
24 Porta extra
So spielten die Kinder früher
Von „Himmel und Hölle“, Pinökelkunst und anderem einfallsreichen Zeitvertreib
Von Robert Kauffeld
Barkhausen. Der Mai ist gekommen,
die Bäume schlagen
aus. Und mit dem neuen frischen
Grün kamen große
Schwärme von Maikäfern. Das
war damals vor rund 80 Jahren,
als ich noch ein Kind war.
Wir freuten uns darüber,
schüttelten die Bäume, sammelten
die kleinen Krabbeltiere
in Pappkartons, erkannten
an Fühlern und Behaarung,
ob es Kaiser, Müller oder
Schornsteinfeger waren.
Arme Kinder? Damals, als es
weder Smartphone und Computer
noch Fernsehen gab, als
die Straße der bevorzugte
Spielplatz und Entdeckungstouren
im Wiehengebirge
noch Abenteuer waren. Damals
war auch die schlimme
Zeit des Krieges und die entbehrungsreiche
Nachkriegszeit.
Trotz allem wollten die
Kinder auch damals fröhlich
spielen. Da war Einfallsreichtum
gefragt.
Die langen Winterabende,
die zum Lesen anregten oder
der Opa, der mit Geschichten
aus seiner Jugendzeit Spannung
erzeugen konnte, waren
vorbei. Der Frühling lockte
nach draußen.
In den verschiedenen Barkhauser
Ortsteilen hatten sich
Cliquen befreundeter Kinder
gebildet, die sich – damals gab
es noch nicht den „Ganztag“ –
nachmittags ohne Verabredung
zusammenfanden.
Bei uns war es die
Osterfeld-
Einer der „Spielplätze“ war Grotemeiers Holzschuppen, vor dem
Heinz Grotemeier, der spätere Tischlermeister, steht.
straße, die in der Nähe der
Portastraße einige besondere
Vorzüge für unseren Tatendrang
bot. Da war die Tischlerei
Grotemeier mit einem
großen Hof, einer langen flachen
Mauer und einem Holzschuppen,
der geradezu abenteuerlichsten
Verwendungen
diente – zumindest so lange
der spätere Tischlermeister
Heinz an der Front oder in
Kriegsgefangenschaft war.
Mit harmlosen
Spielen auf
dem Hof oder der Straße begann
es. Murmelspiele begeisterten
die Kleinsten. Den Kreisel,
den man auch Küsel nannte,
brachte man mit einer kleinen
Peitsche zum schnellen
Drehen. Den Ringel, oftmals
war es die Felge eines Rades
vom Fahrrad, trieb man mit
einem kleinen Stock an. Seilspringen
stärkte die Körperbeherrschung.
Bald folgten auch
Wettspiele. So malten die Kinder
zum Hinkeln ein Spielfeld
mit mehrfachen Kästen auf
die Straße oder kratzten es in
den Boden des damals noch
unbefestigten Hofes.
Dabei
galt es, den Hinkelstein hüpfend
mit dem Fuß vom Startpunkt
„Erde“ zum Ziel „Himmel“
zu kicken, ohne in der
„Hölle“ zu verschmoren.
Verstecken war das fast alltägliche
Spiel, und wo könnte
man sich besser verstecken,
als in einem dunklen Holzschuppen.
Auslosung der Spieler
mit Zählreinen, für die sich
in Barkhausen ein Wortschatz
mit eigener Grammatik herausgebildet
hatte. Beispiel:
„Eins zwei drei vier Eckstein,
alles muss versteckt sein, hinter
mir und vorder mir auf
beiden Seiten gildet´s nicht,
Beim Pottwerfen musste
man sich auch verstecken.
eins zwei drei ich komme“.
Beim Pottwerfen musste
man sich auch verstecken,
doch es wurde keineswegs
mit Töpfen geworfen. Das war
lediglich ein Zeitmaß, denn
die Zeit zum Verstecken dauerte
so lange, bis der fortgeworfene
Stock wieder im Pott
lag. Und wer gefangen wurde,
konnte befreit werden, wenn
ein anderer unbemerkt den
Stock wieder fortwerfen konnte.
„Eckengucker, wo kommst
du her?“, die Frage bei einem
anderen Spiel, und schon
musste man laufen, um nicht
gefangen zu werden.
Wenn ein Ball zur Verfügung
stand, spielten wir auf
der noch wenig befahrenen
Straße Völkerball und später
natürlich auch Hand- oder
Fußball. Ein Gummiball reichte.
Fehlte der, tat es auch ein
zusammengebundenes Knäuel
Lumpen. Für Hockey auf
der Straße reichten ein gebogener
Knüppel und eine Dose.
Die Pinökelkunst war nur
einem kleinen Kreis mutiger
Freunde vorbehalten. Deshalb
schien auch die Bezeichnung
„Kunst“ angemessen. Wir hatten
ein langes Seil an den
Vorbau des Holzschuppens
gebunden, und nun konnten
wir von der oberen Etage wie
Tarzan weit ausschwingen, ge-
War besonders bei den Jungen
sehr beliebt: Mit einer Zwille auf
Flaschen zu zielen.
Zeichnungen/Scan: Robert Kauffeld