Härtester Tarifkonflikt seit 1991

Die Zeitungsbranche erlebt den härtesten Tarifkonflikt seit Beginn der 90er Jahre. Damals wurde – erfolgreich – für einen Ausbildungstarifvertrag gestreikt, der das Volontariat verbindlich regeln sollte. Auch 2011 geht es unter anderem wieder um junge Journalisten. Doch beiden Seiten, Zeitungsverlegern wie Journalistengewerkschaften, geht es eigentlich um Grundsätzlicheres. Eigentlich streitet man um die Zukunft der Branche schlechthin.

Die Zeitungsvielfalt in Deutschland ist unter wirtschaftlichen Druck geraten. Foto: DPA

Seit Monaten kommt es immer wieder zu Warnstreiks, auch beim Mindener Tageblatt. Bereits am Montag hatten  Zeitungsredakteure in ganz Ostwestfa- len-Lippe erneut für mehrere Tage die Arbeit niedergelegt, darunter auch MT-Beschäftigte. Im Rheinland und Ruhrgebiet wird ebenfalls befristet gestreikt. In Baden-Württemberg gibt es nach entsprechendem Urabstimmungsergebnis bereits seit vergangener Woche unbefristete Ausstände, auch die von den Journalistengewerkschaften DJV und Verdi in Nordrhein-Westfalen und Bayern durchgeführten Urabstimmungen ergaben fast 100-prozentige Streik-Voten.

Worum geht es? Seit vielen Jahren verlieren die gedruckten Tageszeitungen – in die Zange geraten zwischen demografischer Entwicklung, neuen Medien und dem Aufkommen des Internets – kontinuierlich Leser und Werbeeinnahmen. Zwar haben sie sich mit entsprechenden Angeboten parallel dazu im Internet respektable Reichweiten aufgebaut, können hier für ihre Inhalte allerdings (noch) keine nennenswerten Erlöse erzielen. Von der sprudelnden Konjunktur der Nachkrise kommt in den Verlagshäusern derzeit außer steigenden Kosten an allen Fronten so gut wie nichts an. Vor diesem Hintergrund versuchen die Zeitungsverleger seit Längerem, das strikte Kostenmanagement in allen Verlagsbereichen auch in den Personaletats der Redaktionen durchzusetzen.

Entsprechend mager fiel das Angebot des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in der Tarifrunde 2010/11 aus: “moderate” Einmalzahlungen für zwei Jahre, für das dritte eine “geringe prozentuale Anhebung”. Gleichzeitig forderten sie eine Zusammenlegung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld (derzeit 1,75 Gehälter) auf ein Monatsgehalt. Weitestreichende Forderung war schließlich die Einführung eines komplett neuen Tarifvertragswerks für Berufseinsteiger mit deutlichen Absenkungen bei Gehaltszahlungen und manteltariflichen Leistungen wie etwa der branchenüblichen zusätzlichen Altersversorgung.

Das konterten die Journalistengewerkschaften DJV und Verdi unter Hinweis auf entsprechende Zurückhaltung in den vergangenen Jahren mit Forderungen nach 4 Prozent mehr Gehalt, vor allem aber mit einer grundsätzlichen Ablehnung jedweder manteltariflichen Verschlechterungen. Vor allem die Einführung eines neuen Tarifwerks für Berufseinsteiger werten sie empört als grundsätzlichen Angriff auf den Wert journalistischer Arbeit an sich. Die Arbeitgeber wiederum sehen den Flächentarifvertrag gefährdet, falls sie keine Kosteneinsparungen erzielen können.

Seit Monaten verhandeln die Tarifparteien ergebnislos, immer schärfer wurden die Arbeitskampfmaßnahmen. Gestern trafen sich die Verhandlungsführer zur neunten Runde in Hamburg, die spätabends erneut vertagt wurde. Offenbar gab es jedoch eine “Annäherung” (BDZV), der DJV meldete gar einen “Durchbruch”.

