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Zeichen des Aufbruchs MUT 03 // 39 STARTUP Ihre ersten Kunden waren Freunde und Verwandte. Msgana Gebregziabeher in ihrer Schuhwerkstatt. Äthiopien ist eines der ärmsten Länder der Welt, die große Hungersnot 1984 ist jedem in Erinnerung. Mittlerweile zählt der Staat trotzdem zu den aufstrebenden Volkswirtschaften und die Hauptstadt Addis Abeba als Boomtown, vor allem dank riesiger Infrastrukturprojekte und Investitionen aus China. Ministerpräsident Abiy Ahmed beendete im Juli den Konflikt mit Eritrea. hundert Millionen US-Dollar auf eine Milliarde steigen. Mit einem Wirtschaftswachstum von acht bis elf Prozent in den vergangenen Jahren gilt Äthiopien als Afrikas Wirtschaftswunderland. Der Boom ist notwendig: Die meisten der mehr als 105 Millionen Äthiopier sind jünger als 25. Die Stabilität des Landes hängt davon ab, Arbeit für diese jungen Menschen zu schaffen. Zugleich wird Äthiopien langfristig nur profitieren, wenn es mehr eigene Produkte entwickelt. Msgana Gebregziabeher war 17, als sie die Idee hatte, Schuhe herzustellen. Ihr Bruder, der damals als Flickschuster arbeitete, brachte abends Reparaturaufträge mit nach Hause, so flickten er und die beiden Schwestern bis in die Nacht Schuhe. Eines Abends sagte Msgana: „Wir sollten nicht nur reparieren. Wir sollten produzieren.“ Sie zerlegte Schuhe, studierte ihren Aufbau, nähte bald ihr erstes Paar zusammen. Die ersten Jahre lief das nur nebenher. Msgana verdiente ein bisschen Geld als Fotomodell, ihre Geschwister hatten Gelegenheitsjobs. Abends saßen sie zusammen und nähten Schuhe. Ihre ersten Kunden waren Freunde und Verwandte. Die Geschwister bildeten sich auf Fachkursen fort und erhielten einen Kredit. Die Stadt stellte ihnen günstige Räume zur Verfügung. Bald fanden sich Läden, die ihre Schuhe verkauften. „Doch der Schritt auf den internationalen Markt ist schwierig“, sagt Msgana Gebregziabeher. Sie selbst ist sogar schon nach Italien und Finnland gereist, um Händler zu finden. Eine Zeit lang schickte sie Ware an einen Zwischenhändler in Irland, der sie weiterverkaufte. „Aber der Mann wurde sehr krank und gab sein Geschäft auf“, erzählt sie. Das war ein Rückschlag. Also arbeiten sie vorerst für den einheimischen Markt. Auch der wächst – und mit ihm „Msgana Shoes“. In ein paar Wochen wollen sie die Wand zu einer benachbarten Werkstatt einreißen und ihre Fläche verdoppeln, eine kleine Küche einrichten und mehr Leute einstellen. Da ist zum Beispiel Mekdes Abate, mit 19 Jahren die jüngste Mitarbeiterin. Sie war vom Land in die Hauptstadt gekommen – ohne Perspektive. „Jetzt kann ich von meinem eigenen Geld leben“, sagt sie. Oder Elshadai Deselagn, ein Lehrer, der jahrelang auf dem Bau gearbeitet hat, bis ihn ein Freund mit Msgana bekannt machte. „Hier habe ich endlich eine sichere Arbeitsstelle gefunden.“ Daniel Getachew, 30, hat schon zehn Jahre für verschiedene Schuster und Schuhfabriken gearbeitet. „Die Arbeitsbedingungen hier sind viel besser.“ Eine Expansion ist schon geplant Jahrelang waren Indien, Sri Lanka oder Bangladesh die Zentren der Bekleidungsindustrie. Als dort die Löhne stiegen, suchte die Industrie neue Standorte. In Äthiopien arbeiten Näherinnen für umgerechnet einen Euro pro Tag. Gewerkschaften gibt es nicht. Rund um Addis Abeba entstehen gewaltige Gewerbeparks für die Textilindustrie, heute arbeiten mehr als 50.000 Menschen in der Branche. Bald sollen es sieben Mal mehr sein. Bis 2020 könnten Äthiopiens Textilexporte von Äthiopien 3


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