Journalistische “Vergangenheitsbewältigung” im Präsens

 
Von: E.L. [mailto:]
 Gesendet: Samstag, 9. November 2013 09:47
An: Christoph Pepper
Betreff: “Vergangenheitsbewältigung” im MT

 

Sehr geehrter Herr Pepper,

Sie hatten mir vor ca. 8 Jahren schon einmal ganz lieb und ausführlich geantwortet. Daher wende ich mich erneut an Sie.

(Eigentlich sollte man – als alter MT-Leser – viel mehr das MT loben. Aber da pickt man sich die wenigen “Auffälligkeiten” heraus und “meckert”! Die vermeintliche Freude daran drückt sich ja auch in dem Satz: `Da kann man nicht meckern…´ aus.)

Also, worum geht´s?

Wie oft lese ich in unserem Heimatblatt von Veranstaltungen und denke: Au, fein, da geh´ste hin. Und dann, wenn man weiter liest, ist man enttäuscht, denn die Veranstaltung war bereits gelaufen!

Meine Frage: Warum werden im MT die Überschriften zu solchen Ereignissen nicht in der Vergangenheitsform benannt? Genug Beispiele hierzu fand ich in Ihrer gestrigen Ausgabe (8.11.13):

Seite 4: “Frühere Bundesverfassungsrichterin Jutta Limbach spricht zur Ausstellungseröffnung……”

Seite 12: “Gemischter Chor Lahde unterhält das Publikum mit flotten Rhythmen”

Seite 14: “Dieter Richter liest im Hansehaus aus seiner Jean-Paul-Biografie” (auch im Artikel alles in der Gegenwart).

Seite 19: “Griechische Polizei beendet fast fünfmonatige Besetzung….”

Gleiche Seite: “Britische Gemeimdienste stehen öffentlich Rede und Antwort”

Das scheint eine so sehr ausgeprägte Angewohnheit (Marotte) zu sein, dass es gar nicht mehr auffällt…. Vielleicht sollte ich meine Auffassung ändern?

Ansonsten schätze ich Ihre Arbeit sehr und bleibe Ihnen als treuer Leser erhalten.

Mit freundlichen Grüßen: E. L.

ANTWORT DER CHEFREDAKTION:

 
Von: Christoph Pepper
An: E.L
Gesendet: Mo 11.11.2013 17:35
Betreff: AW: “Vergangenheitsbewältigung” im MT

 

Sehr geehrter Herr L.,

vielen Dank für Ihre Mail, Ihr Lob – Sie haben Recht, das kommt selten vor ;-), umso mehr freuen wir uns dann drüber – sowie Ihr Interesse an unserer Zeitung. Gern antworte ich Ihnen und bitte gleich um Nachsicht, dass es damit ein wenig gedauert hat.

In der Tat wird in Zeitungen (nicht nur beim MT) das Präsens häufig auch dann angewandt, wenn streng nach der Grammatik eine Vergangenheitsform wie Perfekt oder Imperfekt angemessen wäre. Allerdings kennt auch die deutsche Grammatik das sogenannte „Historische Präsens“. Es wird benutzt, um etwas, das in der Vergangenheit passiert ist, in die Gegenwart zu holen. Genau das ist die Absicht dieses Sprachgebrauchs: den Zeitungsleser näher ans Geschehen zu holen, die Texte und damit das Berichtete, Beschriebene aktueller, unmittelbarer wirken zu lassen. Eigentlich ein Stilmittel der Reportage, hat es sich zunehmend auch in andere Beitragsformen wie den Bericht geschmuggelt und gilt heute weitgehend als journalistischer Standard.

Für Ankündigungen wäre das Präsens, gingen wir erneut streng nach der Grammatik, ja auch nicht die richtige Form: Schließlich müsste man für Ereignisse, die erst noch in der Zukunft stattfinden, das Futur verwenden. Man sieht, Zeitungsschreiber nehmen sich gewisse Freiheiten – aber sie tun das, so hoffen sie jedenfalls, im Interesse ihrer Leserinnen und Leser. Zuschriften wie die Ihre bringen uns dann allerdings dazu, das Ganze von Zeit zu  Zeit intern auch mal wieder kritisch zu hinterfragen.

Nochmals vielen Dank dafür.

Weiterhin viel Freude mit Ihrer Lokalzeitung wünscht Ihnen

MINDENER TAGEBLATT / MT ONLINE

Christoph Pepper

Chefredakteur

 

 

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