Redaktionelle Leitlinien und ein eigener Medienombudsmann: Wie das MT die Leser-Blatt-Bindung stärkt

Mit Fakten gegen Fake News: Das Mindener Tageblatt arbeitet nach dem Pressekodex des Deutschen Presserates. Auf lokaler Ebene und in der täglichen Arbeit sind die eigenen Leitlinien häufig praktikabler. © Petr Ciz – stock.adobe.com

„Fake News“, „Mainstream-Medien“, „Lügenpresse“: Journalisten müssen sich aktuell eine Vielzahl an Anfeindungen gefallen lassen. Befeuert durch die Unterstellungen von Populisten und Verschwörungstheoretikern, aber auch durch die jüngsten Skandale, zweifeln immer mehr Menschen die Glaubwürdigkeit und Integrität von Medien und Medienschaffenden an. Das Mindener Tageblatt hat die öffentliche Debatte als Aufhänger genommen und 15 redaktionelle Leitlinien formuliert – als „vertrauensbildende Maßnahme“, aber auch als Richtschnur für den Redaktionsalltag.

„Die Leitlinien sind ein Versprechen an unsere Leser, dass wir unsere Arbeit ernst und nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sie sind ein Ziel, nach dem wir uns strecken“, umreißt MT-Chefredakteur Benjamin Piel die Motivation, die hinter der Entwicklung und Ausarbeitung der Leitlinien steht. Natürlich gebe es den Pressekodex, nach dem alle Medien in der Bundesrepublik arbeiten. Allerdings, so Piel, sei dieser sehr umfangreich, mitunter unüberschaubar und daher für die tägliche Arbeit in der Redaktion ungeeignet.

Eine tägliche Richtschnur und die Grundlage für die Qualitätssicherung, aber kein Gesetz: So wollen der MT-Chefredakteur und sein Team die Leitlinien verstanden wissen. „Bei aller Sorgfalt werden wir weiterhin nicht ohne Fehler auskommen“, räumt Benjamin Piel ein. „Dennoch sollen die Leitlinien im hektischen Redaktionsalltag und bei schwierigen Entscheidungen die notwendige Orientierung geben – ähnlich wie Leitplanken auf kurvigen Straßen den Weg markieren“, führt er aus.

Die Leitlinien des Mindener Tageblatts

  1. Überparteilichkeit
  2. Menschenwürde
  3. Trennung von Bericht und Meinung
  4. Autorisierung von Texten, Bildern und Videos
  5. Sechs-Augen-Prinzip
  6. Bürgerinnen und Bürger der Region stehen im Zentrum
  7. Wahrheitspflicht
  8. Verständlichkeit
  9. Umgang mit Fehlern
  10. Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten
  11. Quellenschutz
  12. Geschenke
  13. Fotos
  14. Berichte über Unfälle und andere Unglücke
  15. Leserbriefe

Die Leitlinien im vollständigen Wortlaut sind online auf MT.de (www.mt.de/lokales/minden/Ein-Einblick-in-unsere-Arbeit-Die-Leitlinien-des-Mindener-Tageblatts-23036507.html) verfügbar.

Bis die 15 Punkte endgültig festgezurrt, ausformuliert und in der zweiten Septemberhälfte bereit für die Veröffentlichung waren, gingen einige Monate ins Land. Während eines mehrstufigen Prozesses nahm das Redaktionsteam die unterschiedlichen Aspekte ihrer Arbeit genau unter die Lupe. „Immer im Sinne der MT-Leser“, unterstreicht der Chefredakteur. „Sie sollen nachvollziehen können, nach welchen Kriterien wir entscheiden.“

Zum Beispiel, wenn es um die Veröffentlichung von Artikeln über lokale Geschehnisse geht. Hier sehen die Redaktionsleitlinien vor, dass nicht Vertreter aus Politik oder Wirtschaft im Zentrum der Berichterstattung stehen, sondern „Bürgerinnen und Bürger der Region“ (Punkt 6). „Das Mindener Tageblatt erzählt anhand lokaler Beispiele, was auf der Landes- und Bundesebene passiert und macht diese dadurch verständlich “, erläutert Benjamin Piel.

Die Menschen der Region stehen im Mittelpunkt

Als „Spiegel der Gesellschaft“ widme sich das MT den Themen, die eben diese bewegen – das, so der Chef-redakteur, beinhalte auch, dass Frauen und Männer ebenso gleichwertig zu Wort kommen wie Gruppen, die sonst eher selten in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten. „Transparenz, Meinungsaustausch und ein kritischer Umgang mit gesellschaftlichen Themen sollen das Ziel der lokaljournalistischen Berichterstattung sein“, fasst Piel zusammen.

