6 MENSCHEN · MACHER · MÄRKTE
Popcorn in der Wand –
Fünf Baustoffe für die Zukunft
Klassische Baustoffe wie Mineralwolle, Stahl und Beton dominieren beim Hausbau.
Doch die Suche nach besseren und nachhaltigeren Lösungen läuft.
Berlin/Göttingen. Die Klimadebatte
macht vor dem Baugewerbe
nicht halt. Nachhaltigere
Baustoffe wie Lehm, Holz
und Stroh rücken damit wieder
in den Fokus, auch wenn
sie genau genommen ein alter
Hut sind. Schließlich werden
sie bereits seit Jahrhunderten
genutzt.
Zudem findet die Forschung
heute zum Teil ungewöhnliche
Ansätze für das
nachhaltige Bauen der Zukunft.
Ausgereift sind die allerdings
noch nicht immer.
Eine Auswahl:
Aus dem Meer in
die Hauswand
Seegras ist ein marktreifer
nachwachsender Wärmedämmstoff
- und es bietet
nach Einschätzung von René
Görnhardt viele Vorteile.
„Man muss es nicht anbauen,
denn es wächst auf dem Meeresgrund“,
sagt der Baustoffexperte
der Fachagentur
Nachwachsende Rohstoffe
(FNR).
Seegras habe einen hohen
Salzgehalt und brenne dadurch
nicht so leicht, so Görnhardt.
Es lasse sich einfach
verarbeiten. Der Dämmwert
sei mit einer konventionellen
Dämmmatte vergleichbar. Dazu
kommt: Die Faser kann relativ
viel Feuchte aufnehmen,
ohne dass sie an Dämmwirkung
und Massenvolumen
verliert, während sich viele
der herkömmlichen Stoffe
vollsaugen und zusammensacken
– die Folge sind Hohlstellen,
die schlimmstenfalls
zu Schimmel führen.
Eine Wand aus
Rohrkolben
Schilf und Rohrkolben (Typha)
wirken nicht gerade stabil.
Doch verarbeitet als Platten
halten sie durch ihre
Kammerform – sie sind innen
hohl – Lasten aus. „Sie können
in tragenden Innenwänden
verbaut werden oder als Matte
für die Dämmung genutzt
werden“, erklärt Görnhardt.
Durch die Wiedervernässung
der Moore, so hofft er, könnten
die Pflanzen wieder in
größeren Massen regional angebaut
werden.Die Pflanzen
an sich gebe es am Bau schon
länger, nur durchgesetzt haben
sie sich bislang nicht.
„Das große Problem ist, dass
sich viele Firmen sträuben, innovativen
Entwicklungen im
Baubereich eine Chance zu
geben“, bemängelt Görnhardt.
Trennwände
aus Popcorn
Popcorn zum Beispiel. Da geht
es nicht um Kinofeeling auf
der Baustelle, sondern um
Spanplatten, die zu rund zwei
Dritteln aus Holzspänen und
zu rund einem Drittel aus
Popcorngranulat bestehen, also
aus verarbeitetem Mais.
Sie sind seit 2011 unter dem
Namen „BalanceBoard“ auf dem
Markt und wesentlich leichter
als übliche Spanplatten. Entwickelt
wurde der Werkstoff an
der Uni Göttingen.
Und das Forscherteam um
Prof. Alireza Kharazipour will
noch weiter gehen. Es arbeitet
daran, Produkte aus 100 Prozent
Popcorngranulat herzustellen.
Das wird beleimt und
kann anschließend in Form
gepresst werden, zum Beispiel
zu Stühlen, Platten oder Verpackungsboxen,
also zu natürlichem
Styropor-Ersatz. „Es
funktioniert auch als Dämmstoff
oder für Trennwände in
Büros“, ergänzt Kharazipour.
Die Produkte könnten bald
auf den Markt kommen. Es liefen
Gespräche zwischen der
Universität und mehreren Firmen
über Lizenzierungen, so
der Wissenschaftler. „Wir sind
schon sehr weit, diese Produkte
haben Hand und Fuß.“ Er
hofft darauf, dass sie dieses
oder nächstes Jahr kommerziell
produziert werden.
Flachs als Bewehrung
im Beton
Klassischerweise wird Beton
durch Stahlstreben verstärkt.
Modernere Bewehrungen bestehen
aus Carbon oder
Kunststoff. Künftig aber
könnten sie aus nachwachsenden
Rohstoffen bestehen,
zum Beispiel Flachs. Das hoffen
die Forscher am Fraunhofer
Institut für Holzforschung
in Braunschweig, die daran
arbeiten.
Der Stoff sei korrosionsfrei,
lange haltbar und habe
die gleichen statischen
Eigenschaften wie Stahlbeton,
heißt es. Er soll günstiger
in der Produktion sein
und habe eine bessere CO2-
Bilanz. Außerdem sei Flachs
vielseitig einsetzbar: Da sich
die Bewehrung aus Textil
fast allen Formen anpasse,
seien auch filigrane Bauten
möglich. Allerdings ist der
Textilbeton noch nicht am
Bau verfügbar. „Leider ist der
Stoff noch nicht ausgereift“,
sagt Baustoffexperte Görnhardt.
(tmn)
Schilf kann mehr als nur ein Sichtschutz für Balkongitter
sein: Das Produkt kommt etwa auch in Innenwänden zum
Einsatz. Foto: Hiss Reet Schilfrohrhandel GmbH/dpa-tmn
Die Deckschicht dieses Sandwichelements besteht aus
einer dünnen Schicht Textilbeton – ausgereift ist dieser
Baustoff mit Flachsanteil aber noch nicht.
Foto: Manuela Lingnau/Fraunhofer WKI/dpa-tmn