“Soziale Netzwerke sind kein Selbstbedienungsladen für die Presse”

Der Deutsche Presserat erhält zunehmend Beschwerden, bei denen Leser die Verwendung von Fotos und Informationen aus sozialen Netzwerken wie Facebook, Xing, studiVZ kritisieren. Das teilten Sprecherin Ursula Ernst und Geschäftsführer Lutz Tillmans auf der Jahrespressekonferenz dieses Organs der freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Zeitungen und Zeitschriften mit. Wie die Medien mit solchen Inhalten umgehen sollten, war deshalb ebenso Thema der Pressekonferenz wie Informationen über eine derzeit in Arbeit befindliche Richtlinie für die Wahrung der Persönlichkeitsrechten von Opfern von Straftaten. Außerdem gaben Ernst und Tillmans einen Überblick über die 1.661 Beschwerden, die 1.323 Leser beim Presserat über Beiträge in Zeitungen oder Zeitschriften sowie deren Online-Ablegern eingereicht hatten, und deren Behandlung durch das Organ.

Soziale Netzwerke: „Nicht alles was verfügbar ist, darf auch veröffentlicht werden“

Bei der Nutzung von Bildern, Texten und sonstigen Informationen geht es nach Auffassung des Presserates um grundlegende Fragen der Recherche und der Veröffentlichung von Informationen. „Grundsätzlich gehört die Recherche in sozialen Netzwerken zum legitimen journalistischen Handwerkszeug. Soziale Netzwerke sind jedoch kein Selbstbedienungsladen. Mit den Inhalten muss sorgsam umgegangen werden“, sagte Sprecherin Ursula Ernst. Die ethischen Grenzen der Recherche werden in Ziffer 4 des Pressekodex klar umrissen.

Grenzen existieren im nächsten Schritt auch für die Veröffentlichung von privaten Informationen aus sozialen Netzwerken. Ursula Ernst dazu: „Nicht alles, was verfügbar ist, darf auch ohne Einschränkung veröffentlicht werden. Denn die eigene Darstellung, zum Beispeil in einem Facebook-Profil, bedeutet nicht zwingend eine ‚Medienöffentlichkeit‘. Journalisten müssen bei der Veröffentlichung sorgfältig abwägen, welches Interesse überwiegt: Das Recht der Öffentlichkeit auf Information oder das Recht einer Person auf den Schutz des Privatlebens.“ Hier gelte Ziffer 8 des Pressekodex:

Ziffer 8 – Persönlichkeitsrechte
Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden. Die Presse achtet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

Eigene Richtlinie für Opfer

Der Deutsche Presserat überarbeitet zurzeit die Ziffer 8 (Persönlichkeitsrechte) des Pressekodex und die dazu gehörigen Richtlinien. Insbesondere sollen die ethischen Regeln für Straftäter- und Opferberichterstattung novelliert werden. Klar ist schon jetzt, dass zwischen Opfern und Tätern deutlich unterschieden werden soll. Beide Gruppen wurden bislang in einer gemeinsamen Richtlinie 8.1 behandelt. „Geplant ist eine eigene Richtlinie zur Opferberichterstattung, die dem besonderen Stellenwert des Opferschutzes beim Presserat gerecht werden soll. Das Recht des Opfers auf Anonymität ist ein grundlegendes und wichtiges Anliegen für den Presserat, das durch die jahrelange Spruchpraxis untermauert wird“, sagt Geschäftsführer Lutz Tillmanns. Das Plenum des Presserats wird sich auf seinen nächsten Sitzungen mit dem Thema befassen.
Zahlen und Trends zur Beschwerdearbeit

Das Jahr 2011 war für den Presserat ein beschwerdereiches Jahr. 1.323 Leser wandten sich an die Freiwillige Selbstkontrolle der Presse, um sich über Beiträge in Zeitungen, Zeitschriften oder deren Online-Ablegern zu beschweren. Die Beschwerdezahl ist im Vergleich zum Rekordjahr 2010 mit 1.661 Fällen jedoch gesunken. Grund hierfür: Im vergangenen Jahr gab es nur eine große Mehrfachbeschwerde: Rund 50 Leser kritisierten die Berichterstattung zum Tod des libyschen Diktators Gaddafi. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 gingen allein knapp 200 Beschwerden zum TITANIC-Titelblatt vom April 2010 und mehr als 240 Beschwerden zum Loveparade-Unglück ein.

Im laufenden Jahr 2012 lösten zwei Veröffentlichungen erneut eine Beschwerdewelle aus: das Titanic-Titelbild vom Juli, das den Papst mit befleckter Soutane zeigt und die Kolumne „Post von Wagner“ zur Homo-Ehe in der BILD, erschienen im August. Insgesamt reichten 250 Leser ihre Kritik ein. Beide Fälle werden auf der Tagesordnung der nächsten Beschwerdeausschuss-Sitzungen stehen. Die Zahl der Beschwerden 2012 wird daher im Vergleich zum Vorjahr voraussichtlich leicht ansteigen. Die bisherigen Maßnahmen der Ausschüsse nach zwei von vier Sitzungsterminen:

– 11 öffentliche Rügen
– 3 nicht-öffentliche Rügen
– 27 Missbilligungen
– 44 Hinweise
– 10 begründet, ohne Maßnahme
– 81 Beschwerden unbegründet

Rückblick: Die Beschwerdeausschüsse sprachen im Jahr 2011 in vier Sitzungen folgende Maßnahmen aus:

– 13 öffentliche Rügen
– 7 nicht-öffentliche Rügen
– 65 Missbilligungen
– 102 Hinweise
– 24 begründet, ohne Maßnahme
– 209 Beschwerden unbegründet.

Aufgaben, Ziele und Gremien des Deutschen Presserates: www.presserat.info

Quelle: Deutscher Presserat, MT

One thought on ““Soziale Netzwerke sind kein Selbstbedienungsladen für die Presse”

  1. Rolf

    Richtige Aussage, aber sollte das nicht auch für das Wiederveröffentlichen (“Teilen”) von Inhalten aus sozialen Netzwerken _in_ sozialen Netzwerken gelten?

    Auf der Facebook-Seite des Vlothoer Anzeigers wird jeden Abend ein so genanntes “Schmankerl” veröffentlicht. Manchmal sind das beliebige Youtube-Videos, oft aber auch im sozialen Netzwerk kursierende Spaßfotos, deren Urheber man nicht mehr herausfinden kann.

    Ich halte es nicht für die Aufgabe einer seriösen Zeitung, regelmäßig irgendwelchen Spam zu verbreiten, und habe deswegen schon das Abonnement der FB-Seite gekündigt. Schade eigentlich, denn _echte_ Neuigkeiten aus meiner alten Heimatstadt lese ich gern mal zwischendurch.

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