Ist die Neutralität der Berichterstattung gefährdet, springt ein Kollege ein. © Christian Schwier – stock.adobe.com

Ebenso wie fast alle anderen Tageszeitungen bekennt sich das Mindener Tageblatt zur Überparteilichkeit (Punkt 1) –und macht dies auch auf der Titelseite deutlich. Trotzdem wird dieser Aspekt häufig infrage gestellt und über eine Nähe zu einer bestimmten Partei spekuliert. „Beim MT gilt die sogenannte ‚Innere Pressefreiheit‘, erläutert Benjamin Piel. „Sie besagt, dass die Redaktion auch über Auffassungen berichtet, die sie selbst nicht teilt – ungeachtet möglicher Beeinflussung aus Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft“. Der Vater einer Redakteurin sitzt für eine Partei im Stadtrat? Die Schwester des Volontärs hat eine Bürgerinitiative gegen den Bau einer Windkraft-Anlage ins Le-ben gerufen? „Sollte die Unvoreingenommenheit aufgrund von familiären Beziehungen gefährdet sein, treten die Kollegen von der Berichterstattung zurück“, unterstreicht Piel. Ebenfalls ein vieldiskutiertes Thema in Redaktionen: Die Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten (Punkt 10).

Inhaltliche Fehler werden umgehend korrigiert

Im MT oder in anderen Verlagsveröffentlichungen sind Anzeigen immer zweifelsfrei als Werbung zu erkennen oder aber mit dem Wort „Anzeige“ gekennzeichnet. Der Grundsatz besagt außerdem, dass die redaktionelle Arbeit weder durch wirtschaftliche Interessen des Verlages noch durch wirtschaftliche Interessen Dritter beeinflusst wird. Demzufolge berichtet die Redaktion über Anzeigenkunden ebenso frei wie über Nicht-Anzeigenkunden. So hätte die lukrative Anzeigenbuchung eines Unternehmens keinerlei Einfluss auf die Berichterstattung – zum Beispiel über den in der Öffentlichkeit umstrittenen Bau einer neuen Produktionshalle. Auf die Unabhängigkeit der Redaktion von den Interessen Dritter bezieht sich auch Redaktionsleitlinie Nummer 12. Sie besagt, dass MT-Redakteure keine Geschenke oder Einladungen annehmen dürfen, die einen Schätzwert von zehn Euro übersteigen. Um eine Beeinflussung der Berichterstattung zu vermeiden, ist auch die Annahme von Vorteilen nichtmonetärer Art tabu.

Mit einigen der 15 Redaktionsleitlinien kommt das Team der MT-Redaktion eher selten in Berührung, andere gehören zum Alltagsgeschäft. Hierzu zählen unter anderem das „Sechs-Augen-Prinzip“ (Punkt 5), demzufolge alle Artikel vom Autor verfasst, von einem anderen Redakteur redigiert und von einem Korrektor gegengelesen werden. Sollte doch einmal ein inhaltlicher Fehler „durchrutschen“, geht die Redaktion damit transparent um und korrigiert diesen so schnell wie möglich (Punkt 9) – in der gedruckten MT-Ausgabe in der Rubrik „So stimmt’s“ oder zeitnah in der Digitalausgabe und mit Hinweis auf die Veränderung.

Sind Leser der Meinung, dass ein Sachverhalt in der Tageszeitung falsch oder unvollständig dargestellt wurde, gibt es verschiedene Wege, mit dem MT in Dialog zu treten. Ob telefonisch, per Mail, über die sozialen Netzwerke oder über einen Leserbrief: Die Redaktion nimmt die Anliegen der Leser und Nutzer ernst. Die Schnittstelle zwischen beiden Seiten bildet seit Anfang November Matthias Kalle. Der in Minden aufgewachsene Journalist ist der erste Medienombudsmann des Mindener Tageblatts.

Medienombudspersonen gehören vor allem in den USA und Großbritannien zum Redaktionsalltag, aber mittlerweile beschäftigen auch immer mehr regionale und lokale Tageszeitungen in Deutschland Ombudsleute als neutrale Vermittler zwischen Leserschaft und Redaktion. Matthias Kalle, so verriet er in einem Interview mit MT-Chefredakteur Benjamin Piel, ist gespannt auf seine Tätigkeit beim Mindener Tageblatt und die Anliegen, mit denen die MT-Leser auf ihn zukommen werden.

Kritischen Stimmen und lebhaften Diskussionen sieht Kalle entspannt entgegen. Bei der Lokalzeitung, so Kalle im Interview, gehe es in erster Linie um das Leben vor der eigenen Haustür. Und da stecke viel Emotion drin. Die Beziehung zur Lokalzeitung sei für viele Menschen eine hochemotionale Sache – mit allen Höhen und Tiefen.

 Matthias Kalle

Bildet die Schnittstelle zwischen Lesern und Redaktion: Der gebürtige Mindener Matthias Kalle. © Jonas Holthaus

■ Jahrgang 1975, geboren und aufgewachsen in Minden. Nach dem Abitur am Besselgymnasium studierte er Journalistik und Kulturwissenschaften an der Universität Leipzig. Kalle arbeitete als Redakteur für das jetzt-Magazin, hat die Zeitschrift Neon mitentwickelt, war Chefredakteur des Berliner Stadtmagazins Zitty und bis März 2020 stellvertretender Chefredakteur des ZEITmagazins.

■ Matthias Kalle veröffentlicht als freier Autor Artikel, Bücher, Podcasts – und berichtet einmal im Monat auf der Leserbriefseite im MT über seine Arbeit als Medienombudsmann.

■ Er ist erreichbar per Mail unter ombudsmann@MT.de