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Reportage Drei Meter hohe Mauern 52 // MUT 03 trennen das Böse vom Guten. Draußen schlängeln sich vermüllte Straßen durch Brigade, einen Slum in Kano, die größte Stadt im Norden Nigerias. Das völlig heruntergekommene Viertel ist ein Nährboden für Drogendealer, Straßengangs und fanatische Gruppen, hier radikalisierte sich der Gründer von Boko Haram. Innerhalb der Mauern wirbeln Sand und Plastikmüll über den Asphalt. Halbwüchsige keuchen, Männer schreien, Schläge klatschen. Wie jeden Tag trainieren junge Kämpfer des Boxclubs auf dem Sportplatz. Die Sonne brennt, es riecht nach Schweiß. Vor dem Chefcoach des Boxclubs steht ein 17-Jähriger und schaut auf seine zerlöcherten Turnschuhe. „Warum kommst du zu spät?“, fragt Shehu Ubale, ein großer, drahtiger Mann, 42 Jahre alt. Der Junge beißt sich auf die Unterlippe und schweigt. „Stell dich an die Seite und guck zu“, sagt Ubale und widmet sich wieder dem Teenager im Boxring, der gegen die Pratzen des Assistenzcoachs schlägt, links, links, rechts, bei jedem Schlag verengen sich seine Augen zu Schlitzen. „Kleine Schritte, kleine Schritte, jetzt die Rechte. Angreifen!“, schreit Ubale. „Die Jungs brauchen Disziplin“ Der Unpünktliche kauert im schmalen Streifen Schatten, den die Mauer wirft. Ubale würdigt ihn keines Blickes. Die Jungs brauchen Disziplin. Das weiß Ubale. Er war selbst einmal wie sie. Ubales Geschichte ist die eines Kindes, das auf der Suche nach Freunden zuerst in einer Gang und später bei religiösen Fanatikern landete. Aber es ist auch die Geschichte eines Mannes, der heute entschlossen für den Frieden kämpft. Wer seinen Weg vom Bösen zum Guten verstehen will, muss mit ihm nur ein paar Schritte durch Brigade gehen, wo die Straßen so viele Schlaglöcher haben wie die Bewohner zerplatzte Träume. Kein fließend Wasser, kein Strom. Streunende Ziegen knabbern an Haufen aus Müllsäcken. Von Nigerias Ölreichtum im Süden fließt kaum etwas in den Norden. Während sich eine dünne Oberschicht bereichert, leben die meisten im Umfeld der Boxschule von knapp einem Dollar am Tag. Frauen bekommen im Schnitt sieben Kinder. Zu viele, um jedes zur Schule schicken zu können. Jungs ohne Bildung und Perspektive sind leichte Beute für Islamisten. Um die Jahrtausendwende, also lange bevor die Killertruppe mehr als 20.000 Menschen getötet hatte, tauchte Mohammed Yusuf, der Gründer von Boko Haram, in Brigade auf, traf sich regelmäßig mit Imam Ja'afar Mahmud Adam. Unter dem Einfluss des Fanatikers radikalisierte er sich. Schließlich predigte er selbst in Städten und Dörfern Nordnigerias, prangerte Armut und Korruption an. Er sprach FAIRPLAY „Die Jungs brauchen nur etwas anderes als Gewalt, in das sie ihre Energie stecken.“ Shehu Ubale als Ringrichter zwischen den Seilen, Tiefschläge werden von ihm hart geahndet.


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