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Reportage 28 // MUT 03 Operation ihres kaputten Handgelenks bräuchte sie 500 Dollar. Unbezahlbar. Doktor Chibanda hat ihr Schmerztabletten gebracht. Sobald es geht, will sie wieder arbeiten, um selbst nicht zu viel zu denken. Wie ihre Kolleginnen kennt Chinhoyi viele Sorgen aus eigener Erfahrung. „Manchen kann ich vielleicht besser helfen als jeder Therapeut.“ Vielleicht ist das einer der Gründe, warum die Menschen den Großmüttern auf den Bänken so schnell vertrauen, weil sie spüren, dass sie verstanden werden. Mehr als 34.000 Menschen haben in den vergangenen Jahren eine Freundschaftsbank besucht. Die Universität von Simbabwe und das King's College in London haben eine Studie veröffentlicht, die 573 Patienten erfasst. Die Hälfte von ihnen hatte eine Freundschaftsbank besucht. Die andere Gruppe wurde wie üblich mit Medikamenten behandelt. Das Ergebnis: Patienten mit Angstzuständen zeigten nach den Gesprächen mit einer Großmutter viermal weniger Symptome einer Depression, Selbstmordgedanken traten fünfmal weniger auf. Ein halbes Jahr nach den Banksitzungen hatte nur noch jeder siebte Patient Symptome von Kufungisisa. Diese Erfolge sind so beeindruckend, dass Freundschaftsbänke längst nicht nur in Simbabwe stehen. Chibanda hat Laien in Malawi und in Sansibar ausgebildet. Bald starten er und Kollegen in Liberia, einem Land, das hart von Ebola getroffen wurde. Bis Ende 2018 will er mit seinem Team 1.000 Laientherapeuten ausgebildet haben. Seine Methode wird unter Experten bereits heute als Modell diskutiert, wie in sehr armen Ländern Menschen mit psychischen Erkrankungen geholfen werden kann. Jetzt häkeln sie Handtaschen In einem kleinen Schuppen am Rande von Harare sitzt Chinhoyis Tochter Farai und häkelt. Farai heißt Glück. Doch das Glück hat die 47-Jährige verlassen. 2008 starb ihre Schwester an Krebs, seitdem sorgt sie für ihre zwei behinderten Nichten, zusätzlich zu ihren Kindern. Irgendwann fehlte ihr die Kraft. Depressionen, Selbstmordgedanken. „Ich hatte bereits das Rattengift für unseren Maisbrei im Schrank“, erzählt sie. „Die Großmutter hat mich gerettet.“ Jetzt häkelt sie Handtaschen, gemeinsam mit acht Frauen, die ähnliches erlebt haben. Die Selbsthilfegruppe ist die letzte Stufe der Freundschaftsbank: Die Frauen sollen sich stärken und gegenseitig Mut machen. „Wenn du deine Probleme für dich behältst, wachsen sie“, sagt Farai Chinhoyi. Die Idee, eine Häkelgruppe zu gründen, stammt von Chibandas Großmutter, inzwischen 98 Jahre alt. Als sie mit ihr über die Probleme ihrer Patienten sprach, fragte die alte Frau: „Warum lässt du sie nicht etwas tun? Wenn die Hände beschäftigt sind, denkt man weniger.“ Heute verdienen die Frauen ein wenig Geld mit ihren Häkeltaschen. Und sie sind nicht allein. Farai Chinhoyi belässt es nicht beim Häkeln. Jede Woche fährt sie mit dem Bus in die Klinik nach Glen Norah, wo unter einem Avocadobäumchen Melenia Motokari auf der Bank sitzt. Wie Motokari möchte auch sie sich zur Laientherapeutin ausbilden lassen. Schon jetzt trifft sie Patienten zum „Circle Kubana Tose“, gemeinsam Hände halten. Zwischen den sechs Sitzungen singen, reden und beten sie zusammen. Melenia Motokari wird sich am frühen Morgen wieder auf den Weg zur Klinik machen. Gerade ist sie Urgroßmutter geworden. Sie wird sich auf ihre Bank unter dem Avocadobaum setzen, zuhören, nicken, trösten, Mut zusprechen. „Ich komme zu dieser Bank, bis ich irgendwann nicht mehr aufstehen kann.“ SODOM UND GOMORRHA Hier im Township Mbare hat der Psychiater Dixon Chibanda mit seiner Arbeit begonnen. Das total heruntergekommene Stadtviertel ist ein Herd für psychisch kranke Menschen. „Wenn die Hände beschäftigt sind, denkt man weniger.“ Auf dem Weg zur Heilung treffen sich ehemalige Patienten wie Farai Chinhoyi in einer Häkelgruppe. Dort stellen sie gemeinsam Handtaschen her.


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