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Mama Bedleks letzter Döner (#200in365, No.5)

„Wir sind kaputt.“ Fast zwei Jahrzehnte haben Anzelka und Ömer Bedlek in ihrem Döner-Imbiss Bazar II gearbeitet. Seit Anfang Juni sind sie in Rente. MT- (© Foto: Piel)

„Wir sind kaputt.“ Fast zwei Jahrzehnte haben Anzelka und Ömer Bedlek in ihrem Döner-Imbiss Bazar II gearbeitet. Seit Anfang Juni sind sie in Rente. MT- (© Foto: Piel)

Wenn Papa gehustet hat, dann hat Mama ihm manchmal gewünscht: „Stirb langsam!” Ernst gemeint war das nicht. Nur eine spezielle Art von Humor, die die Gäste von Anzelka und Ömer Bedlek mochten und nun vermissen. Mama und Papa, wie viele der Gäste die Inhaber des Döner-Imbisses Döner-Bazar II in Hausberge genannt haben, sind Anfang Juni in den Ruhestand gegangen.

Sie können nicht mehr. 19 Jahre lang war vor allem Anzelka Bedleks Leben eines für den Döner gewesen, ohne Rücksicht auf die eigenen Knochen. „Wir sind kaputt”, sagt sie nun. 1999 hatte sie auf dem Parkplatz eines Supermarkts ihren Döner-Wagen eröffnet. „Ich war damals arbeitslos und zum Amt gehen wollte ich nicht – also habe ich es probiert”, erinnert sie sich.

Erfolgreich waren die ersten Jahre nicht. Zwölf Stunden stand die heute 63-Jährige hinter dem Tresen, an manchen Tagen habe sie höchstens 30 Euro umgesetzt. Argumente zum Aufgeben hätte sie reichlich gehabt. Vater und Sohn baten sie, endlich aufzuhören, einzusehen, dass es nicht klappen würde mit dem Döner in Porta. Aber Anzelka Bedlek wollte sich durchbeißen.

Tochter Sevil half mit, langsam stieg die Zahl der Kunden. Die Familie kaufte einen besser ausgestatteten Wagen: „Da ging es schon mal ein bisschen voran.” 2004 eröffnete die Familie den Laden in Hausberge, den Wagen gab die Familie 2012 auf, gründete ein Geschäft in Vennebeck, das heute der Sohn betreibt. Die Kunden seien ihre Familie gewesen, sagt Anzelka Bedlek, denn: „Ohne Kunden bist du nichts.” Ihnen habe sie mehr gegeben als bloß Döner – Gespräche, Austausch, Interesse, Spaß. „Es war eine richtig schöne Zeit”, findet sie, „es war mein Leben.”

Doch es gibt auch die andere Seite. „Du hast dich kaputt gemacht”, hat der Arzt zu ihr gesagt. 19 Jahre lang war Anzelka Bedlek so gut wie jeden Tag 14 Stunden bei der Arbeit. 400 Stunden Arbeit im Monat –-wer halte das schon aus?

Mama Bedlek hat ausgehalten, aber das hatte seinen Preis. Sie muss sich an beiden Augen operieren lassen, vermutet, die Hitze des Dönergrills, vor dem sie jeden Tag gestanden hatte, als Ursache. Die Gelenke schmerzen. Was war das für ein Leben: um neun Uhr in den Imbiss, die Salate und Soßen vorbereiten, um 11 Uhr aufschließen, zwischendurch Büroarbeit, um 22 Uhr zuschließen, dann putzen bis gegen 23 Uhr. „Ich habe mich für den Laden geopfert und ich würde es wieder tun”, sagt sie. Reich habe sie die viele Arbeit nicht gemacht, aber den Staat habe sie nie um Geld anbetteln müssen und das sei das Ziel gewesen.

Papa und Mama Bedlek sind jetzt Rentner und sie freuen sich bei aller Wehmut darüber. Leichter wären die Zeiten ohnehin nicht geworden. Früher habe es drei Döner-Imbisse in der Region gegeben, inzwischen sind es Dutzende. „Der Markt ist zu voll”, meint Ömer Bedlek. Ihm kann das egal sein, seiner Tochter Sevil nicht. Sie überlegt, eines Tages wieder einen Döner-Imbiss zu eröffnen.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur

#200in365

In seinem ersten Jahr als Chefredakteur des Mindener Tageblatts will Benjamin Piel an 200 Orten mit 200 Menschen sprechen. Sie möchten ihn einladen? Kontaktieren Sie ihn per Mail an Benjamin.Piel@MT.de oder unter der Telefonnummer (0571) 88 22 59.