Hate Speech und Fake News, Datenschutz und Netzpolitik, Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit: Auf der seit 2011 jährlich in Berlin stattfIndenden Internetkonferenz re:publica hat sich die Netzgemeinde wieder mit drängenden Digitalthemen auseinandergesetzt. “Wir freuen uns, dass wir sehr viele notwendige gesellschaftliche Debatten weiterführen konnten oder vielleicht dazu beigetragen haben, sie anzustoßen”, sagte Mitgründer Markus Beckedahl zum Abschluss am Freitag. Bei besten Wetter waren an drei Tagen insgesamt an die 10.000 Menschen in die Berliner Station gekommen – ein Besucherrekord. Als wissbegierige Besucherin dabei war zum wiederholten Mal auch MT-Lokalchefin Monika Jäger, die während der Veranstaltung auf Twitter und Facebook von ihren Eindrücken erzählte. MT Intern fasst ihre auf Facebook geposteten Tagesresumees zusammen, demnächst wird es auch einen Artikel über den digitalen Lokaljournalismus der Zukunft im MT geben. Hier ihre Facebook-Posts:
Tag 1 : Mittwoch, 2. Mai
Habe heute vielen klugen Männern und Frauen zugehört, die sich sehr ernsthaft Gedanken über die digitale Zukunft machen. Danah Boyd (US-amerikanische Medienwissenschaftlerin und Sozialforscherin) zum Beispiel erklärte, wie komplex die technischen und soziologischen Zusammenhänge bei Trending Topics sind und fordert von Journalisten strategischen Umgang mit Themen, die Populisten setzen. Chelsea Manning (kopierte als Angehörige der US-Streitkräfte rund 400000 geheime Dokumente über den Irakkrieg und machte sie offentlich, unter anderem über zahlreiche Fälle von Folter durch die US-Truppen) ist überzeugt, dass heute Informationen noch viel skrupelloser gesammelt und ausgewertet werden als damals, als sie zum Whistleblower wurde.
Wo beginnt persönliche Meinung im Gegensatz zu einem meinungsstarken Magazinbeitrag, und wie privat sind Journalisten beim Posten im Web? Fragen im Medienpanel mit u.a. Dunja Hayali. „Redet nicht nur über neue Technologien, probiert sie aus“, empfiehlt höchst unterhaltsam Ranga Yogeshwar (Moderator, Physiker, Autor) und zeigt genau, wo nach seiner Meinung die Grenze für den Einsatz lernender KI sein sollte. Und dann zum Abschluss das digitale Quartett unter anderem mit einem Hamelner Kommunalpolitiker, der interessante Ideen hat, wie die Menschen sich wieder mehr zu Wort melden könnten.
Jetzt: Beine hochlegen. Handy aufladen. Twitter lesen. Und auf morgen freuen.
Tag 2: Donnerstag, 3. Mai
Wie ein roter Faden zieht sich für mich ein Thema durch die Diskussionen und Vorträge der re:publica: Wer sich auf Entscheidungen verlässt, die durch Algorithmen entstehen, muss zwingend offenlegen, nach welchen Kriterien diese Computerprogramme ihre gesammelten Informationen sortieren und zuordnen. Denn schon in der Art, wie sie programmiert sind oder gefüttert werden, kann – durchaus unbewusst – eine bestimmte Gewichtung, Parteilichkeit, Tendenz enthalten sein. Das mag in Deutschland noch alles in den Anfängen stecken, in den USA jedoch werden Algorithmen bereits in der Rechtssprechung angewandt.
Pflegeroboter wie die niedlich aufgemachte “Pepper” mit ihrer fast kindchenhaften Erscheinung, werden mit Erfolg zum Beispiel bei Demenzpatienten eingesetzt. Doch sie sind nicht das Allheilmittel für das schwer belastete Pflegesystem. Denn wenn Pflegepersonal mehr Zeit hätte, weil Roboter mit den Patienten spielen und reden, ist auch denkbar, dass die Pfleger sich zur Profitmaximierung dann eben um mehr Patienten kümmern müssen.
“Plötzlich sowas wie eine Bürgerbewegung” hat Jan Böhmermann mit seinem Discord-Channel “Reconquista Internet” ins Leben gerufen. Wie aufregend viele Menschen dieses Projekt gegen Hass im Netz finden, wurde heute bei der Diskussion dazu auf Bühne 1 deutlich. Es war pickepackevoll.
