Daily Archives: 30. Oktober 2018

Standpunkt: Der parteilose Blick – Unabhängigkeit im Journalismus

Von Benjamin Piel, Chefredakteur

Wer Menschen fragt, was sie von Journalisten erwarten, bekommt häufig ein Wort als Antwort: „Neutralität“. Diese Erwartung ist unerfüllbar.

Es leben bald acht Milliarden Menschen auf der Welt, und also gibt es acht Milliarden Interpretationen der Wirklichkeit. Ein Inder sieht seine Umgebung anders als ein Eskimo. Eine Frau schaut anders auf ihr Gegenüber als ein Mann. Ein Jugendlicher setzt andere Prioritäten als sein Urgroßvater. Ein Marathonläufer geht anders durch die Welt als ein Sumoringer. Keine dieser Weltsichten ist besser, legitimer oder wahrer als die andere. Bloß: Unterschiedliche Voraussetzungen machen Neutralität zur Unmöglichkeit. Das sollten sich Journalisten und Medienkonsumenten vergegenwärtigen.

Die Unmöglichkeit der Neutralität macht die Sehnsucht nach einer Instanz, die verlässlich Orientierung in einer unruhigen Welt bietet, aber nicht weniger legitim. Der berechtigte Anspruch, den andere an Journalisten und diese an sich selbst stellen sollten, ist: Unabhängigkeit. Die ist nicht nur erfüll-, sondern auch überprüfbar.

Medienleute haben in Parteien nichts verloren. Wie sollten sie unabhängig arbeiten, während das Parteibuch in der Jackentasche ihnen auf die Brust drückt? Wer unabhängig sein will, muss sich zurückhalten, wenn er selbst involviert ist. Etwas über die Schule schreiben, die der eigene Sohn besucht? Bloß nicht. Die Arbeit des Vereins begleiten, dessen Mitglied man ist? Unmöglich. Eine Rezension über ein Theaterstück schreiben, bei dem der Ehemann auf der Bühne steht? Geht nicht.

Gerade im Lokaljournalismus ist es eine große Herausforderung, durch den Dschungel möglicher Verbindungen zu navigieren. Aber das muss die Öffentlichkeit von Journalisten verlangen dürfen. Sie haben um einen Zustand zu kämpfen, der stets gefährdet ist. Denn wenn Journalismus nicht unabhängig ist, dann ist er kein Journalismus.

Was Leserinnen und Lesern der Lokalzeitung von deren Journalisten erwarten können. Foto: Monika Jäger

In Minden vermischen sich Journalismus und Politik mitunter auffällig. Etwa, wenn ein Mindener Ratsherr für eine Online-Plattform schreibt. Dann muss der Lesende sich fragen, wer da gerade spricht: Der Kommunalpolitiker oder die Privatperson? Aus welcher Motivation heraus entstehen die Texte? Loswerden kann ein schreibender Ratsherr den Dünkel des Geleitetseins von eigenen Interessen niemals, Journalismus betreiben kann er schon gar nicht. Und mehr noch: Als Ratsherr erfährt er Vertrauliches aus ihm zugänglichen Akten und in nichtöffentlichen Sitzungen. Der Interessenkonflikt zwischen den Rollen ist unauflösbar.

Journalismus ist auch nicht, wenn ein früherer Bürgermeisterkandidat in einem Anzeigenblatt kommentiert und die Mindener Kommunalfinanzen einordnet. Dass er meint, die Haushaltssanierung der Stadt sei glückstatt vernunftgesteuert, ist eine Meinung, die sich vertreten lässt. Doch in wessen Interesse? Wer eigene politische Ziele verfolgt, kann kein unabhängiger Beobachter der lokalen Politik sein.

Das alles ist schon immer ein wichtiges Thema gewesen. Doch seitdem Menschen Lügenpresse schreien und Journalisten misstrauen, ist die Frage nach der Unabhängigkeit sehr viel stärker in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit gerückt. Das ist unangenehm und sicher eine Herausforderung. Aber es lässt sich etwas aus dieser Situation machen. Statt die Lügenpresse-Rufer als Pack abzustempeln, sollten wir Journalisten die Gelegenheit nutzen, den eigenen Kompass zu überprüfen. Darin liegt eine große Chance für alle.

 

Kampfansage: Am liebsten würde Stadtwerke-Geschäftsführer Matthias Partetzke den Energieriesen Eon aus der Grundversorgung drängen. Und: Änderungen beim Gas stehen an (#200in365, No. 71)

Noch kommt das Gas, das die Stadtwerke in Minden verkaufen, aus den Niederlanden. Doch jetzt ist Russland als Gaslieferant im Gespräch. Hier ein Stück einer Gas-Pipeline nahe Kiew. Foto: Sergey Dolzhenko/dpa

Matthias Partetzke ist seit neun Monaten Geschäftsführer der Stadtwerke Minden. Er leitet das Unternehmen mit 40 Mitarbeitern und hat das Ziel, Eon aus der Grundversorgung auf dem lokalen Stromund Gasmarkt zu drängen. Ob das gelingt, muss sich zeigen. Fest steht dagegen, dass das Gas, das die Stadtwerke-Kunden ab 2025 erhalten, aus Russland kommt.

