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Interview MUT 03 // 47 Kenia ist politisch unberechenbar, aber die Weltbank verspricht sich viel von der neuen Mittelklasse, die sich nicht mehr von staatlicher Willkür drangsalieren lassen will. Bleibt das Problem der Überbevölkerung. Ein Beispiel ist Nigeria. Dort lebten Mitte der sechziger Jahre rund 40 Millionen Menschen, heute sind es mehr als viermal so viele. Kann so ein Kontinent auf sozialen Fortschritt hoffen? Bis in die sechziger Jahre hatten die Kolonialherren das Problem, Arbeitskräfte zu finden, Afrika war unterbevölkert. Heute ist das anders. Kinderreichtum ist ein Armutsproblem. Aber auch eines der Bildung und der Geschlechterhierarchien. Was hat Kinderreichtum mit Bildung zu tun? Viel. Denn noch immer preisen Patriarchen in abgelegenen Dörfern Kinderreichtum als Segen, die Folge sind dreizehnjährige Mütter, die kaum Chancen auf Bildung und Beruf haben. Bisher ist Afrika von allen Kontinenten am wenigsten verstädtert, aber auch der Erdteil mit der höchsten Landflucht. Die Menschen fliehen in die Städte, weil sich die Wüsten ausbreiten und weil ihnen das urbane Leben Bildung und Wohlstand verspricht. Wo können wir ansetzen? Wir sollten etwa aufhören, mit hoch subventionierten EU-Agrarprodukten die Märkte in Afrika zu überfluten. Lokale Produkte sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Ein Unding, dass Afrikaner Hähnchen aus Deutschland essen. Europa lässt Afrika im Welthandel außen vor. Auch der große Reformator Emmanuel Macron wird beim Thema Agrarsubventionen zurückhaltend. Landwirtschaft ist eine heilige Kuh, keiner will sich mit den Bauern anlegen. Afrikanische Staaten sollten Importzölle erheben. Damit fängt es an. Agrarexperten empfehlen, Infrastrukturen aufs Land zu bringen: Wegenetze, Wasser, Strom ... Stimmt, die ausländischen Investitionen ins Straßen- und Eisenbahnnetz betreffen bisher weitgehend Regionen, in denen es Rohstoffe zu holen gibt. China zum Beispiel investiert ausschließlich in ein Verkehrsnetz, das allein seinen Zwecken dient. Das bringt ländlichen Regionen kaum etwas. Ist China auch Vorreiter beim Landraub? Landgrabbing ist bittere Realität. Und es sind nicht nur die Chinesen, sondern internationale Konglomerate, die sich Land unter den Nagel reißen. China hat viele Milliarden in den Kauf großer Agrarflächen investiert, um langfristig die eigene Bevölkerung ernähren zu können. Viele Afrikaner Was es in die Medien schafft, sind meist die Katastrophen. Bleiben wir beim Stichwort Korruption: Ist sie Afrikas größtes Problem? Ich will die Korruption nicht kleinreden, aber einordnen. Wir alle machen mit. Wer Rohstoffe aus Afrika bezieht, beteiligt sich intensiv daran. Diamanten, Gold, Kupfer – die Macht in Afrika basiert auf dubiosem Handel. Der Abbau von Coltan im Kongo ist ein Beispiel, ebenso das Öl in Nigeria und Angola. Europäischen Konzernen ist es egal, ob dort Steuern gezahlt werden. Dieser Egoismus zieht sich quer durch alle Schichten und Länder. So wird Korruption zur Überlebensstrategie. Uns muss klar sein: Wenn in Afrika europäische Umwelt- und Sozialstandards eingeführt würden, wären viele unserer Produkte sehr viel teurer. Wie kann man das aufbrechen? Wir müssten die rohstoffreichen Staaten Afrikas verpflichten, ihre Bevölkerung am Reichtum zu beteiligen. Aber die internationalen Diamanten- oder Ölkonzerne wollen Profit schöpfen. Unter unmenschlichen Bedingungen. Gibt es auch Staaten, in denen sich ein Wandel zu mehr Demokratie und sozialer Gerechtigkeit anbahnt? Das kleine Botswana ist vergleichsweise stabil, ebenso Ghana, wo schon seit dem 19. Jahrhundert eine Elite an Bildung als gesellschaftlichem Wert festhält. Selbst unter dem Militärregime von Jerry Rawlings wurden Korruption und Misswirtschaft bekämpft. Auch im Senegal gibt es eine politische Konstellation aus mehreren Parteien und Amtsinhaber, die nicht an ihrer Position kleben. Wagen Sie es, eine Prognose für die Länder der Subsahara zu stellen? Das wäre in der Tat ein Wagnis. Nehmen Sie Ruanda. Anfang der Neunziger sagte jeder Afrika-Experte, das Land sei die Schweiz Afrikas. Doch kurz danach passierte dort einer der schlimmsten Völkermorde des 20. Jahrhunderts. Die Konstellationen in Afrika sind komplex.


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