Author Archives: Monika Jäger

Nicht nur für Pressewarte interessant: Leser und MT-Lokalredaktion im Gespräch

Für Pressefreiheit interessierten sich die Teilnehmer bei einer international besetzten Gesprächsrunde im vergangenen Sommer besonders. Die jungen Leute, die für vier Wochen an einem Austauschprogramm in der Region teil nahmen, waren auch fasziniert von den Unterschieden zwischen Informationen im Internet, Radio und Fernsehen und der gedruckten Tageszeitung. MT-Foto. Alex Lehn (Archiv).

Jeden Tag melden sich Leserinnen und Leser in der Redaktion und fragen: Danach, warum Fehler und Tippfehler in der Zeitung sind, wieso ein Foto nicht gedruckt wurde, warum die Redaktion nicht über bestimmte Themen schreibt oder warum sie über andere Themen – zumindest für den Geschmack des Fragenden – zuviel schreibt. Dahinter stecken sehr grundsätzliche Fragen: Wer bestimmt, was in der Zeitung steht? Wem gehören eigentlich die lokalen Medien vor Ort? Und wie kann ein ehrenamtlicher Pressesprecher dafür sorgen, dass sein Verein in der Zeitung steht?

Zwei- bis dreimal im Jahr lädt die MT-Lokalredaktion ihre Leserinnen und Leser daher zu gemeinsamen Gesprächen und einem Besuch hinter den Kulissen den Zeitungsmachens ein. Der nächste Termin ist Samstag, 14. April, 10.30 Uhr, im Konferenzraum der Lokalredaktion an der Obermarktstraße in Minden. Die Ressortleiterin Lokales, Monika Jäger, und ihr Stellvertreter Henning Wandel stehen dann als Gesprächspartner für alle redaktionellen Themen, die die Leser interessieren, zur Verfügung. Verlagsrepräsentantin Irene Weiland ist für alle Fragen rund um die Zustellung und den Service dabei.

Es gibt an diesem Vormittag viele Informationen, zum Beispiel Grundsätzliches über die Kanäle des Mindener Tageblatts in Print und Online,oder dazu, was der Unterschied einer Nachricht in verschiedenen „Kanälen“ wie der gedruckten Zeitung, im Radio, Fernsehen oder Internet ist. Zusammengefasst wird auch dargestellt, was alles in eine Pressemitteilung gehört und wie ein geeignetes Foto gestaltet sein sollte.

Bei den bisherigen Veranstaltungen gab es aber auch immer wieder angeregte Diskussionen über die allgemeine Bedeutung von lokalen und weltweiten Nachrichten oder darüber, was aus Sicht der Telnehmenden in die Zeitung gehört und was nicht. Übrigens: Die wohl am häufigsten gestellte Frage ist: „Liest denn bei Ihnen keiner Korrektur?“ (Die Antwort: Doch, Artikel werden sogar mehrfach gecheckt), eine immer wieder zu hörende Klage: „Der von mir eingesendete Text ist nicht sofort und dann auch noch verändert erschienen.“ (Auch dazu gibt es Antworten und Hintergründe). Wer wissen möchte, wie eigentlich aktuelle Nachrichten aus den USA, von Olympischen Spielen oder Champion’s-League-Spielen in die Lokalzeitung kommen, wieviele Männer und Frauen in der MT-Redaktion arbeiten und wie sich so eine Zeitung eigentlich finanziert, auch der ist bei dieser Veranstaltung genau richtig. Sie richtet sich an alle Leserinnen und Leser, darunter auch ehrenamtliche Pressesprecher der heimischen Organisationen und Vereine, .

Worüber in den rund zwei Stunden genau geredet wird, hängt von den Interessen der Teilnehmenden ab. „Viel mehr Menschen als früher bewegt inzwischen beispielsweise die Frage, ob Medien wirklich alles berichten, und ob und wie das Gebot der Objektivität tatsächlich eingehalten wird“, sagt Lokalchefin Monika Jäger. Spürbar sei eine Verunsicherung, die möglicherweise durch Diskussionen um „Fake News“ entstanden ist, oder auch durch das Bewusstsein, wie sehr Informationen in den sozialen Medien tatsächlich personalisiert sind.

Der Redaktion sind diese Gespräche vor allem wichtig, um zu erfahren, was die Leser wollen. „Darum freuen wir uns, wenn kritische – und natürlich gerne auch begeisterte – Leserinnen und Leser zu uns kommen, mit uns diskutieren und uns den Spiegel vorhalten.“

Termin: Samstag, 14. April, 10.30 bis zirka 12.30 Uhr, MT-Redaktion, Obermarktstraße. Die Teilnahme ist kostenlos, Anmeldung bei MT-Service, Vanessa Schmökel, Telefon (05 71) 88 21 45, oder per E-Mail an service@mt.de, Stichwort: Lesergespräch. Bitte eine Telefonnummer oder eine E-Mail Adresse für die Bestätigung angeben.