Die Stadtwerke sind bis 2001 schrittweise ans Unternehmen EMR verkauft worden, woraus später Eon Westfalen Weser geworden ist. 2015 hat die Stadt das Wassernetz und 2017 das Gasnetz zurückgekauft. Es gehört seitdem zu 51 Prozent der Stadt Minden und zu 49 Prozent den Stadtwerken Hameln (GWS). Warum der Ver- und Zurückkauf?

Der Haushalt der Stadt Minden wurde, wie in vielen vergleichbaren Städten, durch den Verkauf der Stadtwerke saniert. In den vergangenen Jahren mussten wir allerdings feststellen, dass durch die Privatisierung die Energiewende in Minden auf der Strecke geblieben ist. Eon als Grundversorger ist gar nicht mehr mit einer Vertretung vor Ort, und es gibt für unsere Bürger somit keinen Ansprechpartner in der Region mehr. Eine nachhaltige Daseinsvorsorge gehört in die Hand einer Kommune – diese trägt sowieso immer das Risiko. Unser Ziel ist es, Grundversorger zu werden, Ansprechpartner vor Ort sein und die Energiewende nach vorne treiben.

Wie wird man Grundversorger, und was bedeutet das?

Grundversorger ist jenes Unternehmen, das in einem Netzgebiet die meisten Kunden hat. Dieses Unternehmen ist verpflichtet, jedermann mit Strom und Gas zu versorgen. Wer nicht den Anbieter wechselt, ist in der Grundversorgung. Das ist vor allem auch bei vielen älteren Kunden der Fall, die nicht den Anbieter wechseln wollen und nicht verstehen, wie einfach und lukrativ ein Wechsel sein kann. Aktuell haben wir 8.500 Stromund 4.500 Gaskunden. Beide Zahlen wollen wir verdoppeln. Auf dem Mindener Strom- und Gasmarkt haben wir übrigens um die 160 Konkurrenten. Im Auftrag der Stadt Minden heben wir uns durch eine faire und transparente Preisgestaltung ab. Zudem verbleibt die Wertschöpfung in der Region.

Das Mindener Gas kommt ab 2025 aus Russland. Warum?

Matthias Partetzke. MT-Foto: Benjamin Piel

Derzeit werden die Mindener Haushalte und Unternehmen mit Erdgas vorwiegend aus den Niederlanden versorgt. Allerdings wird die Versorgung ab 2025 auf nachhaltigere Gasvorkommen umgestellt, da die Niederlande ihre Erdgaslieferung bis 2030 weitestgehend einstellen werden.

Wie ist es um die Qualität des Wassers bestellt, das aus den Hähnen der Mindener fließt?

Hervorragend. Das Trinkwasser kommt zu 100 Prozent aus unseren 16 Brunnen aus bis zu 80 Metern Tiefe aus der Erde. Wir kontrollieren das Wasser an 200 Stellen. Es handelt sich um Wasser, das kaum Natrium enthält, aber sehr hart, also kalkhaltig ist.

Wäre es möglich, das Wasser zu enthärten, bevor es an den Kunden geht?

Das ginge, würde aber zu deutlich höheren Wasserpreisen führen. In Bad Oeynhausen soll das Wasser bald generell enthärtet werden. Ein Durchschnittshaushalt könnte dann 100 bis 150 Euro mehr pro Jahr zahlen müssen. Außerdem ist das Wasser, das dann beim Kunden ankommt, behandeltes Wasser. Man darf auch nicht vergessen, dass kalkhaltiges Wasser mineralienreiches Wasser ist, also nichts Schlimmes.

Welche Besonderheit hat ein kommunales Unternehmen wie Ihres noch?

Der Großteil des Gewinns, den wir erwirtschaften, fließt in Projekte vor Ort, etwa eine Million Euro pro Jahr allein ans Melitta-Bad. Wir bieten durchschaubare Tarife ohne Tricks. Wir werben auch nicht mit großen Rabatten für Neukunden, die den Blick auf die Höhe des Regeltarifs verstellen. Wir behandeln Neu- und Bestandskunden gleich. Außerdem wollen wir die Energiewende in Minden nach vorne bringen. Mein Ziel ist es, Projekte mit den Menschen vor Ort voranzubringen und beispielsweise Genossenschaften zu gründen, um beispielsweise Photovoltaikanlagen aufzubauen. Außerdem wollen wir ein Netz von Elektrotankstellen beispielsweise auf Supermarkt-Tankstellen in der Region schaffen. Wir wissen, dass das die Zukunft ist, auch wenn wir so ein Projekt nicht allein finanzieren können.

Wobei Minden weit entfernt davon ist, die Hauptstadt der E-Mobilität zu sein.

Das stimmt. In Minden gibt es zehn E-Fahrzeuge, im ganzen Kreisgebiet 130. In Hamburg allerdings werden gerade 1000 E-Tanksäulen aufgebaut. In den Metropolen steigt die Kurve an E-Fahrzeugen stark an. Innerhalb der kommenden 20 Jahre wird der konventionelle Kraftstoff zwar nicht vom Markt verschwinden, aber das ändert nichts daran, dass E-Mobilität die Zukunft ist.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur