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Reportage MUT 03 // 57 Zahnbürste dient. Ihre mageren Körper stecken in Lumpen. Wird ein Boxer hart getroffen, stöhnen sie auf, fiebern mit, klammern sich am Ringseil fest. Viele von ihnen sind sogenannte Almajiris. Überall in Kano sieht man sie, die Straßenjungen. Sie liegen unter Autobrücken, streunen durch Gassen. Die meisten stammen aus dem Umland, manche sogar aus Nachbarländern wie Niger oder Tschad. Ihre Eltern schicken sie auf eine der vielen Koranschulen der Stadt, doch sie lernen dort nur ein paar Verse auswendig und betteln. Eine staatliche Schule sehen die wenigsten von innen. „Viele können weder lesen noch schreiben noch rechnen. Das macht sie besonders anfällig für die Gehirnwäsche von Gangs und Sekten“, sagt Ubale. Er selbst schaffte es, trotz aller Drogen und Straßenschlachten, seine Schule abzuschließen, begann noch als Mitglied der Shiiten eine Ausbildung zum Lehrer, womit er sich ihrer Doktrin widersetzte, die wie Boko Haram westliche Bildung verbietet. Heute weiß er: „Boxen und mein Lerneifer haben mich gerettet.“ Nach seinem Mathestudium schreibt er jetzt seine Masterarbeit in organischer Chemie und erforscht Heilpflanzen aus dem Senegal. Verwischte Formeln, mit Kreide auf eine Wandtafel gekritzelt, zeugen von den Nachhilfestunden, die er in seinem Haus gegeben hat. Seit die Terrasse zu eng für all die Boxschüler und Straßenkinder wurde, unterrichtet er an einer Schule um die Ecke, der Direktor hat ihm ein Klassenzimmer überlassen. „Shehu zu treffen, ist ein Segen. Er baut mich auf und hilft mir in Englisch und Mathe“, sagt der 18-jährige Sani Muhammad, einer der besten Boxer des Clubs. Auch er stand kurz davor, sich Yandaba anzuschließen. „Doch die führen ein ziemlich nutzloses Leben. Da kann ich bei Shehu mehr aus mir machen.“ Immer wieder muss er erleben, dass Nachbarn und Freunde umkommen, immer wieder macht ihn das wütend: „Wenn ich es nicht mehr aushalte, höre ich laute Musik. Oder ich gehe boxen und haue den Frust raus.“ Er besucht die Schule und macht gleichzeitig eine Lehre als Automechaniker. „Aber Autos reparieren ist nur mein Plan B, eigentlich will ich Boxchampion werden.“ „Werdet Vorbilder!“ Mit 30 anderen Jungs hockt Sani unter dem Vordach des Boxclubs. Schweiß perlt über Schläfen und Brust. Erschöpft von Hitze, Fasten und Training hängen ihre Köpfe zwischen den Schultern. „Viele da draußen halten euch für aggressive Schläger, weil ihr boxt. Überzeugt sie vom Gegenteil und werdet zu Vorbildern“, ruft ihnen Ubale zu. Die Jungs schauen auf, blicken in sein sanftes Gesicht, hängen an seinen Lippen, obgleich er jeden Samstag wieder seine Geschichte erzählt. Auch heute erinnert er sie an die drei eisernen Regeln seiner Schule: keine Kämpfe außerhalb des Boxrings, keine Gangs, keine Drogen. Ein paar Schritte neben Ubale lehnt ein Herr an der Wand und lächelt: Der Politikwissenschaftler Michael Olufemi Sodipo, 52, Geheimratsecken, sportliche Uhr am Handgelenk, unterstützt die Boxschule. Sie ist ein Projekt seiner Organisation Peace Initiative Network, die er vor 14 Jahren nach einem Pogrom gegen Christen gegründet hat. Als Christ wohnte er in einem muslimischen Stadtteil, als plötzlich die Fenster eines Nachbarhauses barsten. Er wusste, dass sein Haus als nächstes in die Luft fliegen würde und rannte um sein Leben, hinter ihm eine Horde aus 100 Männern, die Macheten schwenkten und schrien: „Tod den GEFÄHRLICHES GELÄNDE Das Werk von Shehu Ubale wird von den Nachbarn genau beäugt. Die einen lehnen seine Initiative ab, die anderen zollen ihm Respekt. „Ich fühlte mich, als könne ich einen Löwen besiegen“, sagt Shehu Ubale, wenn er sich an die Zeit erinnert, als er sich noch mit Drogen vollpumpte.


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