20 Hille extra
Ein deutsches Netzwerk in New York
Familie und Freunde: Abraham Jacobi wirkte in den USA an vielen Stellen
Von Jürgen Langenkämper
Hille/New York (mt). Der gebürtige
Hartumer Abraham
Jacobi kam 1853 als mittelloser
politischer Flüchtling in
die USA. Als er vor 100 Jahren,
am 10. Juli 1919, am Lake
George im Alter von 89 Jahren
starb, war er nicht nur ein
angesehner, wohlhabender
US-Bürger. Im Laufe von 66
Jahren hatte er die Kinderheilkunde
in Amerika begründet
und geradezu revolutioniert.
Dank seiner Kontakte
war er auch einer der einflussreichsten
Deutsch-Amerikaner
seiner Zeit.
Mit einem Empfehlungsschreiben
von Karl Marx für
dessen Gefolgsmann Wilhelm
Weydemeyer kam Abraham
Jacobi vier Monate nach seiner
Haftentlassung in Minden
und einem zweimonatigen
Zwischenaufenthalt in London
und Manchester im Oktober
1853 in New York an. Dort
eröffnete er eine erste Praxis
in Lower Manhattan. Für Weydemeyers
„Reform“ schrieb er
Artikelserien über seine Haft
und den Kölner Kommunistenprozess
sowie düstere Gedanken
über den Untergang
der Erde. Auch trat er einem
Communisten-Club bei, als
dessen Sekretär er zeitweilig
fungierte.
Wie schon seit der Schulzeit
am Gymnasium in Minden
und während des Studiums
wurde Jacobi auch in New
York sportlich aktiv und trat
in einen Arbeiter-Turnverein
ein. Im Männergesangverein
„Liederkranz“ traf er mit
deutschstämmigen Geschäftsleuten
und Honoratioren wie
dem langjährigen Präsidenten
William Steinway zusammen.
Wegweisend sollte ein medizinischer
Kontakt werden.
Zu den Mitbegründern des
German Dispensary, aus dem
das Deutsche Hospital in
Manhattan hervorging, zählte
1857 auch der österreichische
Revolutionär Ernst Krackowizer.
Als Hauptmann der Akademischen
Legion hatte der
Chirurg an der Revolution
von 1848/49 teilgenommen
und auf den Barrikaden gekämpft.
Nach der Niederschlagung
floh er über Tübingen
nach Kiel, wurde aber
weiter steckbrieflich gesucht
und emigrierte 1850 in die
USA. Zunächst praktizierte er
in Williamsburg im heutigen
Stadtteil Brooklyn.
Nachdem er während des
Bürgerkriegs Generalinspekteur
der Militärspitäler gewesen
war, engagierte sich Krackowizer
in der Reformbewegung
des Committee of Seventy,
das die Folgen der Industrialisierung
und des Bürgerkriegs
sowie der starken
Einwanderung – Hauptgruppe
waren Deutsche – lindern
wollte. Doch 1875 starb Krackowizer
54-jährig nach kurzer
Krankheit. Jacobi veranlasste
eine Gedenkschrift zur
Erinnerung an den Freund,
und noch 30 Jahre später bezeichnete
er Krackowizer als
den größten nicht im Lande
geborenen US-Mediziner.
Noch stärker wirkte ein anderer
1848er auf Jacobis Leben:
Carl Schurz. Beide waren
sich schon in Bonn begegnet.
Der Parteigänger des von
Marx und Engels angefeindeten
radikaldemokratischen
Revolutionärs Gottfried Kinkel
war 1852 in die USA ausgewandert.
In Wisconsin, wo seine Frau
Margarethe 1856 den ersten
Kindergarten in Amerika
gründete, warb er als Republikaner
und Gegner der Sklaverei
unter den Deutschen für
Abraham Lincoln und trug
maßgeblich zu dessen Wahlsieg
bei. Der Präsident ernannte
Schurz zum US-Botschafter
in Spanien. Doch
nach Kriegsausbruch kehrte
dieser in die Nordstaaten zurück.
Der ehemalige Adjutant
des preußischen Artillerieleutnants
Fritz Anneke, der
auch in Minden stationiert
gewesen war, wurde Generalmajor
in einem Korps mit vielen
Deutsch-Amerikanern.
Von 1877 bis 1881 war er Innenminister
und bemühte
sich um Reformen.
Nachdem er sich New York
niedergelassen hatte, intensivierte
sich Schurz’ Kontakt zu
Jacobi. Der Freund baute für
ihn sogar eine eigene Hütte
auf seinem weitläufigen Gelände
am Lake George.
Die Kontakte zu Marx und
Engels ebbten dagegen spätestens
nach dem Sezessionskrieg
völlig ab.
■ Heute, 9. Juli, 19 Uhr, Sitzungssaal
im Rathaus in Hartum:
Gemeinde Hille/Mindener
Geschichtsverein, Vorträge
über Abraham Jacobi
anlässlich seines 100. Todestags;
freier Eintritt
Enge Kontakte: Abraham Jacobi unterstützte auch seinen Neffen
Dr. Willy Meyer in den USA. Foto: Historical Society of Bolton/pr
Verwandte aus Minden in den USA
■ Neben politischen und beruflichen
Kontakten umgab
sich Jacobi in New York mit
einem familiären Geflecht.
Vermutlich mit seiner ersten
Frau Fanny (1833-1856)
war deren Bruder Jakob
Meyer (1831-1906) mit in
die USA ausgewandert.
■ Auch Kinder des ältesten
Meyer-Bruders Abraham
gingen nach Amerika: Julius,
Theodor und Adele
sowie Dr. Willy Meyer
(1858-1930), der ein berühmter
Chirurg und Thorax
Spezialist wurde.
■ Auch der Sohn der ältesten
Meyer-Tochter Sophie,
Franz Boas (1858-1942),
fasste mit Jacobis Unterstützung
in Amerika Fuß.
Vor allem hatte er ihn mit
der Tochter Marie (1864-
1929) seines verstorbenen
Freundes Ernst Krackowizer
bekannt gemacht.
■ Zudem wanderten zwei
Kinder seines älteren Bruders
Salomon Jacobi, Ludwig
und Laura (um 1866-
1944), nach New York aus.
Beide wurden testamentarisch
bedacht. (lkp)
Kontakte gepflegt
als Turner und als Sänger