6 MENSCHEN · MACHER · MÄRKTE
Handwerker finden immer schwerer
einen Nachfolger
Die bürokratischen Lasten nehmen stetig zu – Gastbeitrag der Handwerkskammer OWL
Bielefeld. Das Handwerk ist
mit mehr als einer Million Betrieben
und rund 5,5 Millionen
Beschäftigten die Wirtschaftsmacht
von nebenan
und der vielseitigste Wirtschaftsbereich
Deutschlands.
Privatverbrauchern, Industrie,
Handel und der öffentlichen
Hand bietet es ein breites, differenziertes
und qualitativ
hochwertiges Angebot an Waren
und Dienstleistungen. Mit
Flexibilität und Kreativität erfüllt
es individuelle Kundenwünsche.
Die meisten Handwerksunternehmen
sind auch in
Ostwestfalen-Lippe Familienunternehmen
im wahrsten
Sinne des Wortes. Sie denken
nicht in Quartalen, sondern in
Generationen, und sind ein
Beispiel für gelebte Nachhaltigkeit.
Die Familie arbeitet
oft aktiv mit, und Eigentum
und Leitung werden zumeist
innerhalb der Familie weitergegeben.
Viele Handwerkerinnen
und Handwerker können auf
eine lange Familientradition
zurückblicken und zu Recht
stolz darauf sein. Denn es ist
keineswegs selbstverständlich,
dass Familienunternehmen
mehrere Generationen
überleben. „Der Vater erstellt's,
der Sohn erhält's,
beim Enkel zerschellt's!“, sagt
eine alte Volksweisheit. Im
Handwerk hat es trotzdem
häufig geklappt, aber die Zeiten
werden zunehmend
schwieriger.
Rund 20 Prozent der Betriebe
suchen in den nächsten
fünf Jahren eine Nachfolgerin
oder einen Nachfolger, das
sind im OWL-Handwerk mehr
als 800 Betriebe pro Jahr.
Neben der Familiennachfolge
kommen auch die Übergabe
an Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter
oder Externe oder
aber die Schließung in Betracht,
Letzteres mit steigender
Tendenz.
Zwar erfolgt noch rund zur
Hälfte eine Übergabe auf „traditionelle
Weise“ innerhalb
der Familie, diese hat in den
letzten Jahren aber spürbar an
Bedeutung verloren. Ein zentraler
Grund ist sicherlich,
dass der „Nachwuchs“ die hohen
zeitlichen Belastungen
der Selbstständigkeit seit der
Kindheit an kennt und oft
nicht bereit ist, diese für die
eigene Lebensperspektive zu
akzeptieren. Manchmal spielt
die Partnerin oder der Partnerin
dabei nicht mit.
Auch die Suche nach externen
Nachfolgerinnen und
Nachfolgern ist aktuell
schwieriger geworden. Das
liegt zum einen am starken
Fachkräftemangel im Handwerk,
der auch auf eine verfehlte
Bildungspolitik (Stichwort
„Akademisierungswahn“)
zurückzuführen ist.
Nach der jüngsten Konjunkturumfrage
der Handwerkskammer
fehlen allein in Ostwestfalen
Lippe rund 11.500
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
im Handwerk. Handwerkliche
Arbeit war wohl
noch nie so sicher und so gut
bezahlt wie heute, und es gibt
genügend sichere Arbeitsplätze.
Dadurch sinkt tendenziell
das Gründungsinteresse, das
bekanntlich eine gewisse Risikobereitschaft
voraussetzt.
Zum anderen wird die
Nachfolgersuche immer stärker
durch die weiter gestiegene
Bürokratiebelastung erschwert.
Das belegen zwei aktuelle
Beispiele in Minden:
Die Fleischerei Geier gibt trotz
guter Geschäfte nach 52 Jahren
auf, auch wegen der Bürokratie,
und Bäckermeister Redeker
beklagt, dass er fast
mehr Zeit am Schreibtisch als
in der Backstube verbringen
muss (das Mindener Tageblatt
berichtete ausführlich).
Beileibe keine Einzelfälle,
denn nach einer Umfrage von
Creditreform empfinden
mehr als 75 Prozent der Handwerksbetriebe
die bürokratischen
Lasten als größtes Hindernis,
Nachfolger zu finden.
Das deckt sich mit den regionalen
Erfahrungen in Ostwestfalen
Lippe: Betriebsinhaber
berichten über abnehmendes
Interesse an Übernahmen
und über abgebrochene
Nachfolgeverhandlungen,
sobald dem Nachfolger
das Ausmaß der zeitlichen Belastung
der Selbstständigkeit
klar wird.
Ein heimischer Unternehmer
der Baubranche äußerte
sich kürzlich aus diesem
Grund sehr zufrieden darüber,
dass seine Kinder andere
beruflichen Perspektiven
als die Betriebsnachfolge entwickelt
haben und den Betrieb
nicht übernehmen. So
etwas war vor einigen Jahren
noch undenkbar.
Die Überforderung der
Handwerker resultiert aus
einer oft unpräzisen Gemengelage
aus formellen Pflichten,
unverständlichen und komplexen
Vorschriften, aufwendigen
Dokumentationspflichten,
hohen Gebühren und anderen
Belastungen. Vieles wird
als willkürliche behördliche
Schikane empfunden. Während
Großbetriebe eigene
Fachabteilungen haben, landet
bei den weitaus meisten
Handwerksbetrieben alles auf
dem Schreibtisch der Chefin
oder des Chefs und raubt ihnen
die Zeit für ihr Handwerk.
Viele Gesetze ignorieren die
Bedürfnisse des Mittelstands.
Im vergangenen Jahr war es
besonders extrem. Beispielhaft
seien hier die „Reizworte“
Datenschutzgrundverordnung
und Gewerbeabfallverordnung
genannt.
Zwar kommen die Initiativen
für neue Bürokratie zumeist
aus Brüssel, aber oft genug
treibt erst die deutsche
„Gründlichkeit“ in Politik und
Verwaltung den Regulierungswahn
auf die Spitze. Das
deutsche Handwerk ächzt
unter den Bürokratielasten,
deshalb ist der Bürokratieabbau
in diesem Jahr bundesweit
das zentrale Thema und
Anliegen des Handwerks.
Ziel ist es, dass sich die
Handwerkerinnen und Handwerker
künftig wieder mehr
auf ihre Aufträge und Kunden
konzentrieren können. Denn
es gibt bekanntlich viel zu
tun. (pr/hmf)
Wolfgang Borgert ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer der
Handwerkskammer OWL. Foto: pr