufstellung nicht stattgefunden, zwei zum verabredeten Termin verhinderte Teilnehmer wurden "nachmontiert". Das hat die MT-Redaktion zur sofortigen Trennung von ihrem freien Mitarbeiter bewogen. Dokumentation/Bearbeitung: MT

Ganz so hat die Aufstellung nicht stattgefunden, zwei zum verabredeten Termin verhinderte Teilnehmer wurden “nachmontiert”. Das hat die MT-Redaktion zur sofortigen Trennung von ihrem freien Mitarbeiter bewogen. Dokumentation/Bearbeitung: MT

23 Petershäger Bürgerinnen und Bürgern stehen bildwirksam um ein Stop-Schild gruppiert, um gegen Pläne von Politik und Verwaltung zu protestieren, den Schiffsanleger Heisterholz umzugestalten. Mit diesem Foto bebilderte unserer freier Mitarbeiter D.M. einen Artikel  über eben diesen Protest, den das MT unter der Überschrift „Das Maß ist voll“ auf der Petershagen-Seite vom 9. Februar veröffentlichte.

Allerdings waren gar nicht alle 23 Abgebildete zum Zeitpunkt des Aufnahmetermins anwesend – zwei waren nach inzwischen vorliegender Aussage des Fotografen wegen einer Beerdigung verhindert, konnten erst kurze Zeit später und wollten aber gern noch aufs Foto drauf. Mit den Mitteln moderner Bildbearbeitung, so man sie beherrscht, kein Problem – jedenfalls dachte sich das der Mitarbeiter.

Für uns allerdings doch ein Problem, und zwar ein grundsätzliches: Symbol- oder bearbeitete Fotos sind als solche kenntlich zu machen, wenn man sich nicht dem Vorwurf der Bild- und damit letztlich der Lesermanipulation aussetzen will. Da ist nicht nur der für die MT-Redaktion verbindliche Pressekodex eindeutig, sondern auch unser journalistischer Anspruch. Allerdings war auch die Redaktion über diese Manipulation im Unklaren gelassen worden, auch sie wurde insofern getäuscht.

Die einschlägigen Bestimmungen des Pressekodex. Repro: MT

Die einschlägigen Bestimmungen des Pressekodex. Repro: MT

Am Samstagnachmittag erfuhr die Chefredaktion erstmals von entsprechenden Gerüchten, am Sonntag ergaben sich weitere Hinweise. Am Montagmorgen wurde deshalb ein Gespräch mit dem Mitarbeiter anberaumt. Als in diesem Gespräch der Sachverhalt bestätigt wurde, hat die Ressortleitung daraufhin mit sofortiger Wirkung die Zusammenarbeit beendet.

Chefredakteur Christoph Pepper in einer Mail an Bürgermeister Dieter Blume und die drei Fraktionsvorsitzenden des Petershäger Stadtrates, die sich ebenfalls am Montagmorgen mit einer gemeinsamen Erklärung in Sachen „Anleger“ ans MT gewandt hatten (siehe Berichterstattung am 16.2.2016 auf der Seite Petershagen):  „Ich bedaure sehr, dass dieser Vorgang Zweifel an der Seriosität der MT-Berichterstattung wecken konnte. Die hier praktizierten journalistischen Formen widersprechen komplett unseren Prinzipien, auf deren Einhaltung wir großen Wert legen. Ich entschuldige mich dafür, dass sie den Weg ins Blatt finden konnten.“ Diese Bitte um Entschuldigung geht natürlich gleichfalls an alle Leserinnen und Leser.

Von Christoph Pepper, Chefredakteur 

Kommentar zu 15.000 Facebook-Freunden: Die Kehrseite der Medaille

15.000 Facebook-Likes für die MT-Seite - das ist ganz schön viel und darüber freuen wir uns aufrichtig. Weniger freuen wir uns des öfteren über den in manchen Kommentaren angeschlagenen Ton.

15.000 Facebook-Likes für die MT-Seite – das ist ganz schön viel und darüber freuen wir uns aufrichtig. Weniger freuen wir uns des öfteren über den in manchen Kommentaren angeschlagenen Ton.

Es ist eine magische Zahl, auf die wir lange hingefiebert haben: 15.000 Facebook-Freunde hat das Mindener Tageblatt seit dieser Woche. Das sind 15.000 mehr als noch vor sechs Jahren und ein Grund, stolz zu sein. Das MT gehört damit zu den wichtigsten Facebook-Nachrichtenkanälen der Region, fast 40.000 Menschen können die Links und Postings der Redaktion durch die Teilen-Funktion täglich sehen.

Leider hat die Medaille wie so oft auch eine Kehrseite und die ist mittlerweile so prominent, dass es manchmal schwerfällt, sich an die vielen guten Seiten zu erinnern. Die Diskussions-Kultur ist auf Facebook in den vergangenen Jahren immer respektloser geworden, und das zehrt nicht nur an den Nerven der Leser, die sich sachlich zur Diskussion äußern wollen, sondern sorgt auch zunehmend für schlechte Stimmung in der Redaktion. Der Satz „Woher kommt nur dieser ganze Hass?“ ist keine Seltenheit mehr.

Das geht so weit, dass wir uns als Redaktion mittlerweile zwei Mal überlegen, welche Themen wir im Sozialen Netzwerk teilen und auf welche wir lieber verzichten – eine Entwicklung, die wohl an niemandem so sehr nagt wie an uns selbst. Denn eigentlich wollen wir uns von Menschen, die respektlos agieren und Diskussionen mit Schimpfworten und Hetztiraden bombardieren, nicht vorschreiben lassen, welche Themen wir auf die Facebook-Agenda setzen.

Es gibt jedoch Tage, da beschäftigt sich ein Mitglied der Online-Redaktion mit nichts anderem als der Moderation und dem Löschen von unangebrachten oder strafbaren Kommentaren. In einem Team von drei Redakteuren ist das nur schwer zu kompensieren. Und da drängt sich auch die Frage auf: Sind diese Menschen es wert, unsere gesamte Zeit zu opfern oder konzentrieren wir uns lieber auf die, die sich konstruktive Gedanken machen, diese aber in der Masse von Dummheit und Hetze nicht äußern wollen?

Es gibt Tage, da wird die Entlassung mancher Kollegen gleich mehrfach gefordert, sie werden als Primaten beschimpft, öffentlich bloß gestellt, manchmal wird Kollegen mit Gewalt oder unspezifizierten „Konsequenzen“ gedroht. In der Regel tun das diejenigen, die selbst nur unter einem Pseudonym auf Facebook unterwegs sind. Respektlosigkeit ist einfach, wenn das Gegenüber sich nicht wehren kann.

Manchmal ist es schwer, da nicht die Lust zu verlieren und sich immer wieder vor Augen zu führen, wie nah uns Facebook unseren Lesern gebracht hat und wie viele von ihnen in ständigem und gutem Kontakt zu uns stehen. Wir treten deshalb jetzt die Flucht nach vorn an und löschen rigoros alle Unverschämtheiten gegen uns und andere. Auf dass sich diejenigen, die mitdenken und konstruktive Kritik äußern wollen, wieder trauen, sich an der Diskussion zu beteiligen.

Von Nina Könemann, Online-Redaktion