
18 Porta extra
Jahrhundertsprünge in Nammen
1819: Niedrigstes Weserwasser seit Menschengedenken.
1919: Die Menschen versuchen, wieder Normalität ins Leben zu bringen.
Von Kurt Römming
Nammen. „Der Wasserstand
der Weser war 1819 so niedrig
wie nie seit Menschengedenken.“
So hat es Lehrer Johann-
Friedrich Hedinger in der
Nammer Kapellenchronik
festgehalten. Das ist genau
200 Jahre her.
Wie sich die Bilder gleichen:
Zufall oder allein Auswirkungen
des Klimawandels? Auch
unter den Experten herrscht
in dieser Frage Uneinigkeit.
Nach der langen Trockenperiode
in 2018 führten die Flüsse
monatelang Niedrigwasser.
Die Talsperren hatten kaum
noch Wasserreserven. Entwarnung
brachten erst die Niederschläge
im Frühjahr 2019.
Der Nammer Chronist hat
sich damals mit seinen Aufzeichnungen
zwar vorrangig
mit den örtlichen Verhältnissen
beschäftigt. Wenn es aber
um Besonderheiten im Ostwestfälischen
oder im
Schaumburger Land ging oder
um die geschichtlichen Umwälzungen
im Lande, hielt er
diese chronologisch fest.
So lieferte ihm auch 1819
die sechs Jahre vorher mit der
Völkerschlacht bei Leipzig endende
Franzosenzeit in Westfalen
viel Material. Napoleon
hatte man nach der Niederlage
von Waterloo 1815 nach St.
Helena verbannt. Das Militär
war noch allgegenwärtig. „Am
3. Januar bekamen wir in
Nammen zahlreiche Einquartierungen.
Die Meyerhöfe (ein
Vollmeyerhof hatte mindestens
80 preußische Morgen
und vier Pferde; d. Red.) erhielten
acht Mann und so im
Vereinsfoto des „Turnvereins Jahn zu Nammen“ an der Kapelle und dem früheren Ehrenmal für
die Gefallenen von 1870/71 vor der 1919 erfolgten Umbenennung in „MTV Nammen“. Repro: kroe
Verhältnis die übrigen Bewohner.
Für den Mann wurde
1 sgr gezahlt“ (1 Silbergroschen
am Tag entsprach 12
Pfennig; d. Red.). „Der Reichthum
des Dorfes war nicht
mehr. Viele Coloni mussten,
gedrängt durch die Abgaben
in den Kriegsjahren, Schulden
machen. Aber kein Opfer war
zu groß. Alles gab man hin,
Westphalen war frei“, heißt es
an anderer Stelle.
In einem weiteren Kapitel
beschreibt er die Wetterentwicklung
über das Jahr, die
Einwohnerentwicklung und
die Einführung der Gesangslehre
nach dem Gesangpädagogen
Satory in der Dorfschule.
„Nach einem Consistorialbefehl
erhielten die Kirchenbücher
1819 neue Geburts-,
Trau- und Sterberegister,“ ist
zu lesen. Es gab in den Pfarrbüros
allerlei Bewegung.
Der Wunsch nach Normalität
nach dem Ersten Weltkrieg
Ein volles Jahrhundert später,
1919, bemühten sich die
Deutschen, nach dem Ende
des Ersten Weltkrieges wieder
Normalität im täglichen Leben
einkehren zu lassen. Bereits
im Januar war die Wahl
zur Nationalversammlung,
erstmals mit Frauenwahlrecht.
Nach dem Kriegsende
im November 1918 erlagen im
Folgejahr im Frühjahr aus
Nammen noch zwei Kriegsteilnehmer
in Spitälern in
Belgien ihren Verwundungen.
49 Gefallene aus dem Ort hatte
man bereits von 1914 bis
1918 beklagt.
Was passierte noch vor 100
Jahren in Nammen? Das Vereinsleben
erholte sich zögernd.
Das seit den 1870er-
Jahren gefeierte Volksschützenfest
kam durch das ausgesprochene
Schießverbot ganz
zum Erliegen und wurde erst
vierzig Jahre später wiederbelebt.
Die alte, 1919 „eingemottete“
Königskrone ziert seit
1960 wieder das Haupt des
Schützenkönigs. Der 1892 gegründete
„Turnverein Jahn zu
Nammen“, der heutige TuS
Porta, änderte seinen Namen
und hieß fortan MTV (Männerturnverein)
Nammen.
Innerhalb des damals beworbenen
Siedlungsprojektes
ging 1919 die erste von mehreren
Familien aus dem Ort
nach Niederschlesien und
baute dort einen landwirtschaftlichen
Betrieb auf. In
Schönwalde, Sorau und um
Liegnitz wurden weitere Nammer
Familien ansässig. Durch
die Vertreibung kehrten 1945
fast alle Schlesien-Familien in
ihre alte Heimat zurück. 1919
ereilte Schilling´s aus Nammen,
die bereits vor dem Ersten
Weltkrieg im hinterpommerschen
Posen gesiedelt
hatten, nach dem verlorenen
Krieg die Ausweisung durch
die Polen. Die Familie kam
zum Teil nach hier zurück.
Ein Zweig baute sich in Mecklenburg
eine neue landwirtschaftliche
Existenz auf.
Die Weser hat sich von dem Niedrigwasserstand 2018 erholt. Schon
vor 200 Jahren hielt ein Chronist fest: „Der Wasserstand der Weser
war 1819 so niedrig wie nie.“ Foto: kroe