Die kleinste Tageszeitung Deutschlands

Das Internet setzt manchen Zeitungen heftig zu. Einige verschwinden ganz vom Markt, andere verschmelzen mit der Konkurrenz. Eine kleine Zeitung in der Rhön hingegen trotzt allen Übernahmeangeboten – sie ist die kleinste Tageszeitung Deutschlands.

Volker Gunzenheimer hat viele Berufe: Er ist Redakteur, Fotograf, Anzeigenverkäufer, Drucker und Besitzer eines Schreibwarenladens. Das Multitalent ist in dritter Generation Herausgeber und Verleger der kleinsten Tageszeitung Deutschlands, der “Ostheimer Zeitung”. Sie hat mit gut 800 Exemplaren dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) zufolge die geringste Auflage in Deutschland.

Die Ostheimer Zeitung hat auch eine Internetpräsenz. Aktuelleste dort verfügbare Ausgabe war am 9. März die Ausgabe vom 7. Februar. Repro: MT

Zum Vergleich: Die auflagenstärkste unter den 252 regionalen Tageszeitungen ist nach BDZV-Angaben von 2011 die “Westdeutsche Allgemeine Zeitung” mit einer täglichen Auflage von 776 505 verkauften Exemplaren. Die zweitkleinste Zeitung kommt von der Insel Borkum in Ostfriesland.

Gerade hat Gunzenheimer den Text über eine Jahreshauptversammlung geschrieben und das Foto dazu herausgesucht, nun wirft er die Druckmaschine an. Das Farbwerk rattert, als das Telefon klingelt: Ein Handwerker möchte eine Anzeige schalten. Gunzenheimer reserviert dafür Platz im Blatt.

1910 übernahm sein Großvater die “Ostheimer Zeitung”. Damals wie heute erscheint sie montags, mittwochs und freitags. Unterstützt wird der Verleger von seiner Frau und seinen zwei Kindern. Der Neffe hilft beim Drucken der Exemplare, zwei freie Mitarbeiter liefern Texte, zwölf Austräger bringen die Zeitung zu den Lesern. “Die Familie ist beisammen, das macht uns so günstig”, sagt Gunzenheimer, der seit 1981 den gleichnamigen Verlag leitet.

Wolfgang Sporck, Neffe des Verkegers und Alleinredakteurs Volker Gunzenheimer, beim Platteneinspannen an der Heidelberger MO-E. Foto: Volker Gunzenheimer

Redaktion, Vertrieb, Anzeigenannahme, Druckerei – alles läuft im Wohnhaus. Wenn am Abend die Polizei noch einen Unfall meldet, kann Gunzenheimer die Treppe hinunter steigen und schnell die Ausgabe aktualisieren. Das funktioniert nur, weil die “Ostheimer Zeitung” eigentlich eine Mittagszeitung ist: Gedruckt wird am Erscheinungstag um 6.30 Uhr, bis 9.00 Uhr wird ausgeliefert. “Wir sind in den meisten Haushalten die Zweitzeitung”, sagt der Kleinverleger.

Durchschnittlich 813 Exemplare der “Ostheimer Zeitung” sind im vierten Quartal 2011 verkauft worden, 740 davon im Abonnement. Zu etwa einem Drittel trage die Zeitung zum Geschäft des Verlags bei, in dem auch Visitenkarten, Werbebroschüren und Kataloge gedruckt werden, erklärt Gunzenheimer.

“Diese Zeitung ist quasi ein Beiprodukt”, sagt Martin Welker, Professor für Journalistik an der Universität Leipzig, und zieht Vergleiche zur Renaissance. Damals hätten Drucker Flugblätter herausgegeben, um ihre Pressen besser auszulasten. Die Personalunion von Verleger, Redakteur und Anzeigenleiter sieht der Wissenschaftler jedoch kritisch. Wenn Werbung und redaktioneller Inhalt nicht klar getrennt seien, leide die publizistische Qualität.

Gunzenheimer selbst nennt seine Berichterstattung “vorsichtig”. Nur “was spruchreif ist”, werde veröffentlicht, denn er pflege einen guten Draht zum Bürgermeister und den Vereinen. Sechs der zwölf Zeitungsseiten werden im Verlag erstellt, die überregionalen Nachrichten liefert die “Saale-Zeitung” aus Bad Kissingen, die wiederum zur Mediengruppe Oberfranken gehört und aus Bamberg den Mantelteil erhält.

90 Cent kostet ein Exemplar, am Freitag 1,10 Euro. “Reich wird man dadurch nicht”, sagt der gelernte Schriftsetzer und journalistische Autodidakt. Der Preis ist in etwa so konstant geblieben wie das konservative Erscheinungsbild der Zeitung. Bis auf die Werbeanzeige eines Lebensmittelhändlers sind die Seiten schwarz-weiß und thematisch gemischt. Fußballergebnisse finden sich neben Gedichten, dem Fortsetzungsroman und amtlichen Bekanntmachungen.

Das Innere des Verlagshauses hat etwas von einem Zeitungsmuseum: Bleisatzkästen, zwei Druckmaschinen und eine Falzmaschine aus den 60er-Jahren stehen in der kleinen hellen Druckerei mit der großen Fensterfront. Es riecht nach Schmieröl, Papier und Druckerschwärze. An den Wänden hängen Bilder von Johannes Gutenberg und von Gunzenheimers Großvater Reinhold Werner, der 1910 aus der Buchstadt Leipzig nach Ostheim zog.

Nach dem Krieg gab es in Deutschland viele dieser kleinen Tageszeitungen. Nach BDZV-Angaben sind von einst 429 nur 252 regionale Abo-Zeitungen geblieben. Die übrigen wurden aufgekauft oder verdrängt. Die Gunzenheimers haben sich diesem Trend bislang widersetzt. “Wir sind hier so etwas wie Gallien in den Asterix-Filmen”, sagt der Verlagschef. Vor ein paar Jahren habe es zwar Gespräche mit einer großen Nachbarzeitung gegeben, aber “wir wollen die Zeitung unbedingt im Familienbesitz halten”.

Quelle: DPA

Internetseite Ostheimer Zeitung

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