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Dieter Fechner ist 81 Jahre alt und vermutlich der älteste praktizierende Rechtsanwalt Mindens. Warum macht er auch nach einem zweiten Schlaganfall weiter? (#200in365, No. 122)

Auch mit 81 Jahren empfängt Rechtsanwalt Dieter Fechner noch Mandanten in seinem Haus in Todtenhausen: „Da habe ich noch was zu erleben.“ Foto: MT-Archiv/Alex Lehn

Wer Dieter Fechner zum ersten Mal in seinem Arbeitszimmer besucht, ist zunächst irritiert. Der Rechtsanwalt sitzt in einem Stuhl und kann sich zur Begrüßung kaum erheben. Überhaupt sitzt er da etwas zusammengesunken, vor ihm liegen Akten. Zwei Schlaganfälle haben seine Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt. Doch wenn der 81-Jährige zu sprechen beginnt, wird klar: Sein Körper hat schlappgemacht, aber der Geist ist hellwach. „Tempora mutantur, nos et mutamur in illis“, sagt er („Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen“), während seine Mitarbeiterin Dokumente in einen Ordner einheftet.

Es ist Fechners Wachheit zu verdanken, dass der frühere Strafrichter und stellvertretende Direktor des Mindener Amtsgerichts noch immer Mandanten in seinem Haus in Todtenhausen empfängt. 30 bis 40 seien es im Moment. „Da habe ich noch was zu erleben“, sagt er und: „Ich möchte unter Leuten sein.“ Selbst einen Mörder hat er mit damals 77 Jahren noch verteidigt. Der Afghane hatte in Minden seine Frau erstochen. Die meisten seiner Mandanten finden ihn im Telefonbuch oder per Empfehlung.

Dass es der gebürtige Magdeburger eines Tages zum Richter schaffen würde, war lange Zeit nicht absehbar. Seine Lehrer hätten vermutlich eher getippt, er würde eine Zukunft in der Gosse verbringen. Er schwänzte die Schule und klaute kostbare Bücher seines Großvaters, um sie in Antiquariaten zu verkaufen. In Potsdam besuchte der als schwer erziehbar Geltende sechs Schulen und landete schließlich im Zivilwaisenhaus. Anschließend lehnte ihn die Oberschule wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ ab. Und das, obwohl er zuvor Klassenbester gewesen war. Nachdem seine Mutter mit ihm in den Westen übergesiedelt war – „wir sind mit der SBahn zum Flughafen gefahren und ins Flugzeug gestiegen“ –, nahm ihn das Schülerheim in Bethel auf. Die älteren „Vormänner“ schikanierten die jüngeren Schüler. Es war unter anderem diese Ungerechtigkeit, die ihn motivieren sollte, als Richter zu arbeiten. „Zu wissen, wie es in so einem Heim zugeht, hat mir geholfen.“

Bis 2002 übte der vierfache Vater den „schönsten Beruf der Welt“ aus. Niemand rede einem Richter in die Arbeit hinein, die Freiheit sei „grenzenlos“. Deshalb habe er auch das Angebot abgelehnt, Amtsgerichtsdirektor zu werden, denn „den ganzen Verwaltungskram wollte ich nicht machen“. Stattdessen brachte er lieber ein bisschen Humor in den Gerichtssaal, verfasste auch mal ein Urteil in Reimform, erzählt er. Es war also kein Zufall, dass er schließlich beim Kabarett landete, viele Jahre bei den Mindener Stichlingen mitspielte und noch heute launige Texte schreibt: „Wenn mir gerade etwas einfällt.“

Von Benjamin Piel, Chefredakteur

Drei Fragen an … Dr. Michael Kühne, Gemeinschaftspraxis Kutenhausen – „Es gibt viel Steifheit in den Köpfen“ (#200in365, No.121)

Dr. Michael Kühne meint, Ärzte müssten bereit sein, neue Wege zu gehen.

