Monthly Archives: Mai 2019

Der blaue Teppich bei der Lübbecker Privatbrauerein Barre

Lederhose, Schürze, weißes Hemd mit weitem Arm, langer Zopf: Sven Bleiber, an diesem Nachmittag mit fast 40 MT-Lesern als historischer „Brauer Bernhard“ unterwegs, ist ein Original. Er kennt viele Geschichten, verabreicht genau die richtige Mischung aus Information und Unterhaltung, redet mit Händen und Füßen. Gerade sind die Besucher, denen die Privatbrauerei Ernst Barre den „Blauen Teppich“ ausgerollt hat, im Treppenhaus des Abfüllgebäudes ein ganzes Stück aufwärts gegangen. Jetzt blicken sie hinunter in den Flaschenkeller, der zwar so heißt, aber nicht im Keller liegt.

„Manche mögen sich wundern, warum datt Dingen Keller heißt“, sagt Brauer Bernhard und klärt die Gäste auf: „Inne Brauerei heißt alles Keller.“ Allgemeine Heiterkeit. MT-Leser Bernd Meier (Porta Westfalica) hat andernorts schon an einigen Brauereibesichtigungen teilgenommen. „Dies war mit die beste“, stellt er vor dem anschließenden Imbiss fest. „Brauer Bernhard hat es perfekt gemacht.“

Pilsbier macht in der 1842 gegründeten, bis heute inhabergeführten Privatbrauerei 72 Prozent der Produktion aus. Jeweils 14 Prozent entfallen auf andere Sorten und Mischgetränke. Unterm Strich sind es 16 Produkte, darunter auch alkoholfreie Durstlöscher. Der jährliche Bierausstoß liegt bei 130.000 Hektolitern. Rund 62 Prozent werden als Flaschenbier vertrieben, 38 Prozent als Fassbier. Pro Liter Bier werden etwa fünfeinhalb Liter Wasser gebraucht.

„Bier macht entspannt, wenn man es in Maßen einsetzt“, sagt Brauer Bernhard, der vielen auch als „Gambrinus“ bekannt ist. Gemäß dem deutschen Reinheitsgebot von 1516 besteht auch das gute Barre aus nur vier Zutaten, verbunden durch die alkoholische Gärung: Wasser aus einer Quelle im Wiehengebirge und zwei Brunnen, Hopfen aus der Holledau, Malz aus Sommergerste sowie Hefe, von Barre selbst gezüchtet.

Verbundenheit mit den Menschen und der Region

Im hauseigenen Labor werden pro Monat bis zu 3.000 Proben untersucht, zum Beispiel von Malz oder Hopfen, denn man mit der Qualität nimmt man es an der Berliner Straße sehr genau. Barre investiert zudem regelmäßig in modernste Technik.

Privatbrauerei – dabei soll es auch bleiben. Christoph Barre, der das Unternehmen (93 Mitarbeiter inklusive Azubis) in sechster Generation führt, wird nicht müde zu wiederholen, wie wichtig ihm Unabhängigkeit ist, spürt Verantwortung als Arbeitgeber, Verbundenheit mit den Menschen und der Region. MT-Leserin Margit Pollheide aus Minden gefällt das. „Wir stehen der Brauerei mit dem größten Wohlwollen gegenüber, weil es ein heimisches Bier ist“, sagt sie.

Durch einen Tunnel unter der Bundesstraße geht es aus dem neuen Brauereigebäude hinüber in den alten Lagerkeller, errichtet 1842 und in Betrieb bis 1986. Seit 2001 ist in den 13 Gewölben das Museum „Barres Brauwelt“ untergebracht, ein einzigartiges Brauereimuseum. Großen Anteil an der Entstehung hatten die Mitglieder des „Barre Seniorenclubs“, die zehn Jahre lang alle Mauern vom Kalkputz befreiten und die alten Ziegelwände wieder freilegten, außerdem historische Braumaschinen und andere Exponate reparierten und aufarbeiteten. Andere Arbeiten wurden von heimischen Unternehmen erledigt. „Die Senioren konnten sich bei der Arbeit alte Geschichten erzählen und hatten meistens ein Fässchen im Anstich“, erzählt Brauer Bernhard mit einem Schmunzeln.

Zurzeit läuft im Museum eine Ausstellung über Louis Barre, den zweitgeborenen Sohn von Firmengründer Ernst Johann Barre. „Er hat Erfolgsgeschichte geschrieben“, sagt Brauer Bernhard. Als Louis 1878 die Firma übernehmen soll, studiert er gerade Chemie in Chemnitz, was sich später als glückliche Fügung erweisen soll.

„Wir haben dann Sektpullen genommen“

Louis‘ Frau Amalie ist die Nichte von Johann Georg Poppe, Architekt im Dienste des Norddeutschen Lloyd (NDL). Im Jahr 1892 vermittelt Poppe einen Liefervertrag zwischen der Reederei NDL und Louis Barre. Lübbecker Bier, das sich durch lange Haltbarkeit auszeichnet, kann fortan mit Schiffen in die ganze Welt exportiert werden. „Wir haben 80 Prozent unseres Umsatzes im Ausland gemacht“, erzählt Brauer Bernhard.

Louis hat sein Chemie-Wissen genutzt: In der Lübbecker Brauerei steht bereits 1881 eine von wenigen deutschen Kältemaschinen, angetrieben mit Dampfenergie. Sie verhilft untergärigem Lagerbier zum Durchbruch, weil dies dank der Maschine ganzjährig hergestellt werden kann, und macht das Unternehmen unabhängig von Eis aus der Natur. Eis ist nötig, denn es stoppt die Gärung.

