Die letzten Ritter – Schlaraffen mögen den Witz und verehren den Uhu. Wöchentlich treffen sie sichzum eigentümlichen Spiel. Für die Mitglieder des Männerbundes ist es eine Auszeit vom Alltag (#200in365, No.100)

Ein Gast „reitet“ in die Schlaraffen-Burg in der Mindener Pöttcherstraße ein. Die heimischen
Schlaraffen bilden mit kleinen Schwertern ein Willkommensspalier. MT-Foto: Benjamin Piel

Es ist die 1531. Sippung im 356. Reich der Schlaraffia, dem Reych Porta Westfalica. Die Gäste reiten ein in die Burg. Mit kleinen Holzschwertern bilden die Hausherren ein Spalier, durch das die Ritter aus anderen Reichen einziehen bis vor den Thron. Auf dem sitzt Oberschlaraffe Achim Palm und verteilt Besucherorden, die die Gäste an ihren Umhängen befestigen.

So beginnen die Sitzungen („Sippungen“) der Schlaraffen überall. Rund 6.000 von ihnen gibt es in Deutschland, um die 10.000 weltweit. Außer in Deutschland treffen sie sich vor allem in Österreich und der Schweiz.

Wer den Raum in der unteren Etage des Logenhauses in der Mindener Pöttcherstraße betritt, der ist nur noch Schlaraffe, das schätzen die 18 Mitglieder des Männerbundes. Es ist ähnlich wie im Karneval: Wer seine Robe umlegt und seine Kappe („Helm“) aufsetzt, der legt sein Alltagsleben ab. Der soziale Status ist für die Dauer des Ritterspiels vergessen. Das ist zumindest das schlaraffische Ideal. Auch Vor- und Nachname spielen keine Rolle mehr. Jeder hat einen schlaraffischen Namen. Herbert Lehnert beispielsweise kommt ursprünglich aus dem Schwäbischen. Im heimischen Reich wollte er den Namen „Maultäschle“ annehmen. Der war aber schon vergeben. Als er das seiner Frau erzählte, sagte die nur: „Na sowas.“ Seitdem ist er bei den Schlaraffen der „Ritter Nasowas“. Ein leidenschaftlicher Golfspieler heißt „Puttputt“, ein anderer „Frohnatur“.

Entstanden ist der Bund 1859 in Prag. Damals lehnte eine Künstlervereinigung einen jungen Künstler mit dem Verweis ab, dieser sei mittellos. Aus Protest gründeten einige Theaterleute einen Proletarier-Club, der die Gesellschaftselite verschaukelte. Daraus entwickelten sich die Schlaraffen, die den Uhu verehren, weil der ihre Tugenden verkörpere. Warum, das wissen die Männer selbst nicht so genau.

Los geht es mit dem Abendlied: „Das Herz gehört dazu – lulu, lulu.“ Lulu, das ist der schlaraffische Gruß, der an den Abenden alle paar Minuten erschallt. Er steht fürs lateinische „Ludite ludum“ („Spielet das Spiel“). Mit ihrem Spiel wollen die Schlaraffen die Wirklichkeit persiflieren. In scheinbar höchstem Ernst verleihen sie zwar Orden und Titel, doch eigentlich sei das alles „ein Kindergeburtstag für Männer“. So zumindest drücken einige der Ehefrauen aus, was ihre Männer da treiben. Mal duellieren sie sich mit Gedichten, mal mit Musik, immer soll der Humor im Mittelpunkt stehen. Wer gegen eine der vielen Regeln verstößt, muss auf dem Schandross eine Strafe absitzen. Wer dagegen einen humorigen Beitrag leistet, wird mit einem Schnaps belohnt. Wie aber passen starre Regeln und freies Spiel zusammen? Ein Schlaraffe müsse die Regeln „100-prozentig beherrschen, um sie dann umgehen, aushebeln und damit spielen zu können“, antwortet Palm. Und: „Wir spielen wie die Kinder.“ Ein anderer empfindet die Sitzungen als „Kurzurlaub für den Geist“. Außerdem lerne, wer in die Bütt („Rostra“) gehe, vor Menschen zu sprechen und ein Thema zu präsentieren.

Ein paar Tabus haben die Schlaraffen bei allem Spielerischen aber doch: Zotig darf es nicht zugehen, Religion, Politik und Geschäftliches sollen innerhalb der Burgmauern keine Rolle spielen. Kunst, Humor und Freundschaft dagegen schon, erläutert Oberschlaraffe Palm. „Eine kleine Macke schadet nicht“, nennt er eine der wichtigsten Voraussetzungen. Was die Schlaraffen vereint, ist ihr Interesse an Literatur, Lyrik und Musik. Damit ausgestattet machen sie sich gemeinsam auf, um vom Pilger zum Knappen, zum Junker und schließlich zum Ritter erhoben zu werden.

Dass der Besucher ratlos in dieser Spielwelt, deren niveauvollem Schwachsinn und zwischen den wappenbehangenen Wänden steht, kann der frühere Journalist verstehen, denn: „Niemand kann die Schlaraffia erklären, man muss es erleben.“ Einerseits ist erwünscht, dass die Männer nicht in die Öffentlichkeit drängen. Inzwischen macht das aber auch Probleme. Denn jüngere Männer haben offenbar weniger Lust, einen zweistündigen Abend pro Woche ritterlich zu verbringen. Alle Mitglieder sind über 50. Und so könnten die letzten am Ende zu den allerletzten Rittern werden.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur

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