Und dann noch: Die Geschichte vom Überfall auf einen jüdischen Supermarkt in Paris, erzählt in Virtual Reality. Ein faszinierendes Projekt, eine Darstellung, die berührt. Empathie gegen Terror. In der Tat. Schade nur, dass mein Gehirn für VR einfach nicht gemacht ist. Neun Minuten absolute Faszination bezahle ich mit 29 Minuten Bauchgummeln…
Morgen nochmal die Chance zu erleben, was sich im Netz gerade so alles entwickelt. Jetzt: Gute Nacht. Ich fahre mich mal runter.
Tag 3, Freitag, 4. Mai
Beginnt mit Richard Gutjahrs (Journalist) Bericht über den Shit-Tsunami, den er und seine Familie nach seinen Berichten über die Anschläge von Nizza und München ertragen mussten, und wie er sich schließlich wehrte. Das war emotional, authentisch, anrührend. Am Schluss erheben sich die Zuschauer voller Respekt, klatschten minutenlang. Auf „Twitter“ schrieben viele, dass sie Tränen in den Augen hatten. Auch ich bin sehr froh, das erlebt zu haben. Und brauche jetzt erst etwas Abstand, bevor ich ins nächste Panel eile.
In dem geht es unter anderem um die Möglichkeiten, Augmented Reality und Virtual Reality in den Medien einzusetzen. Sehr aufregend, aber ich bin am Ende sehr nachdenklich. Dazu schreibe ich aber an anderer Stelle nochmal.
Mein Fazit. Hass und Hetze auf der einen Seite, Erforschen der äußersten Grenzen des (bisher) Möglichen auf der anderen: Drei Tage re:publica 18 in Berlin sind vorbei. Vorbei scheint auch die große Euphorie über die Chancen eines unregulierten Internet – Roboter, Künstliche Intelligenz, selbstfahrende Autos, Smart Cities .. an all dem wird geforscht und gearbeitet, und es sind wohl nicht nur Optimisten, die hier in den nächsten Jahren einschneidende Veränderungen erwarten.
Doch was bedeutet das für die Gesellschaft, und muss das in irgendeiner Form reguliert werden? Wer schaut den Firmen auf die Finger, und ist das bei Giganten wie Google, Microsoft etc überhaupt noch möglich?
Beim Kaffeegespräch merke ich, wie sehr die Positionen da auseinandergehen können. Selbstverständlich müsse die Politik diese Instanz formen, meint mein Gegenüber, der etwa in meinem Alter und seit Jahren selbst in der Politik aktiv ist. Ich zweifele: Wenn doch schonmal klar ist, dass Algorithmen und KI nur so gut und so neutral sein können, wie die Menschen, die sie erschaffen – wie neutral kann dann eine neutrale Aufsichtsbehörde sein? Und wer gehört hat, welch naive Fragen US-Politiker Mark Zuckerberg bei seiner “Entschuldigung” stellten, kann nicht zufrieden damit sein, wenn (nur?) die Politik sich um die “Aufsicht” des Internets kümmert. Und das Internet beaufsichtigen? Da stellen sich mir dann doch auch die Nackenhaare auf.
Dennoch: All das sind Bauch-Reaktionen. Auf meiner inneren “todo”-Liste steht jedenfalls, weiter an diesem Thema zu arbeiten und es im Auge zu behalten. Ich glaube, dass es von größter Tragweite ist und entscheidend dafür, wie der Kitt aussieht, der die Gesellschaft der Zukunft zusammenhält.
Mein Kopf ist jedenfalls bis zum Bersten gefüllt mit neuen Ideen und voller Neugier auf so viele Themen, die die Referenten und Diskutierenden nur kurz angerissen haben. Ja, meine Leseliste ist lang, aber vor allem ist eins passiert: Meine persönliche “Filterblase” aus dem, was ich denke und zu wissen glaube, ist mal wieder wunderbar aufepiekt und zum Platzen gebracht worden. Genau darum fahre ich ja zur re:publica.
Der Termin nächstes Jahr ist schon im Kalender geblockt. Was sonst
Von Monika Jäger, Ressortleiterin Lokales