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MUT 03 // 19 an. Ich habe in einem halben Dutzend afrikanischer Länder gelebt, ihre Sprachen gelernt und Freundschaften geschlossen. Bei Besuchen über Jahrzehnte hinweg spürte ich, wie sich das Leben der Freunde verändert hat. Am Ende dieser Entwicklung könnten die Vereinigten Staaten von Afrika stehen – ich glaube, ich werde sie noch erleben. Ich bin in Somalia geboren und in Äthiopien aufgewachsen. 1976 musste ich nach Nigeria emigrieren, wo ich Zeuge grausamer Übergriffe gegen Einwanderer aus Ghana wurde. In Gambia drohte mir der Präsident mit Gefängnis, weil ich ihm vorwarf, er verschlösse Augen und Ohren vor den Nöten der Bevölkerung. Ich emigrierte in den Sudan, wo kurz darauf das Militär putschte, was mich zwang, kurz nach Idi Amins Tod Zuflucht in Uganda zu suchen. Aber auch bei seinem Nachfolger eckte ich an. Doch egal, wie groß mein Misstrauen gegenüber den Machthabern auch war, bei einfachen Menschen fand ich jedes Mal Nähe und ein Zuhause. Schließlich verschlug es mich nach Südafrika, wo man meiner Frau eine Professur angeboten hatte. Dort stellte ich fest, dass mein Pass nicht mehr galt, weil sich Somalia als Staat vor zehn Jahren quasi aufgelöst hatte. Doch in dem Moment, in dem mein Platz in der Welt verloren schien, erfüllte sich ein panafrikanischer Traum: Ich bekam gleich drei neue Pässe angeboten – von Südafrika, Djibouti und Ghana, konnte mich auf diese Weise in den drei großen Wirtschaftsräumen des Kontinents südlich der Sahara frei bewegen. Dabei stellte ich fest, wie sehr sich Afrika gewandelt hatte: Regierungen haben ihre Paranoia vor Nachbarstaaten abgelegt, so geschehen erst wieder in diesem Jahr zwischen Äthiopien und Eritrea, tauschen sich entspannter aus und treiben miteinander Handel. In Ländern wie Ghana, Ruanda oder der Elfenbeinküste wächst die Wirtschaft. Erstaunlich, welchen Grad an Integration diese Wirtschaftsräume bereits erreicht haben. Ein Beispiel bietet die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, die eine Zentralbank und eine gemeinsame Währung besitzt. Diese Veränderungen sind nicht nur für mich greifbar: Als erste Staaten haben Ruanda und Kenia vor kurzem die Visumfreiheit für alle Bürger eingeführt, die aus einem afrikanischen Land kommen. Andere Staaten werden ihrem Beispiel folgen. Überall in Afrika wächst die Bereitschaft, den Kontinent unter Wahrung seiner ethnischen Vielfalt zu einen. Wenn ich in Länder zurückkehre, in denen ich in den achtziger und neunziger Jahren gelebt habe, sehe ich, wie viel sich verbessert hat. In Nigeria zum Beispiel gibt es heute mehr als 200 Universitäten. Bildung spielt für Afrikaner eine herausragende Rolle. Sie haben verstanden, dass darin die Zukunft ihrer Kinder liegt. Selbst in Uganda und Gambia gibt es erste Zeichen einer Demokratisierung. Auch die Afrikanische Union ist heute ein aktiverer Faktor als früher, vor allem, wenn es darum geht, Regierungen anzunähern. Afrikaner zeigen sich bereit, eine neue Rolle in der Welt zu spielen. Es ist Zeit, dass auch der Rest der Welt mit anderen Augen auf unseren Kontinent blickt. Das raue Gewässer hat sich etwas beruhigt. NURUDDIN FARAH, 73, gilt als einer der bedeutendsten afrikanischen Schriftsteller der Gegenwart. Er wurde in Somalia geboren, musste das Land aber 1974 verlassen, wo er aus politischen Gründen in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde. Er lebte viele Jahre im Exil, studierte Philosophie und Literaturwissenschaften in Indien sowie Theaterwissenschaften in London und Essex. Farah ist Autor vieler Romane und Theaterstücke. Sein Schreibstil ist inspiriert von der Kraft der Metaphern und Natursymbolen seiner Heimat, von den Mythen und der SufiMystik. Ein häufiges Thema ist die Situation der Frauen im postkolonialen Afrika. Seine Bücher wurden in siebzehn Sprachen übersetzt und weltweit mit Preisen ausgezeichnet. In Deutschland sind sie im Suhrkamp Verlag erschienen. Der Schriftsteller lebt in Kapstadt. „Wir Afrikaner sind bereit, eine neue Rolle in der Welt zu spielen.“ Afrika anders Foto: Privat


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