Freischießen im Selbstversuch: Hoch zu Pferde durch die Stadt

Für MT-Redakteur Henning Wandel ist der Ritt durch die Altstadt-Gassen ein echtes Erlebnis. (Foto: Susann Lewerenz/Pressestelle Stadt Minden)

Minden (mt). Meine Kumpel Clemens und Pims sind ja schon vom Namen her bodenständig. Westfalen eben. Oder Oldenburger. Und mit ihrem braunen Fell sind die beiden Pferde zwar hübsche Kerle, aber eben auch eher unauffällig. Beim großen Ausritt mit der Eskadron wären sie also genau richtig, um das Projekt „Reiten lernen für das Freischießen“ zu einem guten Abschluss zu bringen. Aber Clemens und Pims stehen gemütlich in ihrem Stall in Friedewalde – auf mich wartet Andaluz. Das klingt schon nach spanischem Temperament, ein Hingucker ist der Fliegenschimmel noch dazu. Und weil die Eskadron mit Klaus Langenkämper in diesem Jahr auch noch den lang ersehnten ersten König stellt, sind Andaluz und ich auf dem Weg durch die Mindener Innenstadt auch noch ganz schön weit vorne in der Paradeaufstellung. Ein Rückzieher kommt jetzt natürlich nicht mehr in Frage. Also: Rücken gerade, Hacken tief, los gehts.

Auch nach einem guten Dutzend Reitstunden beim Rittmeister Dieter Thäsler ist der Samstag des Freischießens eine Feuertaufe. Allein die Nerven im Griff zu behalten ist schon eine Herausforderung. Vom Einzelunterricht in der Halle war es schon ein großer Schritt, gemeinsam mit der Mindener Bürger-Eskadron zu üben und die aufmerksamen Blicke von der Bande zu spüren. Jetzt werden Tausende erwartet, die den Zugweg vom Simeonsplatz bis zum Markt säumen. Zweieinhalb Stunden im Sattel – zur Sicherheit gibt es zum Frühstück daher nur einen kleinen Kaffee, austreten geht schließlich nicht. Ansprechen sollte mich an diesem Morgen besser niemand. Später, auf dem Wasserübungsplatz der Mindener Pioniere, der am Freischießen-Wochenende zum Sattelplatz wird, gibt es aus allen Richtungen aufmunternde Worte oder einen kurzen Schulterklopfer. Die Stimmung ist erwartungsvoll aber gelöst, in einem Zelt gibt es noch ein schnelles zweites Frühstück. Für mich fällt das aus, schon die Scheibe Toast zuhause wollte nicht so recht runter. Und auch der ein oder andere erfahrene Reiter kann die Anspannung nicht völlig verstecken.

Das gilt leider auch für meinen Andaluz. Nach der langen Fahrt von Krefeld an die Weser möchte er nicht einfach rumstehen. Beim Nachgurten und dem Einstellen der Steigbügel sitze ich zwar schon im Sattel, der Wallach ist trotzdem ständig in Bewegung, was nicht gerade zur eigenen Beruhigung beiträgt. Eine junge Frau, die den Tross vom Niederrhein begleitet, weicht mir auf den ersten Metern auf dem Wasserplatz und vorbei am Sommerbad nicht von der Seite. Die Betreuung hat Erfolg: Kurz hinter der Kreuzung zum Simeonsglacis haben Pferd und Reiter sich merklich beruhigt und die Pferdepflegerin lässt die Zügel los. „Wenn was ist, sag Bescheid“, ruft sie und verschwindet aus meinem Blickfeld. Andaluz und ich sind jetzt offenbar in der Spur.

Bis ich meine Umgebung tatsächlich wahrnehmen kann, dauert es trotzdem noch ein wenig, dabei hilft auch das Gespräch mit meinem Nebenmann Marc Pohlmann. Die erste Schleife auf dem Weg zum Simeonsplatz vergeht wie im Flug, unter den Bäumen der Rodenbecker Straße beginne ich langsam, den Moment zu genießen. Auch ein flüchtiger, vom Laub fast verdeckter Blick vom Schwichowwall auf den Platz jenseits der Bastau ändert daran nichts. Ja, da sind Menschen. Wie viele dort aber wirklich warten, wird mir erst klar, als wir am Dreiecksplatz um die Kurve biegen. Das Bild, das sich hier bietet, ist beeindruckend: Das gesamte Bürgerbataillon ist im großen Karree angetreten, jede Kompanie hat Gäste und Musikgruppen im Gefolge – insgesamt sind es mehr als tausend Menschen, die gleich mit uns die Parade bilden. Drumherum noch einmal ungezählte Zuschauer. Aus der erhöhten Perspektive kann ich nicht nur die erste Reihe sehen, sondern praktisch alle, die sich bei bestem Wetter hier eingefunden haben.

Der Anblick lässt mir den Atem stocken. Auch der Rappe vor mir scheint sich anstecken zu lassen und steigt mit den Vorderbeinen in die Höhe. Während Kai-Uwe Langenkämper im Sattel die Situation souverän meistert, beschwöre ich Andaluz ganz leise, sich bitte – bitte – nicht mitreißen zu lassen. In dem Moment verstehe ich, warum ich die Sporen ablegen musste – womöglich hätte sonst auch Andaluz einen Rappel gekriegt. Dabei hatte ich sie beim Empfang der Eskadron gerade erst feierlich verliehen bekommen, meine Sporen also sprichwörtlich verdient. Sofort am Freitagmorgen habe ich sie an die Stiefel geschnallt. Gleich nach einem letzten, ausgiebigen Schuhputz. Das Gesamtbild sollte ja möglichst gut sein.

Etwa 20 Minuten müssen wir auf dem Simeonsplatz ausharren, bis die Könige gekrönt sind und die Parade abgenommen ist. Was dann kommt, übertrifft alles, was ich mir vorgestellt habe. Auf beiden Seiten säumen Zuschauer den Zugweg, das Geräusch der Hufe auf dem historischen Pflaster ist wie eine Zeitreise. Und mit jedem Meter, den wir uns in Richtung Obere Altstadt bewegen, nimmt die Zahl der Menschen zu, die mit Fähnchen winken und uns Blumen zustecken, die dann im Stiefelschaft wie Trophäen durch die Stadt getragen werden und diesen Platz auch den Rest des Tages behalten – als Erinnerung an den Ausritt.

„Wer einmal durch die Stadt geritten ist, geht nie mehr zu Fuß“ – in der Eskadron ein geflügeltes Wort, dass ich schon vor meiner ersten Reitstunde gehört habe. Verstanden habe ich den Satz erst, als wir den Scharn und den Markt hinter uns haben, wo uns Tausende mit freundlich lächelndem Blick begleitet haben. Während die Kompanien direkt in ihre Quartiere zwischen Rathaus und Dom gehen, reiten wir zurück an die Weser – still, erschöpft und glücklich, nur begleitet vom gleichmäßigen Getrappel der Pferde.

Von Henning Wandel

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