Porta extra 17
Kühe auf der „falschen“ Weserseite
Die Ellerburger Weide war einst die Basis für die Milchviehhaltung
der Eisberger. Die feiern 2020 außerdem den 100. Geburtstag ihrer Brücke.
Werner Hoppe
Eisbergen. In diesem Jahr
wird die Eisberger Brücke 100
Jahre alt. Mit ihrer Inbetriebnahme
im Jahr 1920 konnte
der Fährbetrieb, der über
Jahrhunderte beide Weserufer
verbunden hatte, eingestellt
werden. Für die Eisberger
Bauern, die links der Weser
Felder und Wiesen bewirtschaften,
bedeutete die neue
Flussquerung eine wesentliche
Erleichterung. Auch die
Melkerinnen, die ihre Arbeit
auf den Kuhweiden auf der
anderen Seite verrichteten,
brauchten ab diesem Zeitpunkt
nicht mehr übersetzen.
Eisbergens Ortsheimatpfleger
Reinhard Busch hat
zur Ellerburger Weide dies zusammengetragen:
„Mehr als
150 Jahre war sie
wichtig für einen
großen Teil der
Eisberger Bevölkerung.
Die Ellerburger
Weide, die
heute zum größten
Teil Ackerland
ist, lag links
Auch beim Autobahnbau spielte
die Weide eine Rolle.
der Weser stromabwärts zwischen
der Gemeindegrenze
und der Ellerburg (einem alten
Vorwerkgehöft, das allein
in der Feldmark liegt) sowie
dem Weg nach Stemmen und
Möllenbeck. Eigentümer des
Landes war früher das Kloster
Möllenbeck und seit 1648 der
Staat Kurhessen (Hessen-Kassel),
der das ehemalige Kloster
als Staatsgut (Domäne) verpachtete.
Die Flurbezeichnung
für die Ellerburger Weide
war Krummer Winkel.“
Über den Auftrieb von Eisberger
Vieh auf die Gemeinschaftsweide
wird erstmals
1818 berichtet. Es fiel manchem
schwer, das Weidegeld
aufzubringen. Außerdem
scheint es schon zu dieser Zeit
üblich gewesen zu sein, dass
die Ellerburger Weide ganz
oder überwiegend von Eisbergern
genutzt wurde. Denn
die Weide lag näher an Eisbergen
als an Möllenbeck. Für die
überwiegende Nutzung durch
Eisberger spricht ebenfalls,
dass das Weidevieh entweder
beim Verwalter in Möllenbeck
oder beim Händler Bödecker
in Hausberge angemeldet
werden konnte. Der damalige
Pächter Brand und Bödecker
waren verschwägert.
Die in Eisbergen besonders
zahlreichen Klein- und
Kleinstbauern sowie Heuerlinge
mussten jede Möglichkeit
nutzen, ihre Wirtschaftsbasis
und damit ihre Ernährungsgrundlage
zu erweitern.
Die Ellerburger Gemeinschaftsweide
bot Gelegenheit,
ein oder zwei Milchkühe und
etwas Jungvieh zu halten,
denn das wenige eigene oder
gepachtete Land auf Eisberger
Seite wurde für Korn- oder
Kartoffelanbau sowie als
Hausgarten benötigt.
Die Ellerburger Weide hatte
Mitte des 19. Jahrhunderts an
Bedeutung gewonnen, als
nach Teilungen aus den Gemeinheitsweiden
(unter anderem
Appenhauser Bruch,
Bruchgemeinheit, Fülmer
Anger) Einzeleigentum der
berechtigten Stätten wurde.
Die Ellerburger Weide bot den
nicht bei den Teilungen berücksichtigten
„kleinen Leuten“
einen gewissen Ausgleich.
Eine gesicherte Fährverbindung
und später die
Brücke waren Voraussetzungen
für diese Wirtschaft. Der
tägliche Gang „zur Milch“ gehörte
zu den Aufgaben der
Frauen und Mädchen. Die vollen
Eimer oder Kannen wurden
an Tragehölzern, „Schanne“
beziehungsweise „Schanden“
oder auch auf dem Kopf
zurückgetragen.
1928 regte Karl Wehage aus
Eisbergen an, bei einer Aufteilung
der Domäne Möllenbeck
die Ellerburger Weide der Gemeinde
Eisbergen zuzuschlagen.
Dies hätte jedoch die
Kreis- und Provinzgrenzen
verändert. Der Kreis Rinteln
war nicht einverstanden, und
das preußische Staatsministerium
verfügte, dass die Ellerburger
Weide Möllenbeck zugeschlagen
wurde. 1935 pachtete
Eisbergen die 38,2 Hektar
große Weide für zwölf Jahre.
1938 wurde die Autobahn
durch Eisbergen gebaut. Dafür
mussten mehrere Landwirte
Land abgeben. Als Ausgleich
sollten sie Land von der
Ellerburger Weide erhalten.
Die Reichsautobahn-Verwaltung
kaufte 1939 insgesamt 17
Morgen auf. Aus dieser Fläche
erhielten mehrere Eigentümer
eine Landentschädigung.
Die Pachtfläche verminderte
sich auf 33 Hektar.
Bald danach wurden Bestrebungen
der Gemeinde Möllenbeck
bekannt, die Ellerburger
Weide ganz oder teilweise
zugeteilt zu bekommen. Trotz
Eisberger Gegenwehr musste
nach Pachtablauf ein Teil der
Weide der Gemeinde Möllenbeck
überlassen werden.
Im Laufe der Jahre ließ der
Schmerz über den Verlust
langsam nach. Die Nebenerwerbslandwirtschaft
war
auf dem Rückzug, Ziegen wurden
kaum noch gehalten. Und
auch die kleinen Landwirte
gaben ihre Betriebe nach und
nach auf. Der Strukturwandel
in der Landwirtschaft und die
besseren Verdienstmöglichkeiten
außerhalb der Landwirtschaft
hatten die Ellerburger
Gemeinschaftsweide
überflüssig gemacht.
Die Dorfgemeinschaft Eisbergen hat den Melkerinnen
der Ellerburger Weide im Jahr 2013
an der Hildburgstraße ein Denkmal gesetzt.
Die Eisberger Brücke wird in diesem Jahr einhundert
Jahre alt. Fotos: Werner Hoppe
Die Ellerburg in der Feldmark: zwischen Eisbergen
und Möllenbeck gelegen.