24 Hille extra
„Papa, du schaffst das!“
Suchtselbsthilfegruppen, wie die vom Blauen Kreuz, geben Orientierung und Halt.
Von Andrea Gerecke
Hille-Rothenuffeln/Minden-
Haddenhausen. Von einer
sturzbetrunkenen, schwangeren
Frau berichtete kürzlich
das Mindener Tageblatt. 4,23
Promille hatte ein Test bei der
werdenden Mutter ergeben,
die am Hauptbahnhof Hannover
von der Polizei aufgegriffen
wurde.
Schutzgewahrsam folgte für
die wohnungslose 24-Jährige.
Nur zwei Tage später erwischte
sie ein Ladendetektiv am
selben Ort in der Großstadt.
Bei 3,91 lag diesmal der Promillewert.
Auch darüber und
die gesundheitlichen Schäden
wird an diesem Abend bei der
Selbsthilfegruppe vom Blauen
Kreuz gesprochen.
Schließlich ist das nicht nur
ein Problem von Obdachlosen.
Querbeet geht das Spektrum,
Jung und Alt, Frauen
und Männer, Facharbeiter
und Studierte. Man trifft sich
jeden Mittwoch um 19.30 Uhr
im Gemeindehaus in Haddenhausen
an der Biemker Straße
23. Anderthalb Stunden lang
wird geredet, man tauscht
sich aus.
Die, die dabei sind, haben
sich schon ein Herz gefasst
und die Hemmschwelle überwunden.
Sie sind bereit, einmal
pro Woche besonders intensiv
daran erinnert zu werden,
dass sie Stopp gesagt haben.
Die Gruppe ist wichtig:
Jeder weiß, wovon geredet
wird, während Außenstehende
die Hintergründe nicht
kennen. Tipps und Ratschläge
werden vermittelt.
Ein knappes Dutzend an Betroffenen
und Angehörigen
sitzt an dem heißen Augustabend
beisammen. Gestartet
wird in aller Regel mit einer
Frage nach dem allgemeinen
Befinden und ob jemand was
auf dem Herzen hat. Sind
Neue dabei, stellen sich alle
reihum vor. Thematisch geht
es dann um Schwerpunkte im
Zusammenhang mit Alkohol.
Darauf ist diese Gruppe spezialisiert.
Man kann aber über
alles reden, es wird einem zugehört
und man bekommt
einen anderen Blickwinkel auf
schwierige Situationen geliefert.
Im evangelischen Gemeindehaus in Haddenhausen ist auch die Selbsthilfegruppe vom Blauen Kreuz
regelmäßig zu Gast. Fotos: Andrea Gerecke
Vertrauen ist das A und
O. Anonymität wird gewahrt.
Heiko Bollmann und Bärbel
Meier leiten die Treffen schon
seit vielen Jahren ehrenamtlich,
stehen als verantwortliche
Ansprechpartner bereit.
Sie ist eine ehemalige Angehörige.
Die anderen möchten
ihre Namen nicht veröffentlicht
sehen. Aber es geht ja
auch um das Thema selbst.
Am 1. Januar 2020 begeht
diese Selbsthilfegruppe vom
Blauen Kreuz, die bei der
Evangelischen Kirche angesiedelt
ist, ihr 30-jähriges Bestehen.
„Menschen stärken
Menschen“, lautet das Motto
der BKE (Blaues Kreuz in der
Evangelischen Kirche) Suchtselbsthilfe.
Landesweit an
mehr als 400 Standorten engagieren
sich in über 1.100
Gruppen- und Vereinsangeboten
ehrenamtlich und
hauptamtlich Mitarbeitende
vor allem für Alkohol- und
Medikamentenabhängige. Alles
geschieht auf der Basis des
christlichen Menschenbildes,
damit jeder sein Ziel erreicht:
befreit leben zu lernen.
Anfangs traf man sich im
Gemeindehaus in Oberlübbe.
Dann wurde dort umgebaut,
und ein neuer Treffpunkt
musste her. Über eine längere
Zeit arbeitete man mit der Region
Stemweder Berg zusammen.
Doch auf die Dauer waren
dafür die Anfahrten einfach
zu lang und auch der
Arbeitsaufwand für die Ehrenamtlichen
aufgrund der großen
Teilnehmerrunde zu heftig.
Deshalb sind alle jetzt
froh, in Haddenhausen einen
Ort gefunden zu haben, der
insgesamt näher liegt und Geborgenheit
bietet. Gemeinsam
fährt man auch mal zum
Spargel- oder Eisessen, trifft
sich am letzten Abend im Jahr
weihnachtlich-familiär in privatem
Rahmen.
„Wir arbeiten eng mit der
Diakonie und der Parität zusammen“,
betont Bärbel
Meier. „Und wir geben Hilfe
zur Selbsthilfe.“ Wichtig ist
natürlich, dass derjenige von
selbst kommt und wirklich
raus will aus der Dauerschleife
Abhängigkeit. Und die hält
viele Sparten bereit. Drogen
in den unterschiedlichsten
Spielarten sind nur eine
Form. Medien, Essen, Medikamente,
Tabak, Glücksspiel, Beziehung
– überall kann eine
Falle lauern. Selbst im ganz
normalen Alltag beim Einkauf,
der sich exzessiv steigert.
Die Strukturen ähneln
sich bei allen Abhängigkeiten.
Hobbys, Interessen und
Freunde werden vernachlässigt,
das Suchtmittel wird
zum Dreh- und Angelpunkt
aller Handlungen, Gefühle
und Gedanken. Zur seelischen
gesellt sich die körperliche
Abhängigkeit. Extremer Stress
kann die Ursache sein oder es
liegt in den Genen. Sucht betrifft
Millionen Bundesbürger.
Damit alles Hand und Fuß
hat, gibt es für die Gruppenleiter
regelmäßige Schulungen.
Die Schulungsreihe Basiswissen
Sucht wird auch als
„ehrenamtliche Suchtkrankenhelfenden
Ausbildung“
bezeichnet und nach den
Standards des Gesamtverbandes
für Suchthilfe (GVS)
durchgeführt. Dabei geht es
um Entstehung, Verlauf und
Behandlung einer Sucht, um
ihre unterschiedlichen Arten,
um die Partnerschaften und
Familien, um Konflikte und
deren Lösungsmöglichkeiten.
Der eine oder andere findet
seinen Weg in die Selbsthilfegruppe
nach einer Therapie
oder über den Aufenthalt auf
einer Entgiftungsstation, wie
die „geschlossene“ A3 im Lübbecker
Krankenhaus. Da wird
Motto der Gruppe vom Blauen
Kreuz: Menschen stärken Menschen.