Viele Hausärzte klagen, dass sie keine Kollegen als Mitarbeiter und Nachfolger finden. In der Hausärztlichen Gemeinschaftspraxis in Kutenhausen arbeiten neben Dr. Michael Kühne, seiner Frau und Tochter elf weitere Ärztinnen und Ärzte. An einem Mangel an Mitarbeitern habe er nie gelitten.

Sie sagen, Sie hätten keine Mühe, ärztliche Mitarbeiter zu finden. Warum nicht?

Wer eine Praxis hat, ist auch Unternehmer. Viele Kollegen denken aber nicht unternehmerisch. Es gibt nicht wenige, die bis heute mit Karteikarten in Papierform arbeiten, wir haben längst digitalisiert. Das bringt große Vorteile. Es gibt neue Wege und die muss man gehen.

Für Personal sorgt das aber auch nicht. Welche Wege sind Sie da gegangen?

70 Prozent der Absolventen des Medizinstudiums sind Frauen. Das bringt Herausforderungen mit sich. Eigentlich bräuchte es eine Männerquote, aber das nur nebenbei. Viele Ärztinnen werden nicht dort abgeholt, wo sie stehen. Als Mütter können sie oft nicht in Vollzeit arbeiten. Viele Kollegen sagen: „Entweder Vollzeit oder es geht nicht.“ Ich lasse Kolleginnen auch nur am Vormittag arbeiten. Die Teilzeit macht den Dienstplan komplizierter. Aber die Ärztin kann einsteigen und irgendwann wird sie länger arbeiten.

Wäre das Konzept übertragbar?

Ja. Wenn jemand sagt, dass etwas nicht geht, dann zeige ich ihm, dass es geht. Es stimmt ja, dass die Bürokratie Ärzten das Leben schwer macht. Aber es gibt eben auch viel Steifheit in den Köpfen.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur

Drei Fragen an … Katharina Walckhoff, Gemeinwohl-Ökonomie Minden „Ich will kleine Wirbel der Ideen erzeugen“ (#200in365, No.120)

Katharina Walckhoff ist Systemische Familientherapeutin

Katharina Walckhoff spricht von einer „Honigschleuder der Ideen“, die sie mit ihrer Initiative Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) Minden/Lübbecke sein will. Mehr Tausch, weniger Müll, mehr Miteinander, weniger Ausgrenzung – das sind nur einige Ziele der Familientherapeutin. Sie will aus Minden eine Vorreiter-Stadt in Sachen Nachhaltigkeit machen.

Nachhaltigkeitswochen, Wandeltage, Essbare Region – ist das nicht etwas viel?

Mir geht es darum, kleine Wirbel der Ideen zu erzeugen. Minden hat das Zeug dazu, sich für eine enkeltaugliche Zukunft aufzustellen und zur Gemeinwohlkommune zu werden. Wir pusten Ideen raus, die dann irgendwo Wurzeln schlagen – etwa ein Unverpacktladen.

Klingt das nicht reichlich utopisch?

Wie wäre es mit: einfach mal anfangen! Der Bürgerkonvent GWÖ-Wirtschaft am 6. April ist eine Premiere in NRW. Darauf bin ich schon ein bisschen stolz.

Was passiert dort?

Wirtschaftswachstum, das auf begrenzte Ressourcen angewiesen ist, hat keine Zukunft. Wir müssen Wirtschaft und Wachstum ganz neu denken. Wirtschaftliches Handeln muss sich an Werten wie Solidarität und Gerechtigkeit orientieren. Nur so können nachfolgende Generationen eine gute Lebensgrundlage für sich vorfinden. Zwei Fragen stehen im Zentrum des Konvents: Was brauchen wir wirklich, um glücklich zu sein? Und wie wollen wir in Zukunft wirtschaften und handeln? Wir wollen uns in Minden auf die Suche nach Antworten machen.

Von Benjamin Piel, Chefredakteur