DIPLOMATIE – ODER: Aufholjagd

Höflichkeit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr. Woher der Spruch stammt, wusste ich bisher nicht. Wegen des Akkusativ-Dativ-Wechsels (literaturwissenschaftlich auch 3. Berliner Fallverschiebung genannt) glaubte ich immer, er käme aus der Hauptstadt.

Jetzt weiss ich, er wurde in Rengershausen erfunden, einem lieblich gelegenen – na, sagen wir mal – 100-Seelen-Nest. Ein Ortsteil der Stadt Dassel am östlichen Sollingrand.

Dort wohnt meine Tante Hannelore. Eigentlich ist sie meine Schwippschwiegertante, also die Frau des Bruders der Mutter meiner Frau (alles klar?).

WochenendeTante Hannelore ist eine Seele von Mensch und vor allem eine höfliche Frau, die mit niemandem Streit haben möchte, niemanden beleidigen würde oder auch nur den Anschein von persönlicher Kritik erwecken möchte. Die niemandem weh tun kan, außer den Hühnern, denen sie als Bauersfrau den Kopf abhackt und ihnen die Federn ausruft (in dieser Reihenfolge).

Aber Tante Hannelore hält mit ihrer Meinung trotzdem nicht hinterm Berg. Ihre Höflichkeit ist dabei von einer bewundernswerten Direktheit, die noch die Umschreibung eines Finanzberaters toppt, der seinen Kunden über den Wertverfall seines Anlagekapital damit hinwegtröstet, das Geld sei ja nicht weg, “es gehört nur jemandem anders”.

Auch die Entschuldigungskünste eines Diebes wirken gegen ihre Form, jemandem etwas Negatives durch die Blume zu sagen, einfallslos, wenn der seine Tätigkeit als “Expropriieren” verklausuliert.

Jetzt wollen Sie natürlich wissen, wie Tante Hannelore das macht. Ich erzähl´s mal: Neulich beim Kaffeekränzchen zu Schwiegermutters Geburtstag kam die Rede auf eine nicht anwesende Person. Die habe eine Diät gemacht und stark abgenommen, wurde lobend berichtet. Allseitige Zustimmung, obwohl jeder wusste: Naja, so weit ist das mit der Schlankheit nicht her.

Tante Hannelores kurzer und trockener Kommentar rückte die Welt wieder zurecht: “Sie hat aber schon wieder stark aufgeholt.”

Geht es besser? Ein Wort ausgetauscht und schon wird daraus eine Umschreibung, die einen eher negativ empfundenen Vorgang als positiv und aktiv beschreibt.

Leider hat meine Frau das auch gehört und warnt mich nun bei fast jedem Bissen nicht mehr mit zum Beispiel “Es gibt auch Käse mit weniger Prozenten”, sondern trifft mich viel tiefer mit “Du hast ja stark aufgeholt, aber du musst dich aber nicht selbst überholen wollen”.

In dem Sinne ein schönes Wochenende.

Von Hartmut Nolte, Lokalredaktion

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