Straftäter, Verdächtige und ihre Herkunft: Wie wir damit in der Berichterstattung umgehen

 

Das sagt der – auch für die MT-Redaktion verbindliche – Pressekodex. Doch was heißt das in der redaktionellen Praxis genau?

 
Immer wieder steht die Redaktion im Zuge der Berichterstattung über Straftaten vor der Fage, wie sie mit Informationen über die Herkunft von Straftätern und Verdächtigen  umgeht – wenn sie ihr denn vorliegen. Denn auch die Strafverfolgungsbehörden setzen sich mit dieser Frage auseinander, bevor sie etwa Presseinformationen herausgeben oder Presseanfragen beantworten. MT-Lokalchefin Monika Jäger hat sich damit in einem Kommentar beschäftigt, den wir hier dokumentieren:

Verstand an, Angst aus

Von Monika Jäger

Was hat eine Straftat mit Herkunft zu tun? Welchen Wert haben Informationen wie„südländisch aussehend“; „offenbar nordafrikanischer Herkunft“? Die Antwort ist kompliziert. Zumal der Wunsch nach Nationalitäten-Nennung oft mehr über unsere Vorurteile aussagt als darüber, wie Erkenntnisgewinn funktioniert.

Der Pressekodex gibt uns seit 1988 die Regeln vor: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“(12,1) Das muss schon damals eine mühsam errungene Formulierung gewesen sein, ein Versuch, die Balance zwischen Informationswunsch der Leser und schutzbedürftigen Interessen von Minderheiten zu erreichen.

Heute, im Januar 2016, ist das leider oft nicht einmal mehr ein dünnes Seil, das auf der täglichen Gratwanderung beim Medienmachen Halt geben kann. Denn immer lauter fordert etwa die Facebook-Gemeinde von uns die Nennung jedes „fremden“ Elements, und wenn wir diesen unerbittlichen Moloch nicht füttern, dann sind gleich diese Rufe da, die von „Lügenpresse“ und „Schweigespirale“; gerne auch die verschwörungstheoretische Vermutung, dass wir das nicht schreiben „dürften“.

In der Tat – manche Medien nennen Nationalitäten, ohne offenbar noch groß darüber nachzudenken. In der Tat – bis klar gesagt wurde, dass viele der Täter auf der Kölner Domplatte zu den Flüchtlingen zählen, verging viel zuviel Zeit. Die Gründe dafür sind komplex. Aber das, was einmal eine gerade Richtschnur war – eben die Ziffer 12,1 – ist inzwischen aufgeweicht und, abgenutzt.

Aufgabe und Pflicht der Medien ist und bleibt ein unverzerrtes Abbilden der Wirklichkeit. Wir wollen aber auch keine Vorurteile schüren, nicht pauschalisieren und schon gar nicht dazu aufrufen, einen Menschen nach seiner Hautfarbe, Religion oder Herkunft zu beurteilen, statt nach dem, was er tut – oder auch lässt. Alles wäre so schön einfach, wenn Herkunft eine Erklärung für die Taten eines Menschen wäre.

In jedem einzelnen Fall müssen wir aufs Neue entscheiden, ob wir die Nationalität eines Täters oder eines Verdächtigen nennen. Diese Entscheidungen machen wir uns nicht einfach. Das ist regelmäßig Thema in unseren Konferenzen; mehr als früher, übrigens. Wir orientieren uns nach Möglichkeit am Pressekodex. Die Folgen müssen wir aushalten, so oder so. „Manipulation“ hier, „Hetze“ da: Gerade in den sozialen Netzwerken werden Vorwürfe schnell maßlos.

Fehleinschätzungen sind möglich. Darüber diskutieren wir gern mit unseren Lesern – sachlich. Was unsere Gesellschaft braucht, ist unaufgeregte Auseinandersetzung mit den schwierigen Themen dieser Zeit. Verstand an, Angst aus. 

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