Misstrauische, Anwälte, Wutbürger: Zu Reaktionen auf die MT-Berichte über eine Vergewaltigung

Die MT-Berichterstattung über die Vergewaltigung einer 16-jährigen hat zahlreiche Reaktionen ausgelöst. Beschimpfungen, Verdächtigungen und Unterstellungen sind in Fällen wie diesem inzwischen Alltag für die Redaktion. Repros: MT

Die Nachricht ist schrecklich: Eine 16 jährige junge Frau wird am helllichten Tag mitten in der Stadt überfallen, in einen Keller gezerrt, vergewaltigt. Das Verbrechen wühlt alle auf, die davon lesen oder hören. Es ist spät am Samstagnachmittag. Der Pressesprecher der Polizei teilt mit, dass der Tatverdächtige verhaftet ist.  Und er bittet darum, mit der Veröffentlichung zu warten, bis die im Umgang mit traumatisierten Opfern geschulten Fachkräfte mit der Familie und dem Mädchen gesprochen haben. Sie sollen darauf vorbereitet werden, dass die Vergewaltigung öffentlich gemacht wird. Das jedoch geht erst am Montagmorgen.

Die Kolleginnen in der Redaktion diskutieren nur kurz. Es ist für uns klar, dass die 16-Jährige nicht zum zweiten Mal zum Opfer werden soll. Wenn es hilft, mit der Publikation zu warten, dann wird gewartet. Auch das gehört  zur journalistischen Verantwortung. Der Täter ist gefasst, also muss die Öffentlichkeit nicht gewarnt werden. Darum veröffentlichen wir den Bericht erst am Montag, nachdem die Opferschützer bei der Familie waren.

Jetzt geht es los”, sagt die Kollegin, die an diesem Tag die Social Media des MT betreut, nachdem sie die Information auf Facebook gepostet hat. Die Reaktionen und Kommentare sind wie immer absehbar, aber darum nicht weniger problematisch. Da gibt es die “Schwanz ab” und “lyncht ihn” – Truppe, die “typisch Flüchtling” und “alle einsperren” – Fraktion. Die, die fordern, alle Einwanderer sollten zwangskastriert werden. Reaktionen von Menschen, denen das Leid des Opfers völlig egal ist, für die dieses konkrete Verbrechen nur eine eifrig ergriffene Gelegenheit ist, eine Plattform, auf der sie ihre Hass-Gedanken ausschütten können.

Dann sind da die Misstrauischen, die sich an der Art der Veröffentlichung abarbeiten. Hat das MT die Wahl beeinflussen wollen? Wie, fragt man sich, hätte das funktioniert? Hätten viel mehr Menschen – wenn sie nur von dem Verbrechen gewusst hätten – die AfD gewählt oder sich nicht für die SPD entschieden? Diese Vermutung sagt viel darüber aus, für wie undifferenziert hier die Wähler gehalten werden. Ändert wirklich jemand wegen eines schrecklichen Verbrechens in seiner Stadt grundsätzlich seine politische Meinung? Zumal an diesem Wochenende kaum Fakten über die Tat bekannt sind.

Viel mehr noch enthüllen diese Gedanken das Weltbild derer, die sie äußern: Sie sehen diese Tat nicht als die eines Einzelnen, sondern als vermeintlich typisch für eine ganze Gruppe von Personen, die Geflüchteten, oder vielleicht die Ausländer. Oder vielleicht auch die Menschen aus Afrika mit anderer Hautfarbe als die meisten derer, die hier wohnen. Aber genau das sind rassistische Gedanken: Verurteilung einer ganze Gruppe aufgrund körperlicher Merkmale.

“Passt doch in das Gesamtbild:  Afrikaner, Köln, antanzen und so”, sagt im Verlauf der weiteren Recherchen auch eine MT-Kollegin. Ja, vielleicht werden das die Ermittlungen ergeben. Allerdings werden im Zusammenhang mit den Vorkommnissen auf der Kölner Domplatte vor allem Nordafrikaner als Täter genannt. Andererseits: Als im vergangenen Jahr eine Frau auf der Opferstraße angegriffen wurde, waren die Täter ebenfalls Afrikaner. Unser Gehirn ist so gestrickt, dass es Muster sucht. Ob hier ein Muster ist? Das werden die Fachleute bei der Polizei einschätzen können  – und wir als Redakteurinnen werden sie danach fragen. Wer das ganz sicher nicht einschätzen kann: All die Kommentatoren, die auf Facebook seit Montagmorgen “Ausländer raus” in allen Facetten fordern.

Manche beschweren sich auch darüber, dass es ein Plus-Inhalt ist. So eine aus ihrer Sicht wichtige Nachricht müsse doch frei zugänglich für alle sein, finden sie. “Typisch MT”, “manipulativ” – das sei wohl so, damit vermeintlich unliebsame Nachrichten nicht an die Öffentlichkeit gelangen, wird vermutet. Manchmal verbinden sich diese Verdächtigungen auch mit denen über den Zeitpunkt der Veröffentlichung.  Dass das MT inzwischen seit Jahren  eine Paywall hat und Nicht-Abonnenten für Nachrichten zahlen müssen, übersehen diese Verschwörungstheoretiker geflissentlich. Zur Bestätigung nennen sie auch Beispiele von Medienhäusern, wo das anders sei  – Beispiele, die nicht stimmen.