Hintergrund: Tarife für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen

Die Gehaltstarife für Zeitungsredakteure sind nach Berufsjahren gestaffelt. Aktuell betragen sie für

Volontäre im ersten Ausbildungsjahr (bis 22 Jahre): 1.583,- Euro
Volontäre im ersten Ausbildungsjahr (ab 22 Jahre): 1.755,- Euro
Volontäre im zweiten Ausbildungsjahr: 2.034,- Euro
Redakteure im 1. bis 3. Berufsjahr: 2.987,- Euro
Redakteure im 4. bis 6. Berufsjahr: 3.467,- Euro
Redakteure im 7. bis 10. Berufsjahr: 4.000,- Euro
Redakteure ab 11. Berufsjahr: 4.401,- Euro

Aus Übergangsregelungen für frühere Berufsjahresstaffeln gibt es zudem tarifliche Gehälter bis zu 4.840,- Euro, für so genannte “Alleinredakteure” bis zu 5.553,- Euro (ab vollendetem 15. Berufsjahr).

Weihnachts- und Urlaubsgeld: 1,75 Monatsgehälter.

Für eine zusätzliche Altersversorgung (Presseversorgung) zahlen Redakteure bis zu einer Bemessungsgrenze von 4.700,- Euro 2,5 Prozent ihres Gehalts, die Arbeitgeber 5 Prozent zusätzlich in einen entsprechenden Versicherungsvertrag.

Zuschläge für Sonn- und Feiertagsdienste: 76,70 (Redakteure) bzw. 51,10 Euro (Volontäre) sowie Freizeitausgleich.

Gehaltsfortzahlung: Im Fall längerer Krankheit erstattet der Verlag je nach Betriebszugehörigkeit den vollen Differenzbetrag zwischen Kassenbarleistung und Nettogehalt für eine Dauer zwischen einem Monat (ab zwei Jahre im Betrieb) bis dauerhaft (ab 25 Jahre).

Urlaubsanspruch:
bis 40 Jahre: 30 Tage
bis 50 Jahre: 32 Tage
bis 55 Jahre: 33 Tage
ab 55 Jahre: 34 Tage

Tarifliche Arbeitszeit: 36,5 Stunden/Woche

Quelle: DJV (www.djv.de)
Gehaltstarifvertrag
Manteltarifvertrag

Fakten zur wirtschaftlichen Lage der Zeitungsbranche

Lokale, regionale und überregionale Abonnementzeitungen 1950 bis 2010 | Grafik: BDZV

Auflagen: Seit Beginn der 90er Jahre sinken die Zeitungsauflagen. Die Lokal- und Regionalzeitungen, die 1992 noch 18,5 Millionen Exemplare verkauften, kamen im 2. Quartal 2011 nur noch auf 13,4 Millionen – ein Verlust von 27 Prozent. Dieser Abschmelzungsprozess hält an und nimmt an Fahrt zu. Studien prognostizieren in den kommenden Jahren weitere kräftige Verluste.

Reichweitenentwicklung der Tageszeitungen in Deutschland 2000 bis 2010 in Prozent nach Altersgruppen | Grafik: BDZV

Reichweiten: Dabei haben die Zeitungen vor allem ein demografisches Problem: Während sie in den älteren Jahrgängen nach wie vor intensiv gelesen werden und bei den über 70-jährigen Reichweiten bis 74,2 Prozent erzielen, geht die Nutzung in den jüngeren Jahrgängen von Jahr zu Jahr kontinuierlich zurück und betrug etwa bei den 20- bis 29jährigen im Jahr 2010 nur noch 36,8 Prozent, bei den 14- bis 18-jährigen 33,4 Prozent.

Werbeaufwendungen in der Bundesrepublik Deutschland 1999 bis 2009, Marktanteile der Medien in Prozent | Grafik: BDZV

Werbeerlöse: Gleichzeitig gehen seit zehn Jahren die Anzeigenerlöse zurück. Zwar sind die Zeitungen (blaue Linie oben) nach wie vor umsatzstärkster Werbeträger, jedoch bei deutlich abnehmender Tendenz. Verlust seit dem Jahr 2000: 41 Prozent. Das konnten steigende Vertriebs- und andere Erträge nicht auffangen.

Quelle: BDZV (www.bdzv.de)

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