Lagerbier wird bei niedrigen Temperaturen viele Wochen gelagert und ist zudem länger haltbar. Vorher konnten untergärige Biere nur in der kalten Jahreszeit hergestellt werden. Gleichzeitig wird Louis Barre so zum Wegbereiter für die spätere Verbreitung der Marke Pilsener, die ebenfalls untergärig ist.

Der „lange Louis“, wie er in Lübbecke genannt wird, hat noch einen weiteren Joker im Ärmel: Von 1885 an lässt er Bier auf Flaschen abfüllen, damals ein Novum. Kleines Problem am Rande: Es gibt zu wenig Bierflaschen. „Wir haben dann Sektpullen genommen“, erinnert Brauer Bernhard. Später endet die Erfolgsgeschichte: Durch die englische Seeblockade ab 1914 bricht der Handel innerhalb von vier Jahren zusammen, die Brauerei liegt am Boden. Louis Barre wählt den Freitod. Seine Nachfolger beschließen: „Wir bleiben hier und machen Bier für die Region.“

Begonnen hat die Führung für MT-Leser im Herzen der Brauerei, dem Sudhaus mit seinen vier Kesseln. Auf dem Weg zur den Abfüllanlagen – erst für Flaschen, danach für Fässer – geht es vorbei an acht riesigen Tanks für die Gärung (bei 0 Grad Celsius), von denen jeder 2.000 Hektoliter fasst.

Zur Abfüllung: „Die schnellste Geschwindigkeit, die wir vernünftig fahren können, sind 36.000 Flaschen pro Stunde. Bei Bügelflaschen sind wir nicht so schnell“, rechnet Brauer Bernhard vor. Theoretisch wären 45.000 Pullen mit Kronkorken möglich, doch da kann die neue Flaschenwaschmaschine für 1,3 Millionen Euro nicht mithalten, die dafür energieeffizient arbeitet und 50 Prozent einspart. Ein 50-Liter-Fass wird übrigens in 26 Sekunden befüllt. Das nennt man Druckbetankung.

Von Stefan Lyrath

Der blaue Teppich

„Der Blaue Teppich“ ist eine Veranstaltungsreihe des Mindener Tageblatts in Zusammenarbeit mit hiesigen Firmen. Allen Interessierten bietet sich in regelmäßigen Abständen die Möglichkeit,
neue Einblicke in Unternehmen zu erhalten und hinter die Kulissen zu blicken.

Kommentar zum Tag der Pressefreiheit: Nur Mut!

Screenshot: MT

Sie sind heute hoffentlich ordentlich gestolpert – über die Titelseite des MT. Das haben wir jedenfalls so beabsichtigt. Die Front sieht entschieden anders aus als gewöhnlich. Das Bild hat der deutsche Künstler Norbert Bisky anlässlich des Tags der Pressefreiheit für deutsche Zeitungen gemalt. Er nennt es „Rauschen“. Zu sehen ist ein Mann mit verbundenen Augen inmitten eines Farb-Regens, der sich auf ihn ergießt.

Ich interpretiere es so, dass sich heute leicht die Orientierung verlieren lässt im Rauschen des medialen Dauerfeuers. Es suggeriert zwar beste Information und Informiertheit, doch tatsächlich vernebelt es uns die Sinne. Am Ende fühlt es sich an, als verstünde man vor lauter Informationen über das Weltgeschehen die Welt nicht mehr. Und auch die Journalisten müssen sich immer wieder die Binde von den Augen reißen, um ihre Umgebung klar zu sehen und entsprechend erhellend zu schildern.

Die Forderung nach Pressefreiheit klingt wie ein Ruf Richtung Nordkorea oder Türkei. Wie etwas, das uns nicht viel angeht, weil bei uns ja alles gut ist. In Deutschland, in Minden, Hille, Petershagen und Porta. Aber so einfach ist es nicht. Die Pressefreiheit ist bedroht – im Großen wie im Kleinen.

Es ist mir nicht nur einmal passiert, dass ich einen Bürgermeister in der Leitung hatte, der eine Berichterstattung verhindern wollte. Nicht nur einmal, dass Anzeigenkunden wirtschaftlichen Druck auszuüben versuchten. Oder dass eine Kreisverwaltung Informationen zurückhielt, obwohl die Presse darauf einen Anspruch hatte. Und wie recht wäre es windigen Immobilienbesitzern, es würde das Projekt „Wem gehört Minden?“ nicht geben, das die Abgründe des Marktes vor Ort sichtbar macht. Immer öfter ist auch das MT mit Anwälten konfrontiert, die im Namen ihrer Mandanten mit rechtlichen Schritten drohen.

Manchmal sind es auch wir Journalisten selbst, die wir uns zensieren, weil wir Angst vor möglichen Konsequenzen unter den engen Bedingungen von Nähe und Distanz haben. Redet dieser oder jener noch mit mir, wenn ich ihn kritisiere? Journalisten können sich auch selbst in Kerker sperren.

Es ist nicht eine Eigenheit nur von Schurkenstaaten, Journalisten mundtot und Medien zahnlos machen zu wollen. Die Pressefreiheit ist weder selbstverständlich noch ein Selbstläufer. Auch, wenn uns das manchmal so vorkommt.

Wir haben die Freiheit – wenn wir sie nutzen. Also: Nur Mut!

Benjamin Piel, Chefredakteur