Wie kann man über dieses Verbrechen schreiben, ohne in den Köpfen der Leser Bilder von der Tat zu erzeugen? Ohne das Opfer in den Mittelpunkt zu stellen, ohne sein Leid publizistisch auszuschlachten? Die Redaktion entscheidet sich für die Einbettung in einige nüchterne Informationen aus der Polizeistatistik. Und ruft damit jene auf den Plan, die sich als Anwalt des Opfers gegen die Presse verstehen. Damit sei das Leid dieses einen Mädchens negiert worden, wird später ein Leser schreiben. Die Redaktion solle sich bei der Familie entschuldigen. Ein anderer ruft an: “Manipulation” sei das. Ein dritter schreibt gar “linksgrün versiffte Lumpenpresse – was soll die relativierende Statistik in diesem Artikel, hä????”  Das ist schnell erklärt: Vergewaltigungen nach einem Überfall sind vergleichsweise selten. Diese Information ist zur Einordnung der Tat in diesem Kontext relevant. Sie relativiert nicht das Leid des Opfers. In den Abwägungen der Redaktion hat auch hier der Opferschutz eine übergeordnete Bedeutung.

Besonders in diesem  Fall reden wir viel miteinander, wägen ab. Auch, um unsere eigenen Vorurteile und Fehleinschätzungen zu sehen. Und uns nicht von Emotionen bei der Recherche leiten zu lassen. Denn wenn wir von einem Verbrechen wie diesem hören, reagieren wir wie jeder andere erst einmal emotional. Es bewegt uns, verunsichert uns, macht uns besorgt; ängstlich, durch die Stadt zu gehen, wütend, dass es  – von wem auch immer – nicht verhindert wurde. Wir suchen Muster, Schuldige, Versäumnisse. Wie jeder andere auch. Aber dann recherchieren wir Fakten. Als Profis und Journalisten.

Im Laufe der Recherchen wird die Redaktion enthüllen, dass der Täter schon den ganzen Tag über als Randalierer aufgefallen war, dass Polizisten mehrfach Kontakt mit ihm hatten, ihn beispielsweise aus der Stadtverwaltung wiesen. Dass er Nachbarinnen aufgefallen war, die mitbekamen, wie er Frauen in der Gasse belästigte. Wir recherchieren weiter. Denn für uns Journalistinnen ist der Auftrag, sachlich und entlang von Fakten zu arbeiten.

Und genau das tun wir.

Von Monika Jäger, Leiterin der Lokalredaktion

Leser fragen: Angeregte Diskussionen an einem Samstagvormittag

“Dümmer wird man ja nicht, wenn man sich informiert”: Vor allem politisch und gesellschaftlich interessiert waren die zwölf Leserinnen und Leser, die sich jetzt an einem Samstagvormittag im Spätfrühling beim Mindener Tageblatt einfanden. Zweieinhalb Stunden diskutierten sie über Fake News und Facebook, über den Unterschied zwischen gedruckten  Zeitungen und E-Paper, und auch darüber, warum Vereinsberichte längst nicht mehr für alle Leser wichtig sind. Gemeinsam mit MT-Verlagsrepräsentantin Irene Weiland,   die über alle Fragen rund um den Vertrieb und das Abonnement Auskunft geben konnte,   stand Monika Jäger, Ressortleiterin der Lokalredaktion, den Lesern als Gesprächspartnerin zur Verfügung.

Dabei ging es zum einen um Grundsätzliches: Wo kommen eigentlich die überregionalen  Nachrichten her, und was genau ist die “Deutsche Presse-Agentur”?  Arbeiten die Männer und Frauen, die Kommentare schreiben, auch alle beim MT? Wie ist das mit den Leserbriefen  – werden alle abgedruckt, oder sucht die Redaktion die Gedruckten aus? Wer entscheidet, was im Lokalteil auf welcher Seite steht? Gibt es auch Berichte und Themen, die nie im MT erscheinen?

In der Gruppe waren viele, die leidenschaftliche Nutzer des gedruckten MT sind – aber auch einige, die nur noch das E-Paper auf ihrem Tablet lesen. Einig waren sich beide Gruppen, dass es gut ist, “ihre” Zeitung auf vielen verschiedenen Plattformen nutzen zu können. Warum Beilagen und Werbung wichtig sind, und was Ebay und Immo24 mit der Zeitung zu tun haben, waren weitere Aspekte des facettenreichen Vormittags.

Und am Ende  stand eine Einladung: Eine Teilnehmerin bedauerte, dass zu wenig Plattdeutsch in der Zeitung steht. Jetzt wird sie als Gastkommentatorin eingeladen und soll ab und zu auf Plattdeutsch montags auf Seite 2 schreiben.

Im Herbst wird ein weiteres Leserseminar angeboten. Anmeldung dazu unter Telefon (0571) 882-145, E-Mail: service@mt.de,  Termin: Samstag, 16. September, 10 bis 12.30 Uhr.