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Interview „Wir Europäer kritisieren die Chinesen, haben es aber zur Kolonialzeit viel schlimmer getrieben.“ 48 // MUT 03 sind deshalb nicht gut auf die Chinesen zu sprechen. Aber dass wir Europäer die Chinesen kritisieren, verstehen sie nicht: Ihr habt es zur Kolonialzeit doch viel schlimmer getrieben und uns schließlich als hoffnungslosen Fall im Stich gelassen. Nun stößt China in die Lücke. Wie können wir Europäer es besser machen? Die Entwicklungshilfe ist bei uns im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit angesiedelt, das heißt im Klartext: Sie soll in erster Linie deutsche Exporte fördern, ist also nicht gerade selbstlos. Lediglich in den sechziger Jahren kam ein humanitärer Aspekt ins Spiel, verkörpert durch den damaligen Minister Erhard Eppler. Nach seiner Amtszeit wurde die Entwicklungshilfe wieder primär zu einem Geschäft. Doch einfach mit ihr aufzuhören, ist keine Lösung. Die Afrikaner sind in ein kompliziertes Netzwerk ökonomischer Abhängigkeit eingebunden. Dass man sie von heute auf morgen autark walten lassen könnte, ist blauäugig. Hätten Sie die Machtbefugnis eines globalen Entwicklungsministers, was würden Sie tun? Ich würde administrative Strukturen verbessen, Brunnen bauen, alternative Anbaumethoden einführen. Aber auch mit dem rassistischen Vorurteil vom sogenannten „faulen Neger“ aufräumen. Afrika ist unser Nachbarkontinent. Ein Umgang auf Augenhöhe wäre angebracht. Aber wir beuten Afrika auch heute noch massiv aus. Ich weigere mich allerdings zu sagen, unsere Welt sei halt neokolonial und deshalb leide Afrika. Das ist zu simpel. Afrika ist nicht das ewige Opfer und der Rest der Welt der ewige Schurke. Die Sache ist komplizierter. Aber es gibt sie doch, diese Ungerechtigkeiten! Klar. Dazu noch Zynismus. Die Weltbank sagt, afrikanische Produzenten sollen ihre Waren auf dem freien Markt verkaufen, doch die werden hierzulande mit hohen Zöllen belegt. Deutsche Produzenten können ihre Waren in Afrika relativ zollfrei loswerden. Wie sieht Ihre Vorhersage als Historiker für Afrika aus? Ich bin nicht nur pessimistisch. In manchen Ländern sind 70 Prozent der Einwohner jünger als 30! Das ist einerseits ein Grund zur Sorge, es gibt einen Mangel an adäquaten Arbeitsplätzen für eine immer besser ausgebildete Jugend. Zugleich gibt es zahlreiche Künstler, Wissenschaftler und Schriftsteller, die global unterwegs sind. Manche Staatsregierungen haben sich als stabil erwiesen, dort bildet sich eine demokratische Kultur. Dass alle ihr Heil bei uns suchen wollen, dieses Bild trügt. Viele wollen im eigenen Land anpacken, ein regelrechter Trend ist das, sie sagen: Wir verändern was. Immer noch als Entwicklungsminister – wie würden Sie das bewerten? Ich würde anerkennen, dass manche afrikanischen Universitäten Spitzenforschung betreiben. Es gibt international sichtbare Leuchttürme. Ich würde mich für Pressefreiheit einsetzen. Für Demokratie. Das ist eine klassische Aufgabe für politische Stiftungen: Gewerkschaftler und Journalisten ausbilden, schützen und unterstützen. Wären Sie Präsident in einem afrikanischen Land, was würden Sie tun? Grundsätzlich würde ich Bildungsprojekte vorantreiben, die Region ökologisch auffrischen und vor allem nicht nur auf Rohstoffabbau abzielen, sondern auf die gesamte Wertschöpfungskette. Ich würde Agrarentwicklungen fördern und darauf dringen, alle Produkte im Land zu verarbeiten. Die Industrialisierung möchte ich vorantreiben und die Ausbeutung eindämmen. Wie könnte Europa von Afrika profitieren, ohne den Kontinent auszubeuten? Afrika ist einer der bevölkerungsreichsten Kontinente mit den meisten Rohstoffen, politisch strategisch wichtig. Es ist eine Weltregion, über die sehr viele Vorurteile im Umlauf sind, ein Kontinent, der bisher eigentlich kaum einen interessiert, es sei denn, seine Bewohner wollen zu uns. Europa und Afrika sind historisch miteinander verflochten. Das birgt auch Chancen. Was können wir von Afrika lernen? Die Geschichte Afrikas ist die Geschichte von Menschen, die unter sehr schwierigen Bedingungen kreativ überlebt haben. Das verdient Respekt. Ebenso die Fähigkeit zur Integration, nicht zum Vergessen, aber zum Verzeihen. „Ich bin nicht nur pessimistisch. Es gibt keinen Grund, nur zu klagen. Afrika birgt auch große Chancen“, sagt Professor Andreas Eckert.


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