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Dienstag, 3. Juli 2018 Der Kaiser Mindener Tageblatt 39 Das hätte auch dem Kaiser geschmeckt Steinbutt, Kalbsrücken und Fürst-Pückler-Eis: Zur Einweihung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals kam nur das Beste auf den Tisch. Zwei Küchenchefs interpretieren vier der zehn Gänge neu. Von Nadine Schwan Porta Westfalica (mt). Andrey Gutrov setzt das Messer an: Ein Schnitt in der Mitte, einer über der Flosse und dann noch die Haut abziehen. Mit nur ein paar Handgriffen ist das beste Stück aus dem Steinbutt herausgetrennt. Der edle Plattfisch wurde 1896 als Zwischengang bei der feierlichen Einweihung des Kaiser-Wilhelm- Denkmals im Portaner Kaiserhof serviert. Gutrov, Küchenchef vom Schlemmerservice, und Andreas Niehus, Küchenchef des Panoramarestaurants „Wilhelm 1896“, kochen vier der zehn Gänge des Menüs nach. Einzelne Komponenten davon seien neu interpretiert auf der Speisekarte im „Wilhelm 1896“ zu finden, sagt Geschäftsführer Lars Rohlfing. Der fangfrische Steinbutt auf dem Brett vor Andrey Gutrov wiegt fünf Kilogramm, vier Filets lassen sich daraus schneiden. Eine Delikatesse. Rund 18 Euro pro Kilo kostet der Fisch, wenn man ihn im Ganzen kauft – und das geht nur auf Vorbestellung. Auch damals war der Edelfisch kostbar. Wer ihn aß, war ohne Zweifel wohlhabend. Kein Wunder, dass er bei dem Festessen nicht fehlen durfte. Auf die Teller kam er damals mit holländischer Soße und Butter – auch sie waren Luxusprodukte in der Kaiserzeit. Für den heutigen Gaumen wirkt der Gang ohne weitere Zutaten etwas schwer. Die Küchenchefs peppen das Fischgericht deshalb auf. Andrey Gutrov steht inzwischen am Herd und schlägt vier Eigelb mit Weißwein auf – aus ihnen entsteht eine feine Orangen-Hollandaise. „Wir machen die Sauce natürlich frisch“, sagt sein Kollege Andreas Niehus, der am Herd ein Stück Butter schmelzen lässt. Gutrov rührt den Schneebesen minutenlang in der Schüssel. „Er darf aufschlagen, er hat die kräftigeren Arme“, sagt sein Kollege am Herd und grinst. Gutrov schlägt und schlägt, jetzt darf die Butter dazu – ganz langsam, damit nichts gerinnt. Für den Geschmack presst Niehus eine Orange in die cremiggelbe Masse und bereitet schon einmal das Gemüse vor – ein Möhren-Kohlrabi Ragout mit Fenchel. Auch den Kalbsrücken mit Pilzen und Backkartoffeln passen sie dem Geschmack von heute an. Auf das kräftig angebratene Fleisch drückt Andrey Gutrov eine würzige Walnuss- Kruste, dann kommt es in den Ofen. „Der Kalbsrücken sollte eine Kerntemperatur von 50 Grad haben und innen noch schön rosa sein“, erklärt Niehus. Die Austernpilze, Kräutersaiblinge und braunen Champignons brät er an und verfeinert sie mit einem hausgemachten Bärlauchpesto. Die Kartoffeln – kleine Drillinge – röstet er mit Kräutern an. Sie waren früher allerdings nur Beiwerk und galten als Arme-Leute-Essen. Fleisch stand zur Kaiserzeit dagegen ganz oben auf der Beliebtheitsskala. Kurz vor dem Anrichten holt Andrey Gutrov den Kalbsrücken aus dem Ofen und schneidet ihn an. „Perfekt“, sagt er ganz leise zu sich selbst. Ob da Kaiser Wilhelm II. auch Nein zu gesagt hätte? Damals ließen sich er und Kaiserin Auguste Viktoria mit dem zehngängigen Festessen jedenfalls nicht locken. Die beiden blieben nicht zum Essen, auf die Festtafel wurde stattdessen eine Büste gestellt. Neben der Suppe, dem Steinbutt und dem Kalb verpassten die beiden etliche Leckerbissen: Feldhühner mit Sauerkraut und Schaumwein, eine Gänseleber-Pastete und Schmaltier mit Salat und eingemachten Früchten. Schmaltier? Oder steht da Schalentier? Da mussten Lars Rohlfing und seine Köche erstmal nachschlagen, denn einfach ist die Frakturschrift auf der historischen Speisekarte auf den ersten Blick nicht zu entziffern. Wie sich herausstellte verbirgt sich hinter dem Schmaltier ein einjähriger Hirsch oder ein gleichaltriges Reh. Zum Nachtisch gab es dann noch Fürst-Pückler- Eis, Käse und einen nicht näher definierten Nachtisch, dann noch Kaffee mit verschiedenen Likören. Andreas Niehus und Andrey Gutrov beschränken sich auf das Eis. Heutzutage ist es eher als Erdbeer-Vanille Schoko-Fertigprodukt aus dem Supermarkt bekannt. Damals hingegen war die Vorstellung eine etwas andere: Ein Blick hinein in das Kochbuch von Henriette Davidis, das um 1900 zum Standardwerk der deutschen Küche zählte, verrät seine Herstellung. Anderthalbliter Schlagsahne wurden gezuckert und in drei Portionen geteilt. Ein Teil wurde abgeschmeckt mit Vanille und süßen Makronen, der nächste gefärbt mit einigen Tropfen rosa Farbstoff und einem Glas Kirschlikör. Und zur dritten Portion kam fein geriebene Schokolade. Die beiden Küchenchefs zaubern aus dem Fürst-Pückler-Eis lieber eine moderne Eisrolle mit den Geschmacksrichtungen Guave-Mango, dunkler Schokolade und Pistazie. Besonderes Highlight: Die Schoko- Schicht der Rolle ist in einer sechs geformt, die in zwei Scheiben geschnitten zur 96 gelegt wird. Die Küchenchefs Andrey Gutrov und Andreas Niehus haben den Kalbsrücken vom 1869 neu interpretiert. MT-Foto: Schwan Fünf Kilogramm fangfrischer Steinbutt liegen auf dem Brett.


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