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Bis an die ukrainische Grenze

MT-Redakteur Patrick Schwemling hat kurz nach Ausbruch des Krieges einen Hilfskonvoi aus dem Mühlenkreis begleitet. Eine Reise zwischen Distanz und Nähe.

MT-Redakteur Patrick Schwemling (rechts) berichtete live via Instagram und Tagebuch auf MT.de. Foto: pr

Patrick Schwemling

Der Wecker klingelt, es ist 6.30 Uhr und wir schreiben den 4. März 2022. Seit dem Kriegsbeginn sind zu diesem Zeitpunkt acht Tage vergangen und ich werde mich in wenigen Minuten nach Bad Oeynhausen begeben, um einen Hilfskonvoi an die polnisch-ukrainische Grenze zu begleiten. Was erwartet mich da? Wie soll ich mich verhalten? Wird es gefährlich? Kann ich helfen oder nur berichten?

All diese – und noch viele weitere – Fragen schwirrten seinerzeit durch meinen Kopf. Auch zweieinhalb Monate später ist all das, was ich in diesen rund 48 Stunden im März auf meiner Reportage-Reise erlebt habe, noch immer surreal und nicht verarbeitet. Ich erinnere mich noch gut daran, als nur wenige Tage nach meiner Rückkehr über einen Großangriff auf einen Militärstützpunkt nahe Lemberg berichtet wurde. 35 Menschen starben, mehr als 130 wurden verletzt, und ich stand nur etwa 20 Kilometer entfernt an der Grenze. Bei dem Gedanken daran, wie nahe ich einer solchen Gräueltat gekommen war, lief ein eiskalter Schauer meinen Rücken hinunter.

Während der Reportage-Reise hatte ich glücklicherweise nie das Gefühl von Unsicherheit. Das mag an der Tatsache gelegen haben, dass ich mit mehreren Ärzten rund um Dr. Frank Wolter, Intensivpflegern sowie Anhängern voll Medikamenten und medizinischen Hilfsgütern unterwegs war. Es war aber sicherlich auch der Fall, weil ich innerhalb kürzester Zeit ein vollwertiges Mitglied der rund 20-köpfigen Helfergruppe geworden bin. Ich packte mit an, ich navigierte, ich knüpfte Kontakte und organisierte uns über Kontakte in Polen einen gratis Hotelaufenthalt, als eine Übergabe sich wieder einmal zerschlug.

Bilder aus einem Flüchtlingsauffanglager in Mlyny, das direkt am Grenzübergang liegt. MT-Foto: Schwemling

Doch meine Aufgabe war eigentlich eine andere: Ich war hier, um darüber zu berichten, was meine Mitstreiter tun, wer sie sind, warum sie letztlich mit all diesen Hilfsgütern über die Grenze in die Ukraine gefahren sind, um sie dem Militär zu überreichen – und natürlich um zu berichten, wie die Lage unmittelbar an der Grenze aussieht. An dem Ort, an dem im Zwei-Minuten-Takt Busse voller vor dem Krieg geflüchteter Menschen an mir vorbeirollen.

Ich habe berichtet, ich habe versucht Distanz zu wahren. Wir Journalisten sind nämlich nicht die Helfer oder Gönner. Wir sind Beobachter und Berichterstatter. Selten ist es mir schwerer gefallen als auf dieser Reise. Aber wer sich die Herausforderung bewusst macht, hat zumindest die Chance, immer wieder einen Schritt zurückzumachen. Das habe ich im März zumindest versucht.