12 MENSCHEN · MACHER · MÄRKTE
Rhabarber statt Chemie:
Autointerieur wird nachhaltiger
Recycelte und nachwachsende Rohstoffe sind in Autos nichts Neues. Im Gegensatz
zu früher verstecken Hersteller die Öko-Materialien nicht mehr hinter Konsolen.
München/Pforzheim. Ausgediente
PET-Flaschen, Altkleider,
Flachs und der Verschnitt
aus der eigenen Produktion:
Autohersteller bedienen sich
seit langem recycelter und
nachwachsender Rohstoffe –
künftig sollen die Käufer das
auch sehen.
Weil Nachhaltigkeit im
Trend liegt, müssen die Kreativen
die Materialien aus der
Bio- oder der Wertstofftonne
nicht mehr verstecken, sondern
können sie prominent
inszenieren: „Natürlich gab es
schon immer Dämmmatten
aus nachwachsenden Rohstoffen
oder recyceltem Müll“,
sagt Steffen Köhl, der bei Mercedes
das Advanced Design
leitet. „Doch jetzt holen wir
solche Materialien aus der Deckung
und trauen uns auch,
sie zu zeigen.“
Zertifiziertes Holz und
olivengegerbtes Leder
Die im Januar auf der Elektronikmesse
CES in Las Vegas
enthüllte Mercedes-Studie
AVTR soll mit seinem vielen
Zierelementen aus Rattanholz
eine Art Werbeträger für den
Naturschutz sein.
Konkurrent BMW geht offensiv
Grüner Geist zum Anfassen: Der Tisch und die Taschenablage im i3 Urban Suite bestehen
aus geöltem Eichenholz. Foto: BMW AG/dpa-tmn
mit diesem Thema um.
Nachdem die Modelle i3 und
i8 ohnehin schon Innenräume
aus besonders nachhaltigen
Materialien hatten, haben
die Bayern zur CES noch einmal
nachgelegt und eine
Kleinserie des i3 weiter ins
Grüne geschoben: Der Tisch
und die Taschenablage im i3
Urban Suite seien aus geöltem
Eichenholz hergestellt
worden, das aus zertifizierter
Holzwirtschaft stamme und
das Leder im Fond sei dank
Olivengerbung komplett
schadstofffrei. Auch der Stoff
sei nachhaltig: Er bestehe aus
reinem PET-Rezyklat.
Wurde die Fußmatte bislang
mit mehreren unterschiedlichen
Kunststoffarten
hergestellt, die laut BMW
nicht wieder voneinander
getrennt und wiederverwendet
werden konnten, habe
man diese auf eine Materialienkombination
reduziert.
Die Fußmatte könne jetzt
nach ihrer Verwendung im
Fahrzeug zu 100 Prozent
wieder in den Materialkreislauf
integriert werden, so der
Hersteller.
Ebenfalls mit alternativen
Materialien wirbt Skoda bei
der Studie Vision IN, die im
Februar auf der Motor Show
in Delhi debütierte. Das SUV
zeigt vegane Verkleidungen
am Boden und Dach. Konsolen
und Sitzbezüge sind aus
Leder, das mit Eichenextrakten
oder mit Rhabarber statt
mit Chemikalien behandelt
wurde. Die Fußmatten sind
aus so genannten Ananasleder,
das aus Blättern der Tropenfrucht
hergestellt wird, so
Designchef Oliver Stefani
Öko-Einsatz soll
Image aufpolieren
Solche Überlegungen kommen
nicht von ungefähr, sagt
Designer Lutz Fügener. „Das
Thema Nachhaltigkeit
schwingt in den letzten Jahren
sehr hoch in der Automobilindustrie“,
hat der Professor
an der Hochschule Pforzheim
beobachtet. Er glaubt,
dass die Hersteller damit ihre
in vielen Märkten schwindende
Reputation aufpolieren
wollen. Der Innenraum biete
dafür ein zunehmend geeignetes
Spielfeld, da er nicht zuletzt
durch die Überlegungen
zur Automatisierung des Fahrens
viel mehr in den Mittelpunkt
der Wahrnehmung gerückt
sei.
„Die parallele Entwicklung
von der Nachhaltigkeit der
Materialien und deren Ästhetik
ist schwierig.“ Nicht alles,
was nachhaltig ist, werde
auch als schön empfunden.
Zudem ließen sich viele mittlerweile
etwa in der Wohnung
akzeptierte, alternative
Materialien im Auto nicht
einsetzen, weil sie zu leicht
brennen oder bei einem Unfall
splittern könnten oder
schlicht nicht die hohen Anforderungen
an die Haltbarkeit
erfüllen.
Erschwerend hinzu komme,
dass der oft konservativ kaufende
Kunde bestimmte Vorstellungen
von einem hochwertigen
Interieur habe, die er
meist nicht gerne ablegt, gibt
Fügener den „Schwarzen Peter“
an den Verbraucher weiter.
„Denn die Heilige Dreifaltigkeit
von Leder, Klima, Wurzelholz
lebt in den Köpfen der
Kunden weiter“. (tmn)
Professor Lutz Fügener ist
Studiengangsleiter B.A.
Transportation Design an
der Hochschule Pforzheim.
Foto: Jochen
Knoblach/dpa-tmn